Den Frieden im Herzen und den Protest auf der Zunge

Musik für den Frieden

von Mandy Lüssenhop
Schwerpunkt
Schwerpunkt

Komponiert man heute noch Musik für den Frieden? Eine Spurensuche für alle friedlichen Musikliebhaber.

Der Eindruck des Schmutzes auf ihren schwitzigen Händen verbindet sich mit der eigenartigen, speziellen Stille, die nur unter den Bedingungen unerträglicher Hitze zutage tritt. Sanft und doch unerwartet durchdringt eine leise Melodie die Stille. Sie ist wunderschön. Und ansteckend. Bald schon durchdringt sie jeden Fleck des Reisfeldes in der ehemaligen italienischen Provinz Terre d’Aqua. Auf der „Erde des Wassers“ schuften und singen die Reispflückerinnen diejenige Melodie, die uns heute unter dem Titel „Bella Ciao“ bekannt ist, vor allem denjenigen, die auf ihren gemütlichen Sofas die Serie „Haus des Geldes“ schauen. Doch diese gemütlichen Zustände kannten die Reispflückerinnen nicht. „Bella Ciao“ war ihr Protest. Ein Protest gegen die harten Arbeitsbedingungen unter der brennenden Sonne auf den Feldern. Ein Protest gegen ihren Wärter, unter dessen wachsamen Blick sie litten. Jener, der „mit einem Stock in der Hand“ das Leben der Frauen „aufzehrt“. All die Mühen für einen Hungerlohn.

Das Lied steht für den Protest. Es steht für den Frieden.

Bald wurde es wiederentdeckt und weltweit bekannt. Die Resistenza, eine italienische Widerstandsbewegung gegen den Faschismus während des zweiten Weltkrieges, adaptierte die Melodie. Sie loben den Freiheitskampf der Partisanen und gedenken ihrer Toten, ihrer Helden. So mischen sich Protestlied und Heroisierung von Gewalt. Heute findet das Protestlied vernehmlichen Platz in diversen Filmen und Serien, nicht nur im „Haus des Geldes“. Doch auch als Italiens Innenminister Matteo Salvini gegen Flüchtlinge hetzte, schmetterten ihm die Demonstrierenden „Bella Ciao“ entgegen. Die Musikwissenschaftlerin Maren Köster führt im MDR die anhaltende Popularität für das Lied auf die Faszination der Freiheit zurück.

Schon immer haben Menschen ihre Erlebnisse, besonders die schrecklichen, in der Kunst verarbeitet. Krieg, Frieden und Musik, sie gehen Hand in Hand. Bereits Beethoven, der durchaus im Zuge der Napoleonischen Kriege Schlachtensinfonien auf den Sieg komponierte, schrieb schließlich im vierten Satz seiner Neunten auf Grundlage von Schillers Libretto „An die Freude“ von dem Traum, dass alle Menschen Brüder werden mögen. (Auch, wenn Geschlechterforschende dabei heute durchaus die Hände über dem Kopf zusammenschlagen würden.)

Doch heute, 250 Jahre nach der Geburt des Komponisten, ist es vornehmlich die Populärmusik, in welcher die Erlebnisse von Krieg und Gewalt und der Wunsch nach Frieden verarbeitet werden. Denken wir daran, hören wir da nicht sofort diese sanften, wohlklingen und einfachen Töne John Lennons, die nicht nur unwiderruflich in unserem Gedächtnis verankert sind, sondern uns auch tief in unseren Herzen berühren?

Imagine there’s no countries
It isn’t hard to do
Nothing to kill or die for
And no religion, too
Imagine all the people
Livin‘ life in peace
You may say I’m a dreamer
But I’m not the only one.

In der Tat ist Lennon nicht der einzige, der sich den Frieden erträumt. Doch wie sieht es neben den uns bekannten Klassikern heute mit der Friedens- und Protest Musik aus? Grund zum musizieren hätten wir dabei genügend: Der letzte Krieg wurde in Deutschland vor über eine Generation geführt, wir profitieren sekündlich vom Friedensprojekt Europa. Wer komponiert darauf eine Lobeshymne?

Gleichzeitig spielt sich unfassbares Grauen ab. Kriege in Syrien, Afghanistan, Jemen, Irak, Nigeria, Philippinen, Somalia, Pakistan, Libyen. Unzählige gewaltsame Konflikte. Menschen, die unter Vertreibung, Hunger und Willkürherrschaft leiden. Wir müssen uns auch die Frage stellen, was die Existenz einer Massen- bzw. Planetenvernichtungswaffe, der Atombombe, für uns als Menschen bedeutet. Wer komponiert darauf ein Klagelied?

Einer der Träumer, die sowohl Klagelied als auch Lobeshymne singen, heißt Hannes Wader. Wader selbst sagt scherzhaft über seine Träume: „Bin ich meist erfolgreich in der Umsetzung banaler Vorhaben, scheitere ich an ehrgeizigeren Traumzielen - wie zum Beispiel die Welt zu retten.“ Doch er betont, dass man seine Träume selbst im Angesicht des Scheiterns niemals als Hirngespinste abtun solle. Ganz nach diesem Motto singt er für den Frieden. Seine vornehmlich in den 1970er Jahren veröffentlichten politischen Lieder bleiben und wirken aktueller denn je. In „Wieder Unterwegs“ singt er über Gewalt in Verbindung mit nationalistischem Gedankengut.

„Hände packen mich von hinten, zerren mich brutal zum Feuer;
einer, der wahrscheinlich Chef der Gruppe ist
Schreit: „Den kenne ich, den Lumpenhund, der singt undeutsche Lieder!
Ein Spitzel ist er, und ein Kommunist.“

Auch auf Umweltverschmutzung macht der Sänger eindringlich aufmerksam, ein Problem, das derzeit durch die „Fridays for Future“-Bewegung einen enormen Aufschwung erhalten hat:

Einer taucht die Finger in den giftverseuchten Fluss,
leckt sich den Schaum wie Zuckerwatte von der Hand
Die anderen lallen, kichern, kotzen und dass ich ans Ufer krieche,
fast verrecke, merken sie nicht mehr
Auch ich hab' von dem Schaum gefressen, literweise Gift geschluckt
nackter Horror fällt über mich her.

Angesichts all der Kriege, die wir in Deutschland nur in Flüchtlingszahlen zu messen scheinen, berühren die Zeilen aus Waders Lied „Es wird Zeit“:

Auf deinem Kreuz finde ich, toter Soldat,
deinen Namen nicht, nur Ziffern, und jemand hat
die Zahl neunzehnhundertundsechzehn gemalt,
und du warst nicht einmal neunzehn Jahre alt.

Ja auch dich haben sie schon genauso belogen,
so wie sie es mit uns heute immer noch tun.
Und du hast ihnen alles gegeben:
deine Kraft, deine Jugend, dein Leben.

Hast du, toter Soldat, mal ein Mädchen geliebt?
Sicher nicht, denn nur dort, wo es Frieden gibt,
können Zärtlichkeit und Vertrauen gedeihn.

Im Jahr 2020 scheint es zunächst, als verarbeiteten Künstler*innen den Frieden musikalisch weniger als die Hippies der Studentenbewegung. Doch wie so oft trügt der Schein. Wir müssen nur genauer hinsehen: 2018 versammelten sich in Chemniz mehr als 65.000 Menschen, um ein Konzert gegen Hass und Gewalt aus nationalistischen Gründen zu besuchen. Bands wie die Toten Hosen, Kraftklub, Materia oder Feine Sahne Fischfilet spielten gratis unter dem Motto „#wirsindmehr“.

Auf den Klimademonstrationen von Fridays for Future begleiten nicht nur gesungene Parolen, sondern häufig auch freiwillige Musiker, deren Namen öffentlich so unbekannt wie ihre Musik schön ist, sind die Demonstrierenden. Doch auch im 21. Jahrhundert werden Menschen, die Musik für den Frieden machen, weltbekannt:

Das Video von Aeham Ahmad als „Pianist in den Trümmern“ ging 2016 um die Welt. Es berührt Millionen und verdeutlicht Hoffnung im Angesicht des Grauens. Nur Musik vermag diesen tiefen Kontrast, die Widersprüchlichkeit der Welt, in unsere Herzen zu tragen.

Am Ende bleibt der Appell Waders, immer und immer gegen Krieg und Gewalt zu protestieren. Von Frieden zu träumen, ihn tief im Herzen zu tragen und sich für ihn einzusetzen. Und zwar am liebsten mit Musik:  

Doch hör meinen Schwur
für den Frieden zu kämpfen und wachsam zu sein.
Fällt die Menschheit noch einmal auf Lügen herein,

dann kann es geschehn, daß bald niemand mehr lebt,
niemand, der die Milliarden von Toten begräbt.
Doch es finden sich mehr und mehr Menschen bereit,
diesen Krieg zu verhindern, es ist an der Zeit.

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt
Mandy Lüssenhop ist Aktivistin gegen Atomwaffen.