NATO Gipfel in Wales

NATO-Auflösung wäre die Alternative

von Reiner Braun

Am 4./5. September findet in dem eigentlich beschaulichen walisischen Städtchen Newport der jüngste NATO-Gipfel statt, mehr als zwei Jahre nach dem Gipfel in Chicago im Mai 2012.

Wieder die gleichen Bilder: weiträumige Absperrungen, Fahrverbote, no-fly zones, geschlossene Schulen und Geschäfte sowie umfassende Behinderungen von Demonstrationen und Protesten. Abgeschirmt im 5-Sterne Resort Celtic Manor Hotel werden die „alten und neuen Krieger“ nicht nur fern von den Realitäten der dort arbeitenden und lebenden Menschen, sondern auch fern von allen Protesten tagen. Ausnahmezustand ist das die Realität beschreibende Wort.

Entsprechend dem Einladungsschreiben des scheidenden NATO-Generalsekretärs Rasmussen standen die folgenden Themen im Mittelpunkt der Diskussionen:

  • die Situation in Afghanistan nach dem Ende des ISAF Mandats und die weitere Unterstützung der Entwicklung in Afghanistan durch die NATO
  • die zukünftige Rolle und Aufgabe der NATO
  • die Krise in der Ukraine und das Verhältnis zu Russland
  • die aktuelle Situation im Irak.

Die Krise in und um die Ukraine hat sich in der Vorbereitung des Gipfels zum absoluten Schwerpunkt entwickelt, sieht doch die NATO gerade darin eine Möglichkeit, ihre Existenz unter Beweis zu stellen und erneut eine „leading role“ zu übernehmen. Die Strategiedebatte, das Verhältnis zu Russland, die gesamte Diskussion um „smart defense“ kulminiert somit in der Debatte um die Konsequenzen aus der Ukrainekrise.

Osteuropa und Ukraine
Beim NATO-Gipfel wurde daher ein Aktionsplan zur Verstärkung der Sicherheit im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise gebilligt. Eine 3-5.000 SoldatInnen starke Osteuropa-Eingreiftruppe soll geschaffen und im Krisenfall binnen weniger Tage einsatzbereit sein. Ihr Hauptquartier soll, wenn es nach dem Willen der Briten und Polen geht, in Polen liegen. "Das sendet eine klare Botschaft an jeden möglichen Aggressor aus: Sollte jemand auch nur daran denken, ein NATO-Land anzugreifen, bekommt er es mit der gesamten Allianz zu tun", so der scheidende NATO-Generalsekretär Rasmussen.

Rasmussen zufolge bedeutet die Ukraine-Krise eine Wende in der 65 Jahre dauernden Geschichte der NATO. „Während wir uns an die verheerenden Kämpfe des Ersten Weltkriegs erinnern, werden die Welt und die Sicherheit erneut herausgefordert. Heute wegen des aggressiven Vorgehens Russlands gegen die Ukraine“. ... „Die kriminellen Handlungen derjenigen, die die MH17 abgeschossen haben, verdeutlichen, dass ein Konflikt in einem Teil Europas tragische Folgen in der ganzen Welt haben kann.“

Einige NATO-Mitglieder, vor allem die neuen aus Osteuropa, plädierten für die Kündigung der NATO-Russland-Grundakte aus dem Jahr 1997, mit der Begründung, dass Russland sie gebrochen habe, was aber von anderen Mitgliedern abgelehnt wurde.

Großbritannien und die USA wollen hunderte Soldaten in Osteuropa stationieren. „Soldaten und Panzertechnik werden in den kommenden zwölf Monaten wohl häufig bei Übungen in Polen und in den baltischen Ländern eingesetzt. Die NATO will zeigen, dass sie sich nicht von der Angliederung der Krim und der Destabilisierung der Ostukraine ‘einschüchtern lässt‘.“, so die britische „Times“ schon vor dem Gipfel. Der nun beschlossene Aktionsplan sieht vermehrte Übungen von Kampftruppen wechselnder Länder und neue permanente Stützpunkte  in Osteuropa vor. Solche Stützpunkte sollen voraussichtlich in den drei baltischen Staaten sowie in Polen und Rumänien aufgebaut werden.

Die Ukraine, deren Präsident Poroschenko zeitweilig an dem Gipfel teilnahm, bekommt Unterstützung bei der Modernisierung ihrer Armee im Logistik- und Kommandostruktur-Bereich. Direkte Waffenhilfe beschloss die NATO nicht; sie bleibt den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen.

Mehr Geld für die Rüstung
Die Umsetzung dieser Pläne kostet Geld. „Beim Gipfel erwarte ich, dass unsere Bündnispartner wegen der wirtschaftlichen Wiederbelebung mehr in die Verteidigung investieren“, betonte Rasmussen. Das (alte) Ziel, dass alle NATO-Mitglieder 2 % der Wirtschaftsleistung in die Rüstung investieren, wurde wiederbelebt. Zumindest, so Kanzlerin Merkel, sollten die Rüstungsausgaben nicht gesenkt werden.

Mit Blick auf die Krise in Osteuropa warnt die NATO vor weiteren finanziellen Abstrichen und fordert Mehrausgaben von Deutschland. “In einigen Mitgliedstaaten haben die anhaltenden Kürzungen über Jahre zu einer derartigen Ausdünnung von Streitkräftestrukturen geführt, dass weitere Einsparungen nur um den Preis der Aufgabe ganzer Fähigkeiten zu erreichen wären”, heißt es in einem vertraulichen Papier für die NATO-Verteidigungsminister, berichtete das Hamburger Nachrichtenmagazin “Der Spiegel” schon vor dem Gipfel. Ohne den Beitrag der USA stünde das Bündnis “mit einer nennenswert eingeschränkten Fähigkeit da, Operationen durchzuführen”.

Nun wächst vor allem der Druck auf Deutschland, die Verteidigungsausgaben zu erhöhen. Deutschland wird 2014, laut einem NATO-internen Ranking, bei 1,29 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und damit auf Platz 14 der Bündnisstaaten liegen. Dabei ist Deutschland das wirtschaftlich zweitstärkste NATO-Land nach den USA. Die Ankündigung einer aktiveren deutschen Außen- und Sicherheitspolitik müsse sich jetzt auch finanziell bemerkbar machen, heißt es unter NATO-Militärs. “Der Druck wird wachsen, mehr für den Schutz der osteuropäischen NATO-Staaten zu leisten”, sagte der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion Henning Otte. “Das kann auch bedeuten, unseren Verteidigungsetat der sicherheitspolitischen Entwicklung anzupassen”, so Otte.

Irak
Eine wichtige Rolle auf dem Gipfel spielte die Krise im Irak. Präsident Obama verkündete während des Gipfels, dass mehrere NATO-Staaten eine Koalition zur Bekämpfung der IS im Irak gebildet hätten. US Verteidigungsminister Chuck Hagel zufolge umfasst sie die USA, Großbritannien, Australien, Kanada, Dänemark, Frankreich, Deutschland, Italien, Polen und die Türkei. Es wird gehofft, dass sich weitere Mitglieder ihr anschließen. Ein Einsatz von Bodentruppen wird weiterhin ausgeschlossen, aber Luftangriffe mit bemannten Flugzeugen und Drohnen und Waffenlieferungen an die Verbündeten vor Ort sollen anscheinend ausgeweitet werden. Ein umfassender Plan zur Bekämpfung der IS soll der UN-Generalversammlung vorgelegt werden, die sich später im September [nach Drucklegung dieses Friedensforums] treffen wird.

NATO-Erweiterung
Weiter auf der Tagesordnung blieb die perspektivisch und langfristig angelegte Aufnahme von neuen Mitgliedern, besonders von Moldawien und Georgien. Ihnen wurde, ebenso wie Jordanien und perspektivisch auch Libyen, Unterstützung bei der ‚Reform des Verteidigungs- und Sicherheitssektors‘ zugesagt. Mit Georgien wurde zudem ein ‚substantielles Paket von Maßnahmen‘ vereinbart, das Georgien an die NATO-Mitgliedschaft heranführen soll. Eine mögliche Mitgliedschaft der Ukraine wurde nicht weiter vorbereitet – hier ist wohl der NATO derzeit doch das Risiko zu hoch.

Und ein weiteres Land hat eine konkrete Perspektive, Mitglied zu werden: Montenegro. Über seinen Beitritt soll 2015 entschieden werden. Der Einflussbereich der NATO, so war vor dem Gipfel zu hören, soll durch neue „Partnerschaften für den Frieden“ auch in Richtung Asien ausgedehnt werden: Die Philippinen, Indonesien, Kasachstan, Japan und sogar Vietnam kommen in das Visier der NATO. Die Einkreisung von China lässt grüßen.

Die Situation in Afghanistan
Das Scheitern des militärischen Engagements der NATO wird in den Hintergrund gedrängt (übrigens auch von vielen aus der Friedensbewegung). Eine erneut gefälschte Wahl mit den Wahlsiegern der Warlords (wer auch immer Präsident wird), eine vollständige instabile innenpolitische Situation, Hunger und Armut prägen die Lage in diesem leidgeprüften Land. Verantwortlich dafür sind im Wesentlichen die USA und die NATO. Ein vollständiger Abzug steht nicht auf der Tagesordnung, stattdessen die Ratifizierung eines erneuten Besetzungsvertrages, den Karsai nicht mehr unterzeichnen wollte, und die Beibehaltung von ausländischen Truppenkontingenten in einer Höhe von ca. 10.000 SoldatInnen (darunter bis zu 800 Bundeswehrangehörige). Intensiviert werden soll der „comprehensive approach“, die zivil-militärische Zusammenarbeit. Eine gescheiterte Politik soll fortgesetzt werden. Die Leidtragenden sind weiterhin die Menschen in Afghanistan, denen jede Chance auf eine unabhängige, eigenständige Entwicklung ihres Landes, die auch die kriminellen Strukturen der Warlords überwinden hilft, genommen wird. Eine offensichtliche Nähe zu den USA und der NATO bei beiden Wahlsiegern verhindern eine eigenständige, friedliche Entwicklung des Landes.

Es  gilt noch immer: Frieden für Afghanistan muss erst noch erreicht werden. Die Zusammenarbeit aller Friedenskräfte in Afghanistan und der internationalen Friedensbewegung sollte weiter entwickelt werden. Wir dürfen Afghanistan nach nunmehr 35 Jahre Krieg (davon 13 Jahre NATO-Krieg) nicht vergessen - eine Herausforderung für die Friedensbewegungen.

Kein Frieden mit der NATO
Genügend Gründe für die Friedensbewegung, gegen diese Politik der Konfrontation, der Aufrüstung, der Feindbildkonstruktion und der weiteren Ausweitung der NATO gen Osten zu demonstrieren. Die Institution, die mit ihrer Politik wesentlich verantwortlich ist für die Krise und den Bürgerkrieg, will aus ihm Lebenselixier für ihre weitere Existenz saugen.

Der NATO-Gipfel 2014 zeigt erneut: Es gibt um des Friedens willen keinen Frieden mit der NATO. Diese gehört abgeschafft und durch ein System der gemeinsamen kollektiven Sicherheit und der Abrüstung ersetzt.

Dazu lohnte es sich, auch in Newport zu demonstrieren.

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Reiner Braun war Geschäftsführer der IALANA Deutschland und ist ehem. Co-Präsident des Internationalen Friedensbüros (IPB).