Interview mit einem Mitglied der israelischen Friedensbewegung

Nein zum Krieg

von Adam Keller

Adam Keller ist Redakteur der Zeitung "The Other Israel" und Mitglied mehre­rer Friedensorganisationen in Israel, u.a. dem "Israelian Council for Israeli-Pale­stinian Peace" und Yesh Gvul, einer Or­ganisation von Soldaten und Reservi­sten, die sich weigern, in den besetzten Gebieten Dienst zu tun. Aufgrund seines Friedensengagements hat er mehrere Monate im Gefängnis verbracht. Im Ja­nuar war er Mitbegründer des "Israelischen Komitees gegen den Golf­krieg", der wohl einzigen israelischen Gruppe, die sich aktiv gegen den Golf­krieg eingesetzt hat.

Während des Krieges besuchte Adam Keller Europa. Wir hatten Gelegenheit, ihm in Köln am 25. Februar ein paar Fragen zu stellen.

Red.: Welche Position nehmen Sie zum Golfkrieg ein?

Adam Keller (AK.): Ich bin gegen den Golfkrieg. Aber es ist in Israel schwie­riger, gegen den Krieg zu sein, als es in anderen Ländern ist, weil Israel ange­griffen wurde. Tatsächlich haben die Angriffe vergleichsweise wenig Scha­den angerichtetet - nur einen kleinen Teil des Schadens, der in Bagdad verur­sacht wurde. Dennoch herrscht ziemlich viel Angst in der Bevölkerung, weil jede Nacht die Möglichkeit eines Luftalarms besteht und dann müssen die Gasmas­ken aufgesetzt werden und Du mußt warten, bis Du die Explosion hörst. Du weißt nicht, wo die Rakete runtergehen wird, ob es auf Dein Haus ist oder das Haus Deines Vaters oder das Haus Dei­ner Freunde. Man fühlt sich sehr hilflos und dazu kommt noch die Angst vor ei­nem Gasangriff. Wenn man sich in solch einer Situation befindet, ist es sehr leicht, starke Haßgefühle gegen den Irak und gegen Saddam Hussein persönlich zu entwickeln und zu denken, daß die Amerikaner, die Hussein bekämpfen, eine gute Sache tun.

Wohlgemerkt: Was ist nicht meine poli­tische Position. Aber ich kann diese Po­sition verstehen. Es gibt viele Leute in der israelischen Friedenbewegung - Leute, die keine Militaristen sind und keine Rechten - die sagen, daß dieser Krieg sehr gut sei und daß die Amerika­ner ihn solange fortsetzen sollten, bis Saddam Hussein beseitigt sei.

Red.: Warum sind Sie gegen die­sen Krieg?

AK.: Dieser Krieg hätte vermieden wer­den können. Er ist kein notwendiger Krieg.

Die erste Ursache des Krieges war die Invasion in Kuwait und natürlich ist diese Invasion nicht zu rechtfertigen. Ich war gegen die israelische Besetzung der West Bank und obschon diese sehr brutal und inhuman ist, muß ich sagen, daß die irakische Besetzung Kuwaits noch brutaler und noch inhumaner ist. Aber ich glaube, daß die Okkupation Kuwaits ohne Krieg hätte beendet wer­den können. Je länger das Embargo an­dauerte, umso mehr sanken die Chancen Saddam Husseins und stiegen die Chan­cen der Kuwaiter.

Nur war Bush nicht an einer diplomati­schen Lösung interessiert. Er wollte dem Irak diesen Krieg aufzwingen. Wenn Bush Baker ein wenig mehr Ver­handlungsfreiheit in Genf gegeben hätte, anstatt ihn mit der Aufgabe auszusen­den, Saddam Hussein einfach Bedin­gungen zu diktieren, oder wenn er bereit gewesen wäre, den französischen Vor­schlag in Erwägung zu ziehen, hätte es viele Möglichkeiten gegeben, diesen Krieg zu vermeiden. Die Amerikaner taten es nicht, weil sie einen inoffiziel­len Plan hatten, nicht nur den Irak aus Kuwait herauszuwerfen, sondern die irakische Armee zu zerstören und Sad­dam Hussein zu stürzen.

Ebenso hätte die israelische Regierung, wenn sie bereit gewesen wäre, einen Friedensvorschlag an die Palästinenser zu richten, Hussein die Möglichkeit ent­ziehen können, sich zum Helden der Palästinenser zu machen. Dezember 1990 haben israelische Professoren eine Petition an die Regierung geschrieben, in der sie genau solch einen Schritt vor­schlugen. Natürlich erwarteten sie nicht wirklich, daß die Regierung diesen Vor­schlag akzeptieren werde.

Red.: Stimmen Sie der Äußerung des deutschen Grünen Strübele zu, der sagte, als er Israel besuchte, daß die Angriffe auf Israel die Schuld der is­raelischen Politik seien?

AK.: In Bezug auf die Grüne Delegation, die Israel besuchte, muß ich sagen, daß es sehr gerechtfertigt ist, die israelische Regierung zu kritisieren. Aber das rechtfertigt in keiner Weise die iraki­schen Angriffe auf die israelische Be­völkerung. Genauso wenig wie die Un­nachgiebigkeit Saddam Husseins und seine Weigerung, sich aus Kuwait zu­rückzuziehen, die Angriffe auf Zivili­sten in Bagdad rechtfertigt. Das möchte ich ganz klar betonen.

AK.: Außerdem möchte ich etwas zu der Frage - von der ich weiß, daß sie sehr umstritten ist - der Patriot Raketen sagen, die nach Israel geschickt werden sollen. Ich schätze die Gründe sehr, aus denen Menschen in der deutschen Frie­densbewegung es ablehnen, Waffen an überhaupt irgendein Land in der Welt zu exportieren und sie keine Ausnahme für die Patriot machen wollen. Doch muß ich sagen, daß ich diese Meinung nicht teile, auch wenn ich sie respektiere. Ich war bis vor ein paar Tagen in Israel und dort hing mein Leben zu einem gewis­sen Grad von diesen Patriot Raketen ab. In ein paar Tagen gehe ich zurück und dann werde ich wieder von ihnen ab­hängig sein. Daher kann ich nicht sagen, daß ich nicht will, daß diese Raketen nach Israel kommen.

Gleichzeitig meine ich aber, daß jeder, der Sympathie für Israel ausdrücken will, indem er sagt, daß er diesen Krieg befürwortet, Israel großen Schaden zu­fügt.

Das ist kein gerechter Krieg. Ich würde es nicht bedauern, wenn das irakische Volk Saddam Hussein stürzen würde, aber das ist nicht die Aufgabe anderer Völker. Es könnte im Irak zu einer Ab­spaltung der Schiiten wie im Iran kom­men, es könnte Chaos geben, es könnte sein, daß Irak ein neues Libanon mit ei­nem permanenten Bürgerkrieg und ich weiß nicht wieviel Leiden wird.

AK.: Zunächst mal ist der Zweck mei­nes Besuches, die europäische Friedens­bewegung wissen zu lassen, daß es in Israel eine Friedensbewegung gibt, die gegen den Krieg ist. Wir betrachten uns als einen Teil der Antikriegsbewegung in der Welt. Dann möchte jenen Men­schen eine Nachricht übermitteln, die den Namen Israels benutzen, um für den Krieg zu sprechen. Manche von ihnen tun dies aus rein manipulativen Grün­den. Aber zu denen, die es ehrlich mei­nen, möchte ich als ein Israeli sagen, daß sie mir nicht helfen. Wenn der Gor­batschow-Vorschlag angenommen wor­den wäre, dann säßen die Menschen diese Nacht nicht da, warteten auf den Luftalarm und bereiteten ihre Gasmas­ken vor.

Red.: Ist es etwas anderes für Sie, mit der deutschen Friedensbewegung zu sprechen als z.B. mit der Friedensbewe­gung in den Niederlanden?

AK: Das Geld, das die deutsche Regie­rung Bush gibt, um den Irak zu bekämp­fen, schadet Israel viel mehr als daß das Geld, das für die Patriots gegeben wird, Israel helfen würde. Die USA bringen Israel bewußt in Gefahr und sie wußten dies, als sie den Krieg begannen und ebenso, als sie den Gorbatschow-Vor­schlag ablehnten. Falls Hussein Israel mit Gas angreift, würde ich natürlich sagen, daß er verantwortlich ist, aber auch, daß Bush dafür die Mitverant­wortung trägt, weil er Hussein veran­laßte, es zu tun, obwohl es hätte vermie­den werden können.

Was Deutschland angeht: Es läßt sich nicht vermeiden, daß ein Israeli gegen­über Deutschland etwas andere Gefühle hat als gegenüber irgendeinem anderen Land in der Welt. Ich habe eine persön­liche Beziehung mit Deutschland, weil mein Vater in Berlin geboren wurde. Seine Familie mußte aus Deutschland fliehen, als er vier Jahre alt war. Ich trage einen deutschen Namen. Ich spre­che nicht deutsch, aber es ist ein Teil meines Hintergrundes. Und ich muß sa­gen, daß ich mich sehr ermutigt fühle, weil es in Deutschland heute eine so starke Friedensbewegung gibt, daß die­ses Land, das so viele Jahre in der Ver­gangenheit ein Beispiel für Krieg, Mili­tarismus, Eroberung usw. darstellte, heute der Welt ein Beispiel durch seine Friedensbewegung gibt.

Allerdings muß ich sagen, daß der Vor­wurf an die Friedensbewegung, daß sie anti-israelisch sei, nicht völlig unge­rechtfertigt ist. Es gibt einige solche Elemente in der Bewegung. Zum Bei­spiel: Als ich nach Köln kam, sah ich einen Spruch an einer Mauer "Israel raus aus Palästina" und ich muß sagen, daß mir dieser Ton nicht gefiel. Anders wäre es, wenn dort gestanden hätte: "Israel, mache Frieden mit den Palästi­nensern".

Es gibt Elemente in der deutschen Frie­densbewegung, die die Ablehnung der Politik der israelischen Regierung - die eine sehr falsche Politik ist und verur­teilt werden muß - mit der Ablehnung Israels verwechseln. Es ist Tatsache, daß 3,5 Millionen Menschen in Israel leben und es gibt keinen Grund, warum ir­gendjemand von ihnen verlangen sollte, ihr Land aufzugeben. Natürlich muß Is­rael genau dasselbe Recht den Palästi­nensern zugestehen.

Die Palästinenser sind die unbekannten Opfer dieses Krieges. Zu Beginn des Krieges wurde eine sehr strenge Aus­gangssperre gegen sie verhängt, jetzt zu Beginn des Bodenkriegs wieder. Es gab den Fall von Palästinensern, die an Krebs erkrankt sind, und denen nicht gestattet wurde, ihr Haus zu verlassen  um ins  Krankenhaus zu gehen. Israeli­sche Ärzte haben eine Pressekonferenz gemacht und von verlangt, diese Leute von der Ausgangssperre auszunehmen. Die Regierung stimmte nicht zu. Ich denke, daß es schrecklich ist, was die is­raelische Regierung den Palästinensern antut, es ist ein Verbrechen, das ge­stoppt werden muß. Aber das alles darf nicht heißen, gegen Israel zu sein.

Red.: Vielen Dank für dieses Gespräch.

Ausgabe