Aufrüstung bei Atomwaffen

Modernisierung weltweit

von ICAN Deutschland
Schwerpunkt
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Die Zahl der Atomwaffen weltweit nimmt jedes Jahr leicht ab, da Russland und die USA langsam überflüssige Arsenale verschrotten. Dies ist jedoch keine Abrüstung im eigentlichen Sinne, sondern lediglich die Entledigung von überflüssigen, nicht mehr gebrauchten Sprengköpfen. Wenn die Atomwaffenstaaten abrüsten würden, müssten sie nicht über 100 Milliarden Dollar pro Jahr in ihre Arsenale investieren.

Hierzulande gilt die größte Aufmerksamkeit häufig den US-Atomwaffen, die die USA auf dem Fliegerhorst Büchel in Rheinland-Pfalz stationiert haben und aktuell einem teuren Modernisierungsprogramm unterziehen werden.

Vereinigte Staaten von Amerika
Die Zahlen sind atemberaubend: Die Bomben kosten pro Stück mehr als Replikas aus Massivgold. Aber hinter den mindestens 10 Milliarden US-Dollar stecken noch größere Ungeheuer: Während die US-Regierung stets versichert hat, keine neuen Atomwaffen zu entwickeln, wird die angebliche „Lebenszeitverlängerung“ der in Büchel stationierten B-61-Bomben neue Fähigkeiten und Einsatzszenarien mit sich bringen. Neue Fähigkeiten und Einsatzszenarien sind übrigens die von den USA vorgegebene Definition dafür, was „neue“ Atomwaffen darstellen.

Aus einer freifallenden Bombe, die nur von Kampfjets abgeworfen werden kann, wird die neue B-61 zu einer per Laser gesteuerten Lenkrakete. Darüber hinaus wird die Bombe digitalisiert, und es soll möglich werden, ihre Sprengkraft vor dem Abwurf auf vergleichsweise niedrige nukleare Detonationen zu reduzieren. Dies birgt das offensichtliche Risiko, dass die Waffen einsatzfähiger werden.

Gleichzeitig modernisieren die USA alle Bereiche der Atomwaffenindustrie: Fabriken, die gesamte Triade (also strategische Bomber, U-Boote und Interkontinentalraketen), eine Reihe weiterer Sprengköpfe, etc. Ziel ist u.a., genügend Investitionen vorzunehmen, um weiterhin talentierte Atomphysiker aus der nächsten Generation für das Atomwaffenbusiness zu gewinnen.

Insgesamt werden die USA in den nächsten 30 Jahren mindestens eine Billion US-Dollar (eine Trillion, in englischer Sprache) investieren – Tendenz steigend. Sie behaupten natürlich weiter, dass sie gerade abrüsten, und wir Atomwaffen daher nicht verbieten sollten.

Die USA haben etwa 7.000 Atomwaffen.

Russische Föderation
Russland hat weiterhin das größte Atomwaffenarsenal und investiert kräftig – unter anderem, um die Unterlegenheit in konventionellen Waffensystemen zu kompensieren.

Wie die USA investiert auch Russland in weite Teile des für Atomwaffen notwendigen industriellen Komplexes. Insgesamt werden, wenn man auch konventionelle Streitkräfte berücksichtigt, mindestens 600 Milliarden US-Dollar in das Militär investiert.

Eine neue Interkontinentalrakete wird entwickelt und 8 neue Atom-U-Boote und neue strategische Bomber werden beschafft.

In diplomatischen Foren behauptet Russland manchmal, es habe nur so viele Atomwaffen, wie es für seine Verteidigung minimal brauche. Da Russland mit geschätzten 7.300 Atomsprengköpfen das größte Arsenal weltweit hat, ist diese Verlautbarung der Glaubwürdigkeit Russlands nicht zuträglich.

Vereinigtes Königreich von Großbritannien und Nordirland
Die Briten verwenden das amerikanische Trident-System von Interkontinentalraketen auf Vanguard-U-Booten. Seit Jahren wird darüber debattiert, diese U-Boote zu erneuern, wobei die von der Regierung vorbereiteten Pläne es vernachlässigten, die Option eines Verzichts auf Atomwaffen auch nur zu erwähnen. Die Konsequenzen eines Verzichts wurden in den vorbereiteten Studien nicht analysiert.

Dementsprechend lief alles auf eine Entscheidung zur Erneuerung der U-Boote hinaus, die mindestens 31 Milliarden Pfund kosten sollen.

Nach dem Rücktritt von David Cameron als Premierminister und der Vereidigung von Theresa May als Nachfolgerin setzte diese binnen Tagen eine Abstimmung zur Erneuerung der britischen Atomwaffen an. Das klare Kalkül: Eine vom sogenannten Brexit verunsicherte Nation sollte von ihrer Führungsstärke überzeugt werden. Ein über Jahrzehnte angelegtes Programm zur Beschaffung von Massenvernichtungswaffen, das „verantwortungsvolle minimale Abschreckungsdispositiv“, so der britische Euphemismus, wird so für ein kurzsichtiges machtpolitisches Kalkül instrumentalisiert.

Die Briten behaupten in diplomatischen Verhandlungen gerne, sie bräuchten Atomwaffen zu ihrer Sicherheit, wollen diese aber dennoch abschaffen. Abgesehen von dem offensichtlichen Widerspruch bewerben die Briten damit Atomwaffen und rufen andere Staaten indirekt dazu auf, den Atomwaffensperrvertrag zu brechen und eigene Massenvernichtungswaffen herzustellen. Innenpolitisch wird Premierministerin Theresa May deutlicher: Es sei unverantwortlich, Trident nicht zu erneuern.

Republik Frankreich
Anders als Großbritannien verfügt Frankreich nicht nur über U-Boote, sondern kann seine „force de frappe“ auch von 40 mit nuklearen Lenkraketen ausgestatteten Kampfjets abwerfen.

Während weniger über französische Vorhaben bekannt ist, befindet sich Frankreich bereits inmitten eines Modernisierungsprogramms, welches ihre Atomwaffen bis über die 2030er Jahre hinaus einsatzbereit halten soll. Offiziell sind für Atomwaffen etwa 4,6 Milliarden US-Dollar pro Jahr eingeplant, wobei hier auch Instandhaltung inbegriffen ist, und wobei unabhängige Quellen von bis zu 6 Milliarden US-Dollar ausgehen.

Atomwaffen wurden von bisherigen Haushaltskürzungen weitgehend ausgenommen, obwohl Frankreich seit Jahren die Haushaltsregeln der Europäischen Union bricht, unter besonderer Beobachtung der EU-Kommission steht und sein Defizit bis zum Jahr 2017 unter die 3- Prozent-Grenze bringen muss. Im öffentlichen Diskurs wagen aber auch Parteien links der Mitte kaum, die Atomwaffen in Frage stellen, welche mithin als Symbol vergangenen weltpolitischen Ansehens angesehen werden.

Volksrepublik China
China hat das kleinste der fünf „offiziellen“, vom Atomwaffensperrvertrag anerkannten Atomwaffenstaaten. Diese sind, anders als jene der anderen Staaten, nicht binnen Minuten einsatzbereit, und stellen somit eine vergleichsweise geringere unmittelbare Bedrohung dar. Neben U-Bootfähigen Raketen und Bombern setzt China vor allem auf Interkontinentalraketen in unterirdischen Silos.

China hat sich in der Abstimmung zum Verbot von Atomwaffen enthalten, behauptet in diplomatischen Konferenzen aber dennoch gerne, es habe seine Abrüstungsverpflichtungen „erfüllt“. Dem ist mitnichten so.

Obwohl das chinesische Programm eines der intransparentesten ist, ist bekannt, dass aktuell insbesondere die Interkontinentalraketen durch neuere ersetzt werden. Auch für die Modernisierung der U-Boote gibt es Pläne.

Republik Indien
Indien baut sein Nuklearwaffenprogramm kontinuierlich aus. Seitdem die USA erfolgreich dafür geworben haben, nach der Unterzeichnung eines einschlägigen Vertrags zur nuklearen Kooperation im Jahr 2008 auch das grüne Licht der Nuclear Suppliers Group zu erwirken, kann Indien legal zivile nukleare Komponenten und Brennstoffe importieren. Dies ermöglicht es ihnen, alle inländischen Uranvorkommen für militärische Zwecke zu verwenden.

Über die Zahl der Atomwaffen hinaus entwickelt Indien seine Raketen und Sprengköpfe weiter. Just im Jahr 2013 testete Indien ihre erste von U-Booten abgeschossene Rakete mit einer Reichweite von 700 km.

Islamische Republik Pakistan
Von allen Atomwaffenstaaten weitet Pakistan sein Atomwaffenprogramm am schnellsten aus. Über die Entwicklung neuer Überbringungssysteme hinaus stellt Pakistan auch aktiv neue Sprengköpfe her, um einer angeblichen Unterlegenheit gegenüber den indischen Atomwaffen aufzuholen.

Über das pakistanische Arsenal ist besonders wenig bekannt. Angeblich werden Atomwaffen zuweilen in zivilen Konvois verlegt, um ausländische Geheimdienste in die Irre zu führen. Offene Fragen bleiben rund um die politische Instabilität des Landes und angeblicher Verquickungen zwischen dem militärischen Geheimdienst ISI und radikal-islamistischen Gruppierungen. Wer im Falle eines weiteren Staatsstreichs Kontrolle über militärische Einrichtung, Wissenschaftler und „launch-codes“ hätte, ist unklar.

Die Kosten des pakistanischen Atomwaffenprogrammes sind unklar. Berühmt wurde der Ausspruch von Zulfikar Ali Bhutto, ehemaliger Premierminister, der einst ankündigte: „Wir werden Gras essen und Blätter, gar hungern, aber wir werden eine eigene [Atomwaffe] bekommen“.

Israel
Über Israels Atomwaffenprogramm ist sehr wenig bekannt, gleiches gilt für dessen Modernisierung. Offiziell wurde nie bestätigt, dass Israel über Atomwaffen verfügt.

Als kleines Land ist Israel aber für gewisse Komponenten auf externe Hilfe angewiesen, was auch größere Transparenz mit sich bringt. Ausgerechnet Deutschland liefert die U-Boote, welche Israel braucht, um seine Massenvernichtungswaffen zum Einsatz zu bringen. 2005 wurde ein erster Vertrag über 1,17 Milliarden US-Dollar für zwei U-Boote aus Deutschland bekannt. Darauf folgten weitere Deals für 6 größere U-Boote. Jüngst geriet ein neuer 1,5 Milliarden US-Dollar Deal für drei U-Boote der Firma ThyssenKrupp ins Stocken. Grund hierfür sind vor allem die Korruptionsvorwürfe gegen Premierminister Netanjahu.

Bemerkenswert ist mit Blick auf angebliche deutsche abrüstungspolitische Ambitionen, dass die israelischen Massenvernichtungswaffen mit deutschen Steuergeldern bezuschusst werden.

Demokratische Volksrepublik Nordkorea
Wenig ist über das nordkoreanische Programm bekannt. Neben ständigen Raketentests, zunehmend auch von Interkontinentalraketen, arbeitet Nordkorea mit Hochdruck an der Entwicklung von mehr und sprengkräftigeren Atomwaffen. Der letzte Atomtest, Ende 2016, brachte angeblich eine Wasserstoffbombe zur Detonation.

Um Atomwaffen auf Interkontinentalraketen montieren zu können, müssten die nordkoreanischen Sprengköpfe auch in Größe und Gewicht weiter reduziert werden.

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