Kommission "Zukunft der Bundeswehr"

Neue Armeen für neue Aufgaben

von Tobias Pflüger
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Im Koalitionsvertrag der neuen rot-grünen Bundesregierung wurde festgeschrieben, dass eine Kommission "Zukunft der Bundeswehr" eingesetzt werden soll. Beim letzten NATO-Gipfel diskutierten die Regierungsvertreter der NATO-Staaten über ein neues strategisches Konzept der NATO. In den USA gibt es seit 1996 und 1997 neue strategische Konzepte für die US-Streitkräfte. Im Dezember bombardierten die USA und Großbritannien den Irak, ein Luftkrieg der menschenverachtend war und dazu noch völkerrechtswidrig.

Vier politische Ereignisse, die auf den ersten Blick wenig mit einander zu tun haben. Meine These ist, es gibt zwischen den Militäraktionen der USA gegen den Irak, den neuen US-Strategien, der neuen NATO-Strategie und der "Wehrstrukturkommission" direkte Zusammenhänge. Diese Zusammenhänge zeigen sich m.E. im Entstehen eines neuen Militärverständnisses und daraus folgend im Aufbau von Armeen neuen Typs.

Kommission "Zukunft der Bundeswehr"
Im Koalitionsvertrag heißt es: "Eine vom Bundesminister der Verteidigung für die neue Bundesregierung zu berufende Wehrstrukturkommission wird auf der Grundlage einer aktualisierten Bedrohungsanalyse und eines erweiterten Sicherheitsbegriffs Auftrag, Umfang, Wehrform, Ausbildung und Ausrüstung der Streitkräfte überprüfen und Optionen einer zukünftigen Bundeswehrstruktur bis zur Mitte der Legislaturperiode vorlegen. Vor Abschluss der Arbeit der Wehrstrukturkommission werden unbeschadet des allgemeinen Haushaltsvorbehalts keine Sach- und Haushaltsentscheidungen getroffen, die die zu untersuchenden Bereiche wesentlich verändern oder neue Fakten schaffen."
 

Ungefähr parallel mit dem Erscheinen dieses Friedens-Forums wird Rudolf Scharping die Mitglieder der Kommission "Zukunft der Bundeswehr" benannt haben, die Mitglieder sollen ausgewiesene Fachleute sein, ihre Arbeit beginnt im April. Es handelt sich nicht um eine Parlaments- sondern um eine Regierungskommission. Offiziell ist das Ganze "ergebnisoffen". Doch das Ergebnis der Kommission darf sich nur in einem bestimmten Rahmen bewegen: Es geht wie der neue Name sagt, um die "Zukunft der Bundeswehr", also wird bei einer Berufung wohl ein Bekenntnis zur Bundeswehr vorausgesetzt. Bis 31. März geben die Teilbereiche der Bundeswehr eine Bestandsaufnahme beim Verteidigungsminister ab.

Laut Scharping soll es Aufgabe der Kommission sein, die Bundeswehr auf "die neuen Erfordernisse" hin auszurichten. Es gehe darum, dass die Bundeswehr innerhalb der NATO kompatibel bleibe und technologisch Schritt halte mit den USA. "Die Neuausrichtung der NATO und die Neuausrichtung der Bundeswehr müssen in Einklang stehen". Die zuständigen Abgeordneten des Koalitionspartners Bündnis 90 / Die Grünen setzen etwas andere Prioritäten: Sie wollen zumindest auch über den Fortbestand der Wehrpflicht und den Umfang der Bundeswehr diskutieren. Angelika Beer geht davon aus, dass vor allem die Kräfte für die Landesverteidigung abgebaut, die `Krisenreaktionskräfte` jedoch personell aufgestockt und moderner ausgerüstet werden.

Konkret bedeutet die Koalitionsfestlegung, dass leider wohl alle (für die Krisenreaktionskräfte) wichtigen Beschaffungsentscheidungen wie geplant über die Bühne gehen können. Die endgültigen Beschaffungsbescheide der beiden für die Krisenreaktionskräfte wesentlichen Projekte Kampfhubschrauber Tiger und Gepanzertes Transportfahrzeug (GTK) fallen genau in diesen zwei Jahren. Der Eurofighter wird - erwartungsgemäß - nicht mehr gestoppt. Der laufende Ausbau der Krisenreaktionskräfte (KRK) und des Kommando Spezialkräfte (KSK) können abgeschlossen werden. Voll einsatzbereite und fertig ausgebildete Truppen aufzulösen, ist dann unwahrscheinlicher.

Wie problematisch die zwei Jahre `Bestandsgarantie` für die Bundeswehr sind, sagt der Heeresinspekteur Helmut Willmann ganz offen: "Das Heer bleibt zunächst in der jetzigen Struktur. Wir schließen darin die Aufstellung der KRK bis Ende `99 ab. Damit sind wir in der Lage, das gesamte Aufgabenspektrum zu erfüllen. ... Und diese Zeit benötigen wir auch im Sinne von Kontinuität und Konsolidierung. Wir nutzen diese Zeit, um die KRK auf modernsten internationalen Standard zu bringen."

In den nächsten 2 Jahren wird alles Relevante im Bereich Bundeswehr festgeklopft. Meiner Ansicht nach müssen wir als Friedensbewegung die zwei "Kommission- Jahre" nutzen, um eine inhaltliche Debatte über Sinn und Zweck der neuen Bundeswehr zu entfachen. Wir könnten Debatten und Podiumsdiskussion zwischen Friedensbewegung und Bundeswehr-, Parteien- oder Ministeriums-Vertretern organisieren. Die Kommission "Zukunft der Bundeswehr" soll nicht ohne Begleitprogramm über die Bühne gehen!
 

Qualitative Aufrüstung - quantitative Abrüstung
Ludger Volmer, grüner Staatsminister im Auswärtigen Amt, meinte, dass die Wehrpflicht nicht mehr zu halten sei. Diese Einschätzung teile ich. Mittelfristig wird die Wehrpflichtzeit weiter verkürzt werden, um dann später vielleicht mal ausgesetzt zu werden. So wird es also zu quantitativer Abrüstung kommen. Der Kernteil der neuen Bundeswehr, die Krisenreaktionskräfte, werden, nachdem wie es bisher aussieht, unter rot-grün wichtiger. Die Komponenten, die die neue Qualität der Bundeswehr ausmachen (Krisenreaktionskräfte - Kommando Spezialkräfte - Beschaffungsprojekte etc.) werden also voraussichtlich ausgebaut. Meine These ist, dass die Kommission "Zukunft der Bundeswehr" zu einem Ergebnis kommt, wie es in einem Gutachten eines Mitarbeiters des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages beschrieben wurde. (Oberstleutnant Roland Kaestner arbeitete zuvor bei Bündnis 90 / Die Grünen als Mitarbeiter für den Untersuchungsausschuss "Bundeswehr und Rechtsextremismus".) Nach einem Vergleich der Bundeswehr mit Streitkräften Großbritanniens, Frankreichs und der USA plädiert Kaestner, ähnlich wie zuvor schon in einem Beitrag in der Zeitschrift "Sicherheit und Frieden" für eine Abkehr "von der Option Landesverteidigung" hin zu einer Modernisierung der Bundeswehr "für neue Aufgaben".

Er denkt dabei an multinationale Einsätze unter Führung der US-Streitkräfte. Schwerpunkt der Modernisierung solle im Gerätebereich der weitere Ausbau der Kommunikations-, Aufklärungs- und Führungseinrichtungen sein. Erheblich kleinere Einheiten der Bundeswehr könnten effizienter eingesetzt werden. Kaestner schlägt also eine Verstärkung des laufenden Prozesses der quantitativen Abrüstung für eine qualitative Aufrüstung vor. Die Wehrpflicht würde dann fallen. Notwendig sei ein "tiefgreifenden Wandel in Struktur und Doktrin" der Bundeswehr.

Der jetzige Sprecher der Hardthöhe Detlef Puhl schrieb damals noch als Redakteur der Stuttgarter Zeitung am 18.11.1998: "Die Studie greift übrigens die bekannten Analysen des US-Generalstabs auf, der seine Überlegungen in der `Joint Vision 2010` niedergelegt hat." ... Dabei "spielt der Einfluss der technologischen Entwicklung auf die Kriegs- und Konfliktszenarien der Zukunft eine entscheidende Rolle." Es "wird vor der Gefahr gewarnt, dass die Technologielücke zwischen den USA und ihren europäischen Verbündeten wachsen könnte. Dies wiederum könne dann Auswirkungen auf den Zusammenhalt und die Zukunft des Bündnisses haben." Was ist nun diese US-Militärstrategie "Joint Vision 2010"?
 

US-Militärstrategien: "Joint Vision 2010" und "New Strategy" der einzigen Weltmacht USA
Leider geht es hier nicht um einen gemütlichen "Joint", sondern um knallharte Militärstrategien. Im Jahr 1996 legte John Shalikashvili, der damalige "Chairmann of Joint Chiefs of Staff" (also der Vorsitzende des gemeinsamen Stabes der verschiedenen US-Streitkräfte) ein Papier "Joint Vision 2010" vor. Darin wird festgestellt, dass die US-Streitkräfte in den letzten 15 Jahren (also unter Reagan, Bush und Clinton) grundlegend modernisiert wurden und nun die besten der ganzen Welt seien. Mit "Joint Vision" wird im Public-Relations-Stil eine Modernisierung und Effektivierung der US-Streitkräfte insbesondere mit Informations- und Kommunikationstechnik angeordnet. Die verschiedenen Teilstreitkräfte (Navy, Army, Air Force..) sollen in Zukunft besser zusammenarbeiten. Neue Kommunikationstechniken brächten Synergieeffekte. Managing-Strategien wie Effizienzsteigerung, Kosteneinsparungen, Rationalisierung, Optimierung, Vernetzung, "Konzentration auf Kernbereiche" werden nun auf das US-Militär angewandt. Ein Grundgedanke ist, "kleine Einheiten sollen mehr Verantwortung übernehmen". Das Massenheer der Vergangenheit soll abgelöst werden durch kleine Einheiten hochausgerüsteter "warfighting"-Profis, die höhere Entscheidungskompetenz haben werden. Einher geht damit eine Effektivierung der Waffen, mehr Zielgenauigkeit, größere Trefferquoten, größere Tödlichkeit ("lethality"), potenzierte Zerstörungsmacht, bessere Kommunikationseinrichtungen, schnelleres Operationstempo, koordinierteres Vorgehen im gesamten Schlachtraum ("battlespace"!). Geplant wird von den US-Militärs die Kriegsführung auf allen Ebenen (Luft, See, Boden, Weltraum!). Angestrebt wird eine "Full Spectrum Dominance" gegen staatliche oder nichtstaatliche Feinde. Das Feindbild ist klar umrissen, Feinde sind diejenigen, die gegen die US-Interessen agieren. Eine klare Analyse der Weltgeschehnisse und der jeweiligen US-Interessen findet sich im "New Strategy"-Papier aus dem Weißen Haus von 1997. Als zentrale US-Interessen der Außen- und Militärpolitik werden wirtschaftlicher Export und der Zugang zu Öl direkt genannt.

Zum aktuellen Kriegsfall heißt es dort u.a.: "Until that behavior changes, our goal is containing the threat Saddam Hussein poses to Iraq`s neighbors, its people, the free flow of Gulf oil and broader U.S. interests in the Middle East."

Die USA schreiben sich ganz klar die Rolle der einzigen Weltmacht zu. Dabei - und das zeigt, dass die Luftangriffe gegen den Irak kein Ausnahmefall waren - nimmt es sich die US-Regierung heraus, auch allein zu agieren, um ihre Interessen durchzusetzen. ("Because we are a nation with global interests, we face a variety of challenges to our interests, often far beyond our shores. We must always retain our superior diplomatic, technological, industrial and military capabilities to address this broad range of challenges so that we can respond together with other nations when we can, and alone when we must. We have seen in the past that the international community is often reluctant to act forcefully without American leadership. In many instances, the United States is the only nation capable of providing the necessary leadership for an international response to shared challenges.")
Alles Zukunftsmusik? Mitnichten!

Neue NATO-Strategie
Nach 1991 soll jetzt wieder eine neue NATO-Strategie beschlossen werden. Das Dokument ist geheim, doch es liegt eine Beschreibung von Seiten der Konrad-Adenauer-Stiftung vor von den bisherigen Diskussionen und Konfliktlinien zum neuen Strategischen Konzept der NATO. Insbesondere die unterschiedliche Gewichtung der europäischen Komponente der NATO vor allem zwischen den Regierungen Frankreichs und der USA dürfte ein Diskussionspunkt innerhalb der NATO sein. Der Autor, Karl-Heinz Kamp, schreibt dann: "Sollte es dabei zu einem Blockade innerhalb der Policy Coordination Group kommen, welche den Zeitplan der Konzeptentwicklung in Frage stellen würde, so könnten die USA auf die mehrfach vorexerzierte Praxis zurückgreifen, einen eigenen Textentwurf in das Bündnis einzubringen und durchzusetzen." Das macht die Bedeutung der USA innerhalb der NATO deutlich. Damit ist auch klar, dass sich viele Punkte aus den Strategiepapieren der USA in den Strategiepapieren der NATO wiederfinden werden.

Die begonnenen Tendenzen bei den NATO-Armeen auf eine geringere Anzahl von Einheiten zu setzen, die dafür kleiner und mobiler sind und die Aufteilung der NATO-Armeen in "Krisenreaktionskräfte" und Hauptverteidigungskräfte (vgl. Tobias Pflüger: Die neue Bundeswehr, Seite 20f.) sollen also - stimmt die Annahme, dass US-Strategiepapiere sich wesentlich in NATO-Strategiepapieren wiederfinden - mit der neuen NATO-Strategie verschärft fortgesetzt werden.

Die Bundeswehr hat schon heute eine Einheit, die den Beschreibungen in "Joint Vision 2010" gerecht wird: das Kommando Spezialkräfte (KSK). Die Bedeutung des Kommando Spezialkräfte als Symbol für die neue Bundeswehr (und der neuen NATO) wird damit noch wichtiger. Um so mehr sollten wir darauf drängen, dass das Kommando Spezialkräfte und andere Krisenreaktionskräfte der Bundeswehr als erste Schritte qualitativer Abrüstung aufgelöst werden.

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Tobias Pflüger ist stellvertretender Vorsitzender der Partei Die Linke. 1996 war er einer der Initiatoren für die Gründung der Informationsstelle Militarisierung (IMI).