Modellausbildung in ziviler Konfliktbearbeitung

von Uwe Pollmann
Schwerpunkt
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Erstmals haben Friedensfachkräfte steuerfinanziert vier Monate lang für Konflikteinsätze·trainiert. Was sie gelernt haben und was nicht.

„Das war mir viel zu aggressiv“, raunt Jörg Heidig in die Männerrunde, die auf einer frisch gemähten Wiese über ihre letzte Übung sinniert Im Kreis sollte, sich je einer der Männer mit geschlossenen Augen hin und her schieben und auffangen lassen. Schnell waren einige dazu übergegangen, das Vertrauen des in der Mitte Stehenden auf eine harte Probe zu stellen und ihn heftiger herumzuschubsen. „Das hat mir nicht gefallen, deshalb wollte ich bremsen, aber keiner hat das verstanden“, schüttelt der 23jährige verärgert den Kopf und klinkt sich bei einer weiteren Runde- jetzt zusammen mit den Frauen - aus.

Es ist das erste Mal nach elf Wochen Seminar, daß der Vermessungstechniker aus dem sächsischen Zittau sich ausschließt. Das·habe nichts zu bedeuten, meint er. Denn ansonsten sei·der Zusammenhalt der 15 Teilnehmer der bundesweit ersten Langzeit-Ausbildung für Friedensfachkräfte wirklich sehr gut. Die Frauen und Männer, die sich im westfälischen Dorf Frille bei Minden Anfang Mai zusammenfanden, nehmen an einer Premiere teil: Ihr Kurs, den das Forum Ziviler Friedensdienst und die Arbeitsgemeinschaft Dienst für den Frieden organisiert, wird als Pilotprojekt in ziviler Konfliktbearbeitung vom Land Nordrhein-Westfalen finanziert (Publik-Forum 7/1997). „Was ich hier gelernt habe, kann ich für meine Arbeit in Bosnien gut gebrauchen“, resümiert Heidig, der bereits fünf Monate als Freiwilliger für Pax Christi Flüchtlingsarbeit im Dorf Begov Han·bei Zenica geleistet hat. Nach Ende des viermonatigen Seminars will er für 20 Monate in das Dorf zurückkehren, in dem es heftige Konflikte zwischen Einheimischen und Binnenflüchtlingen gebe. Hauptstreitpunkt:
die·Wohnunterkünfte. „Jetzt verstehe ich die Strukturen in Bosnien viel besser“, sagt der junge Mann, aus dessen heimischem Freundeskreis kaum einer sein Engagement nachvollziehen kann. „Ich weiß mehr über mich, habe mein Gesprächsvermögen geschult, kann besser zuhören und die Bedürfnisse der Leute herausfinden. Zwar werde ich mich nicht um den großen Frieden kümmern, aber bei kleinen Streits helfen können.“

Mit ähnlichen Zielen sind auch die anderen nach Frille gekommen. Die Teilnehmer aus Deutschland, Bosnien-Herzegowina; Serbien, Kroatien oder Algerien wollten mehr erfahren über Gewaltursachen, Möglichkeiten der Konfliktbewältigung, Trauerarbeit, der Hilfe bei Traumata, über den Umgang mit Frustrationen und Aggressionen oder die Vermittlung zwischen Streitenden. „Wobei es nicht darum geht, Konflikte zu vermeiden“, betont einer der Trainer des Seminars, Stefan Willmutz,·“sondern Mittel an die Hand zu bekommen, diese konstruktiv und kreativ auszutragen und das Optimale für beide Seiten rauszuholen.“ Zwar stand Mediation, die Vermittlung zwischen Streitenden, als Zauberwort im Seminar-Curriculum. Doch der Sozialpädagoge Willmutz weiß·als Trainer für gewaltfreie Konfliktbearbeitung und Ex-Ausbilder von Entwicklungshelfern, daß ein
paar Tage über Mediationstechniken die Teilnehmer noch nicht in die, Lage versetzen, bei Konflikten zwischen zerstrittenen Volksgruppen in ganzen Dörfern oder Städten vermitteln zu können. „Aber was unsere Leute leisten können, ist Vermittlungsarbeit in Jugend- und Begegnungszentren und unter Flüchtlingen und sie können Grundlagen der Gewaltfreiheit weitergeben.“ Voraussetzung ist in der Regel, das Vertrauen beider Seiten zu gewinnen. Das haben Annett Werner und Claudia Kukla bei·ihrer Arbeit in Flüchtlingslagern in Kroatien und Bosnien erfahren, wo sie mehrere Monate für Pax Christi tätig waren. Sie standen ebenso·wie Jörg Heidig den Auseinandersetzungen zwischen Einheimischen und Flüchtlingen oft hilflos gegenüber, wenn es etwa um Streits über Wohnungen ging. „Das ist ein Riesenkonfliktfeld“, sagt die Fachkauffrau und Romanistin Kukla. „Dazu kam, daß die Flüchtlinge Anspruch auf gewisse Vergünstigungen haben, etwa freie Fahrten im Bus. Was dann gegenüber den Leuten, die im Bus bezahlen müssen, auch nicht fair ist.“ In dem viermonatigen Ausbildungsgang für Friedensfachkräfte haben beide jetzt wenigstens theoretisch gelernt, mit den
Konflikten umzugehen. Fruchtbar war aber auch das Lernen mit Menschen, die in Serbien oder Bosnien für pazifistische Wege gestritten haben, meint die Sozialarbeiterin Annett Werner: „Wir konnten in unserer Gruppe immer wieder nachfragen: Ist das überhaupt praktikabel? Kann man das umsetzen?“ Dabei helfen konnte Vilmos Almasi, der vor fünf Jahren in der Vojvodina in Nordserbien die Geistige Republik Zitzer mitgründete. Die pazifistische Gruppe von Ungarn, Serben und Kroaten, die sich gegen den Krieg engagierte und Flüchtlingen bei Alltagsproblemen hilft, ist oft mit extrem nationalistischen Haftungen·und Übergriffen konfrontiert. Da ist das Engagement nicht nur schwer, sondern auch gefährlich, denn viele Menschen haben Waffen. „Viele Flüchtlinge sind sehr verschlossen und aggressiv gegenüber dort lebenden Ungarn oder Kroaten“, sagt Almasi. „Die sind kaum fähig zu kommunizieren. Da müssen wir ansetzen. Das müssen wir aufbrechen, Offenheit erzielen und die Verständigung verbessern.“ In Frille hat der 35jährige Ungar Almasi entsprechende Techniken der Vermittlung gelernt, hat erfahren, wie man sich in Konflikte einschalten und das Vertrauen beider Seiten gewinnen kann. Das hätte er gern früher gewußt. Ebenso geht es der Volkswirtschaft-Studentin Marija Saric von der Aktion Sühnezeichen, die·im Krieg in Mostar in einem Jugendzentrum mit muslimischen und katholischen Jugendlichen arbeitete. Gerade am Konfliktherd Mostar hätte sie gern mehr gewußt über gewaltfreie Übungen mit Kindern und Jugendlieben, Möglichkeilen des Theaters, über Mediation, Aggressionen und Frustrationen, sagt sie. Angesichts der Schwere der Konflikte seien „viele meiner Kollegen total ausgebrannt von der Arbeit. Jetzt geht die 25jährige Bosnierin sichtlich gestärkt zurück.“ Ich habe erst hier gesehen, daß meine Arbeit viel wert ist und ich sie unbedingt weiterführen muß“, sagt sie. „Aber ich habe auch erfahren, wo meine Grenzen sind, und gelernt, mir vor der Arbeit darüber klar zu sein." Enttäuscht ist Marija Saric nur über die Kürze einiger Themen im Kurs: Gerade über Mediation hätte sie gern mehr erfahren. Auch anderen geht das so. Für den Kriegsdienstverweigerer Nenad Vukosavljevic aus Belgrad, der für die Kurve Wustrow nach Sarajewo geht, und für den Algerier Nouredinne Ahmane, der vom Deutschen Entwicklungsdienst wohl in die Konfliktregion Ossetien in Georgien geschickt wird, hatten zum Beispiel die Ursachen der Konflikte in Ex-Jugoslawien zu breiten Raum. "Der Plan war zu voll", sagen viele. "Kaum Reflexionszeit." Seminar-Trainer Stefan Willmutz bestätigt: "Einige Themen müssen wir abspecken und andere investieren. Allein für die Mediation bräuchten wir zwei Wochen." Auch könne man über Themen wie Konstruktiver Dialog, Aktives Zuhören oder etwa die Theaterarbeit nach Augusto Boal nicht genug erfahren. Allerdings haben Willmutz und seine Kollegin Annemarie Müller, die aus der ökumenischen Friedensarbeit der Ex-DDR kommt, auch Grenzen bestimmter brenzliger Themen erkannt: "Für Leute, die den Krieg selbst erlebt haben, war der Bereich der Versöhnungsarbeit schon hart." Und beim Seminartag über Erfahrungen mit Sterben und Tod habe sich gezeigt, wie unterschiedlich die Lebenserfahrungen sind. Trotzdem: Für alle war der Kurs ein wichtiges Fundament. Und sie wünschen sich mehr solcher Seminare für Hilfskräfte in Konfliktgebieten. Nordrhein-Westfalen, das das Pilotvorhaben mit über 350.000 Mark förderte, hat bereits Gelder für weitere Seminare in Aussicht gestellt. Die Organisatoren vom Forum Ziviler Friedensdienstnin Minden hoffen aber auch, daß andere Bundesländer nachziehen.

Kontakt: Forum Ziviler Friedensdienst, Ringstr. 9a, 32427 Minden, Tel. 0571/ 850779, Fax: 0571/ 20471

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