Nach dem Friedensherbst

von Achim Maske

 

Die im Mai dieses Jahres beschlossenen Herbstaktionen der Friedensbewegung liegen hinter uns. Sie haben dazu "beigetragen, das verständigungs und abrüstungsfreundliche  Klima in der öffentlichen Meinung zu unterstützen, Zahlenmäßig waren sie einzeln schwächer als die Aktionen in den letzten Jahren. Warum sich nicht mehr Menschen beteiligt haben, ist nicht unerklärlich.

Es gibt einen ersten Vertrag über die Beseitigung besonders destabilisieren- . der Atomwaffen. Verhandlungen über weitere atomare und konventionelle Abrüstung laufen. Die Dynamik der sowjetischen Außen und Abrüstungspolitik geht weiter. Die Rhetorik der Bundesregierung, der USA und der NATO hat sich gewandelt. Im Alltagsleben spürt jeder, was aus vielen Meinungsumfragen deutlich wird: die Mehrheit der Bevölkerung möchte Abrüstung und friedliche Beziehungen. Andererseits war es nicht so klar auszumachen, an welchen Punkten oder wie wir die Abschreckung genannte konfrontative Machtpolitik durch eigenes Handeln durchbrechen können. Hinzu kommt sicher, daß die Symbolik einzelner Orte und Termine als Ausdruck der Notwendigkeit  der Überwindung der "Abschreckung" nicht breit vermittelt wurde. Ein bisschen mehr militärische Zusammenarbeit mit Frankreich bedeutet doch noch keine Kriegsgefahr, genauso wenig wie ein Bunkerbau zwischen Voreifel und linkem Niederrhein, eine Versammlung von Abgeordneten, die nichts zu beschließen haben, oder das Bestehen einer Bundesbehörde, die nur die Weisungen der Regierung ausführt. Warum also die Mühe auf sich nehmen und auf 'die Straße gehen?

Eine Aktion fiel aus dem Rahmen, politisch und bezogen auf die Beteiligung: In Westberlin versammelten sich zur Tagung von IWF und Weltbank wirklich Mächtige, und die Aktionen der Friedens und Solidaritätsbewegung beschäftigten sich mit den katastrophalen globalen Folgen der konfrontativen Machtpolitik, Ausbeutung und Unterdrückung, die in der "Dritten Welt" in voller Krassheit zutage tritt. Sie schlossen Ansätze von Alternativen dazu ein.

Ich meine wir müssen daraus Schlussfolgerungen ziehen. Sicherlich sind Aktionen für Atomwaffenverzicht, gegen den "Jäger 9011, gegen die "Modernisierung" genannte Aufrüstung mit neuen landgestützten atomaren Kurz, und luftgestützten Mittelstreckensystemen sinnvoll und müssen fortgesetzt werden. Für eine neue Mobilisierung, ähnlich der in der ersten Hälfte der achtziger Jahre, ist dies nicht ausreichend. Damals war klar: die Bedrohung durch eine destabilisierende Aufrüstung, die · den Atomkrieg wahrscheinlich macht, der überzeugende Nachweis, daß die geplanten, beschlossenen oder begonnenen Rüstungsmaßnahmen nicht Sicherheit, sondern höhere Vernichtungsgefahr bedeuten, und der Zeitraum, den wir hatten, um diese Bedrohung abzuwenden.

Was bedeutet dies für uns heute? Eine fertige Antwort gibt es nicht. Aber: Ohne eine erhebliche· Verringerung der Atomwaffen· der heutigen Atom- · machte durchzusetzen; droht eine Nichtverlängerung des Atomwaffensperrvertrages mit der möglichen· Konsequenz, daß dreißig oder vierzig Staaten in allen Krisenregionen der Welt sich Atomwaffen verschaffen. Ohne konventionelle Abrüstung ist die· Beseitigung aller Atomwaffen in Europa unendlich komplizierter. Und ein konventioneller Krieg· hätte auf unserer dicht besiedelten und mit Atom und Großchemieanlagen vollgestopften Kontinent Auswirkungen, die einem Atomkrieg nahe kommen.

Ohne die Überwindung der Konfrontation zwischen den Staaten drohen unserer Welt globale Katastrophen. Spätestens in zwei bis drei Jahrzehnten werden zahlreiche ökologische Krisenprozesse nicht mehr umkehrbar sein. Die Fortsetzung des heutigen Systems· der Weltwirtschaft ist nicht länger möglich: Der Ausschluß der Häfte der Weltbevölkerung aus der Welt-wirtschaft schlägt selbst auf die reichsten Staaten · zurück: ökonomisch, ökologisch und friedensbedrohend. Der Teufelskreis von sich gegenseitig hochschaukelnder Probleme in großen Teilen der "Dritten Welt" (Unterentwicklung, Verelendung, Bevölkerungswachstum,· Umweltzerstörung, Kriege), muß durch die Zusammenarbeit der Kräfte und Potentiale aller Völker und Staaten durchbrochen werden, um der Menschheit eine gleichberechtigte, soziale und ökologisch verträgliche Entwicklung zu ermöglichen.

Die können aber diese notwendige gemeisame Anstrengung in der kurzen Zeitspanne weniger Jahrzehnte wirklich werden, wenn die, die zusammen arbeiten müßten, sich feindselig und mißtrauisch weiter bedrohen? . Wir brauchen dringend ein "gemeinsames Haus Europa" in unserem kleinen "Raumschiff Erde". Wir brauchen eine internationsale Politik, die verhindert, daß diese zerbrechliche Welt zerstört wird und gewährleistet, daß alle Potenzen für die Instandhaltung und Verbesserung der "Oberlebenssysteme" genutzt werden.

Von diesen Erkenntnissen sind diejenigen weit entfernt, die an der Fortsetzung alter Schemata weiter basteln. Sie können unter Druck gesetzt werden. Darüber, wie wir das machen, müssen wir gemeinsam diskutieren und dies möglichst so, daß die Diskussion selbst zur politischen Aktion wird, die die Öffentlichkeit erreicht.

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Initiativen
Komitee für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit