Zur Lage der Friedensbewegung in Südosteuropa:

Mühevoller Dialog

von Guido Grünewald

Im Herbst habe ich an an zwei internationalen friedenspolitischen Treffen teilgenommen: am Seminar "Sicherheit und Abrüstung in Europa", veranstaltet vom "Special NGO Commitee for Disarmament" Ende Oktober in Budapest, sowie an der "2. Europäischen Konferenz zu Frieden, Demokratie und Zusammenarbeit auf dem Balkan", ausgerichtet von der "Föderation von NGO's auf dem Balkan" Anfang November in Athen. Beide Veranstaltungen gaben mir Gelegenheit, die im Laufe der letzten Jahre spärlichen Kontakte zwischen der DFG/VK und Friedensgruppen in Ost- und Südosteuropa wieder aufzunehmen.

Ich wollte mich kundig machen, welche früheren Kooperationspartner noch aktiv sind und an welchen politischen Themen die einzelnen Gruppen arbeiten. Besonders gespannt war ich zu erfahren, wer heute die Bereiche eingenommen hat, die im Kalten Krieg in den einzelnen Ländern von den regierungsnahen Friedensräten oder - komitees besetzt waren, und wie sich der eher völkerrechtlich und an Abrüstung orientierte Teil der Friedensbewegung heute organisiert. Der wichtigste Eindruck von beiden Veranstaltungen vorweg: Engagement für den Frieden ist für die meisten Menschen in Südosteuropa derzeit etwas Exotisches. Die wirtschaftliche und soziale Not zwingt den Kampf um das tägliche Brot in den Mittelpunkt des Interesses.

Die Organisationen, die an die Stelle der früheren Friedenräte und - komitees getreten sind, befinden sich mehrheitlich in einer prekären finanziellen Lage und sind politisch schwach, wie z.B. die Bewegung für Frieden und Verständigung in Albanien, die Nationale Bewegung für Frieden, Stabilität und Zusammenarbeit in Bulgarien, die Allianz für den Frieden in Rumänien, die Slovakische Union für Frieden und Menschenrechte oder die Ungarische Friedensvereinigung. Wenn Aktionen stattfinden, beschränken sie sich meist auf die größeren Städte des jeweiligen Landes und haben häufig einen humanitären Schwerpunkt, wie etwa beim Litauischen Friedensforum (Medikamentenspenden, Friedenserziehung), in dem nicht zufällig überwiegend Frauen aktiv sind, oder beim Komitee für Frieden und zivile Initiativen in Makedonien, das sich vornehmlich um Flüchtlinge aus Bosnien kümmert. In Albanien arbeiten Juristen der Bewegung für Frieden und Verständigung für die Abschaffung der in den Bergregionen noch weit verbreiteten Blutrache. Die meisten der von mir befragten Organisationen befürworten einen NATO-Beitritt ihres Landes oder wenden sich zumindest nicht dagegen. Die Motive sind verschieden und überschneiden sich zum Teil: Angst vor Rußland, NATO-Mitgliedschaft als erhoffte "Eintrittskarte" in die EU und in materiellen Fortschritt, aber auch noch schlichtere Illusionen, wie z.B. "Anschluß des Kosovos dank NATO".

Wie ist damit aus westlicher friedensbewegter Sicht umzugehen? Sensibilität für die politisch und ökonomisch schwierigen Verhältnisse sollte unsere Kontakte leiten und nicht Besserwisserei. Beim Seminar in Budapest z.B. listete eine Vertreterin von CND (Campaign for Nuclear Disarmament/GB) richtige und wichtige Argumente gegen die NATO auf, redete dabei aber völlig an der Realitätswahrnehmung der Teilnehmenden aus Südosteuropa vorbei. Diese verschweigen machmal ihre konträren Positionen - z.B. zur NATO - um ihre Kontakte zu westlichen Friedensgruppen nicht zu gefährden. Um trotz dieser Widersprüche einen konstruktiven "Ost-West-Dialog" zu entwickeln, muß immer wieder behutsam und mit Geduld auf die Fehleinschätzungen oder Illusionen hingewiesen werden, die viele mit dem Beitritt zu einem der westlichen Militärbündnisse verbinden. Ein solcher Dialog scheint mühevoll, aber ich halte ihn für notwendig.

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Dr. Guido Grünewald ist internationaler Sprecher der DFG-VK und Vorstandsmitglied des EBCO.