Ökumenische Friedensdekade: 11.-21. November 2001

Motto: "fremd"

von Jan Gildemeister
Initiativen
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Die Entwicklung zur offenen Fremdenfeindlichkeit ist erschreckend: Die Zahl der fremdenfeindlichen Gewalttaten stieg 2000 um fast 60% auf 16.000, wobei sie im Osten je EinwohnerIn gegenüber den westlichen Bundesländern dreimal so hoch lag. Die Zahl der registrierten, aktiven Homepages von deutschen Rechtsextremisten stieg gegenüber 1999 von 300 auf 800. Der Ausschuss gegen Rassismus der Vereinten Nationen kritisierte, dass es in Deutschland rassistisch motivierte Polizeiübergriffe gegen Ausländer gibt. Zugleich wird festgestellt, dass unter Jugendlichen (und Erwachsenen) von 1994 auf 1998 die Zahl mit rechtsextremer Gesinnung nicht stieg, allerdings Gewaltbereitschaft und Politikverdrossenheit. Ursache für Gewalt ist häufiger eine diffuse Fremdenfeindlichkeit als ideologisch motivierter Rechtsextremismus.

Fremdenfeindlichkeit bietet den Nährboden für rechte Gewalt. Fast ein Drittel der Bevölkerung - ob Ost oder West, jung oder alt - haben signifikante Vorurteile gegenüber fremden Menschen. In der Mitte der Gesellschaft werden gesellschaftlich relevante Werte definiert, in Handlungen umgesetzt oder verworfen. Intoleranz erhält Nahrung durch Politik, Wirtschaft und Medien. Die Modernisierungsprozesse in der Arbeitswelt teilen alle in Gewinner und Verlierer auf. Es scheint sich ein Wertekanon bis in die Mitte der Gesellschaft etabliert zu haben, der "Menschenwürde" national buchstabiert, der Solidarität mit den Schwachen und Armen durch Eigennutz ersetzt, der die Gewalt des Stärkeren akzeptiert.

Mit dem Motto "fremd" greift das Gesprächsforum Ökumenische Friedenadekade in diesem Jahr dieses aktuelle Thema auf. Sehr bewusst wurde das Motto offen formuliert. Es lässt inhaltliche Akzente zu, die über die Problemfelder Fremdenangst oder Fremdenfeindlichkeit hinausgehen und das Fremde auch als positive Chance werten. Die biblische Botschaft weist den Weg: "Wenn bei dir ein Fremder in eurem Land lebt, sollt ihr ihn nicht unterdrücken. Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten, und du sollst ihn lieben, wie dich selbst." (3. Mose 19, 33-34)
 

Bereits seit 21 Jahren werden in Deutschland Jahr für Jahr Friedenswochen (in Westdeutschland) bzw. Friedensdekaden (Ost) durchgeführt. Seit 1993 ruft ein bundesweites Gesprächsforum Kirchengemeinden und Gruppen dazu auf, im November Veranstaltungen, Gottesdienste, Gruppenabende oder auch größere Aktionen für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung durchzuführen. Im Auftrag des Gesprächsforums erstellt eine Redaktionsgruppe hierzu verschiedene Materialien, die von Knotenpunkt e.V. gedruckt und vertrieben werden (siehe unten). Die Materialien wurden in den letzten Jahren von 1.500 bis 2.000 BestellerInnen nachgefragt und münden in eine Vielzahl von Veranstaltungen, die häufig über den kirchlichen Rahmen hinauszielen.

Die Ökumenische Friedensdekade hat nun neuen Aufschwung erhalten durch eine andere Dekade: Die Dekade zur Überwindung von Gewalt, die der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) am 4. Februar in Berlin offiziell für die nächsten 10 Jahre ausgerufen hat. Mit dieser Dekade wird der sogenannte konziliare Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung weitergeführt. Der Aufruf des ÖRK wurde in Deutschland von dar Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen, und damit auch von der katholischen Kirche aufgegriffen und hat bereits zu einer Vielzahl von Aktivitäten in Kirchengemeinden, Friedensorganisationen und kirchlichen Institutionen geführt. Das Gesprächsforum sieht es als seine Aufgabe, beide Dekaden zusammenzuführen: Die Friedensdekade bietet einen guten Anlass für Veranstaltungen zum Thema "Gewalt überwinden". Mit dem Motto werden pädagogisch und inhaltlich aufbereitete Impulse gegeben, die von den Gemeinden und Gruppen aufgegriffen werden können.

Es besteht Anlass zur Hoffnung, dass die Dekade zur Überwindung von Gewalt in den nächsten Jahren eine Wirkung über die Kirchen hinaus entfalten und verstärkt auch Fragen struktureller und kultureller Gewalt aufgreifen wird. Das Gesprächsforum wird solche Entwicklungen unterstützen auch in der Erwartung, dass für die Ökumenische Friedensdekade neue Kreise gewonnen werden können.

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Jan Gildemeister ist Geschäftsführer der AGDF.