Mordechai Vanunu - Freiheit ist etwas anderes

von Reiner Braun

Am 21.4.2004 wurde M. Vanunu nach 18-jähriger Haft aus dem Zuchthaus Ashkelon entlassen. 6413 Tage Haft, davon fast 12 Jahre in Einzelhaft lagen hinter ihm.

Die israelische Regierung lehnte über all die Jahre jede Haftverkürzung und über viele Jahre eine Beendigung der folterähnlichen Isolierhaft ab. Erst jahrelanger internationaler Druck brachte minimale Erleichterungen für M. Vanunu.

Für die Regierung und große Teile der israelischen Öffentlichkeit war M. Vanunu ein Verräter und Spion, für die internationale Friedensbewegung und die weltweite Community der kritischen Wissenschaftler ist er ein "whistelblower". Dieses englische Wort, das schlecht übersetzt so etwas wie ein "Verpfeifer" bedeutet, beschreibt Menschen, die ihr Gewissen über die persönlichen Folgen ihrer Veröffentlichungen stellen, die Tatsachen, Verbrechen oder andere kriminelle Akte bekannt gemacht haben, die staatlicherseits geheim bleiben sollen, aber für die Öffentlichkeit, für die Bewertung und Einschätzung eines Ereignisses oder des Verhaltens einer Regierung oder eines Konzerns von immenser Bedeutung sind.

Fast immer werden diese whistelblower für ihre Courage, ihren Mut mehr oder weniger gnadenlos verfolgt. So auch M. Vanunu.

Der Ingenieur Vanunu hatte vor 18 Jahren in einem Exklusivinterview mit der britischen Sonntagszeitung "Sunday Times" (erschienen am 5.Oktober 1986) Fotos, die er heimlich aufgenommen hatte und Einzelheiten über das israelische Nuklearzentrum Dimona bzw. das Atomprogramm Israels preisgegeben. Internationale Experten zogen daraus die Schlussfolgerung, dass Israel mit bis zu 400 atomaren Sprengköpfen über eines der größten atomaren Waffenarsenale verfügte. Belegt wurde durch ihn auch die Nuklearkumpanei Frankreichs mit Israel und die Unterstützung des israelischen Atomprogramms durch das südafrikanische Apartheid-Regime. (Der damalige Reporter Peter Hounam wurde erst kürzlich in Israel bei der Vorbereitung einer Dokumentationssendung über Vanunu verhaftet)

Vanunu hatte das offizielle Israel an einem politischen und militärischen Nerv getroffen. Ministerpräsident war damals Simon Peres, der Vater des israelischen Atomwaffenprogramms.

Die Reaktion folgte sofort: Widerrechtliches Kidnapping in Rom, danach Entführung nach Israel (alles angeblich ohne Wissen der italienischen Regierung), Verhaftung und Verurteilung zu 18 Jahren Haft.

Allen internationalen Protesten, der Solidarität der weltweiten Friedensbewegung, Aufrufen von Nobelpreisträgern (Grass, Rotblat, usw.) und Prominenten aus vielen Ländern zum Trotz musste er die gesamten 18 Jahre im Gefängnis verbringen.

Briefe von ihm, die auch die Naturwissenschaftlerinitiative und INES erhielten, waren hemmungslos zensiert. Die beschriebenen Seiten sahen aus wie der "Schweizer Käse", denn der israelische Geheimdienst hatte alle Worte entfernt, die - wie Atom, atomar, Bombe, Bonbon, werfen- nur im Entferntesten etwas mit Nuklearvokabular zu tun haben könnten.

Solidarität zu organisieren war schwierig und beschränkte sich häufig auf Briefe und die Weitergabe von Informationen.

Die Solidaritätsarbeit des aufopferungsvoll arbeitenden Komitees in den USA und vieler Initiativen in Europa konnte mühsam den Kontakt zu ihm (teilweise über Monate nur zu seinem Bruder) halten, aber trotzdem immer wieder die Öffentlichkeit informieren und so den offiziellen Wall des Schweigens durchbrechen. Sie waren auch ein klein wenig Schutz für Vanunu vor möglichen Willküraktionen des israelischen Geheimdienstes. Diese oft kleinen Aktivitäten trugen maßgeblich zum Gesundheitszustand und zur physischen Kondition von Vanunu bei.

Sie verhinderten das Vergessen und klagten immer wieder die Nuklearpolitik Israels und die Kumpanei der Nuklearmächte Frankreichs und teilweise der USA sowie die Hilfslieferungen weiterer Staaten, u. a. Deutschlands, an. Ohne Vanunu und die Solidaritätsarbeit wäre vieles nicht bekannt geworden, dass uns heute einen realistischen Blick auf die gewaltige Nuklearmacht Israels werfen lässt und immer wieder die Forderung in den Mittelpunkt rückt: der gesamte Mittlere Osten muss massenvernichtungsfrei werden.

M. Vanunu ist eine Symbolfigur dieses Widerstandes gegen atomare Aufrüstung und für Zivilcourage geworden. Er ist ein Sinnbild des anderen, des friedlichen Israels. Friedensauszeichnungen wie der Alternative Nobelpreis dokumentieren dieses eindrucksvoll.

Aber der Tag der Freilassung aus dem Gefängnis war noch nicht der Tag der Freiheit für M. Vanunu.

Er darf Israel nicht verlassen, den Besuch von anderen Städten in Israel muss er anmelden, er besitzt keinen Pass.

Die Teilnahme an Veranstaltungen ist ihm verboten.

Er darf keinen ausländischen Besuch empfangen, kein Interview geben.

Er darf ohne Kontrolleure nicht in das Internet gehen, sein Telefon wird überwacht.

Seine gesamte Post wird kontrolliert und zensiert.

Permanenter Hausarrest und vollständige individuelle Überwachung prägen sein Leben.

Das für diese Repressalien herangezogene Argument, er könnte noch weiterhin Geheimnisse verraten, ist lächerlich angesichts 18 Jahre Haft und der Entwicklung der modernen Nukleartechnologien in den letzten zwanzig Jahren und verrät nur die Borniertheit seiner Überwacher.

Was bleibt, ist die Fortsetzung der Solidarität unter den neuen Bedingungen:

Vieles ist möglich, eine große Anzahl von Einladungen zu Veranstaltungen in vielen Ländern z.B., erhöht den Druck auf die israelische Regierung. So plant die "Kooperation für den Frieden" eine Veranstaltungstournee mit Vanunu. Warum soll er nicht als Sprecher bei dem Friedenskongress im Einsteinjahr 2005 eingeladen werden? Es wäre sicher in der Tradition des Pazifisten und Querdenkers Albert Einstein.

Wer wäre geeigneter für den Friedensnobelpreis 2005 als Mordechai Vanunu? Habt Ihr in Eurer Initiative oder Du schon über einen Brief an das Friedensnobelpreiskomitee in Oslo nachgedacht?

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Friedensbewegung international
Reiner Braun war Geschäftsführer der IALANA Deutschland und ist ehem. Co-Präsident des Internationalen Friedensbüros (IPB).