"Neue Bundeswehr - Phase 2"

von Tobias Pflüger
Schwerpunkt
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1996 hatte ich für mein Buch folgenden Titel herausgesucht: "Die neue Bundeswehr- mit neuer Strategie, Struktur und Bewaffnung in den Krieg?" Neue Strategie, Struktur und Bewaffnung der neuen Bundeswehr wurden von 1996 bis 2000 Stück für Stück verwirklicht. Den ersten (Angriffs-)Krieg hat die Bundeswehr nun ebenfalls hinter sich. Jetzt folgt die Phase 2 der Umwandlung der Bundeswehr. Insbesondere zwei Aspekte der neuen Bundeswehr haben eine neue "Qualität": 1. Die Zusammensetzung des neuen Militärhaushaltes und damit zusammenhängend 2. Eine intensive zivilmilitärische Zusammenarbeit (insbesondere mit privaten Unternehmen).

1. Scharpings kriegsführungsfähige Bundeswehr
Es gibt noch Träumer, die glauben, die Bundeswehr sei zur Verteidigung da ... Na, ja träumen soll schön sein, nur mit der Realität hat dieser Traum nichts (mehr) zu tun. Die Bundeswehr ist zum Kriegführen da. Die Rolle der Bundeswehr im NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien war hier nur der Vorbote für künftige Kriegsbeteiligungen. Die von rot-grün versprochene Kontinuität in der Außenpolitik wurde in Sachen Bundeswehr tatsächlich auch eingehalten. Der "alten" Bundesregierung unter Kohl blieb es lediglich versagt, mit der Bundeswehr auch einen "richtigen" Krieg zu führen. Das setzte dann das Kriegskabinett Schröder, Fischer, Scharping auf seine ganz eigene Art um.

Rudolf Scharping (SPD) will die Bundeswehr auf 255.000 einsatzbereite Soldaten verkleinern. Zu den 255.000 "präsenten Kräften" kommen 22.000 Soldaten, die sich in Aus- und Fortbildung, Berufsförderung oder Erziehungsurlaub befänden. Der Wehrdienst wird ab 2002 von zehn auf formal neun Monate verkürzt, doch die neun Monate sind eine optische Täuschung, real sind es sechs Monate, theoretisch kämen dazu dann noch Wehrübungen von bis zu drei Monaten. Die Zeitung "Die Welt" schreibt zutreffenderweise: "Da im Ministerium kaum jemand davon ausgeht, dass ernsthaft Reservisten im großen Maßstab einberufen werden, ergibt sich aus der neuen Planung ein tatsächlicher Wehrdienst von nur noch sechs Monaten." Die für die Rekrutierung wichtige Möglichkeit für die Wehrpflichtigen, den Wehrdienst bei deutlich besserer Bezahlung "freiwillig" auf 23 Monate zu verlängern, soll beibehalten werden. Nach den Scharpingschen Plänen soll die Bundeswehr dann 180.000 bis 200.000 Zeit- und Berufssoldaten haben. Der Zivildienst (vermutlich 10 Monate) wäre damit wohl um ein Vielfaches länger als der reale Dienst bei der Bundeswehr. Zentral ist die zukünftige Größe der "Einsatzkräfte", sie soll 150.000 Soldat/inn/en betragen, das ist fast eine Verdreifachung von vor dem Jugoslawienkrieg (53.600 Soldat/inn/en)!
 

Zentrale Aussagen im verbindlichen "Eckpunkte"-Papier Rudolf Scharpings sind diejenigen, die die Fähigkeit der Bundeswehr an Kriegen teilzunehmen "verbessern" sollen: "Die Bundeswehr muss in der Lage sein, sich gleichzeitig an zwei Operationen mittlerer Größe zu beteiligen", "Die Ausrüstung der Bundeswehr wird umfassend modernisiert", "Die Verbesserung der strategischen Verlegefähigkeit hat erste Priorität" etc.

Hans-Peter von Kirchbach, der "Held des Oderbruchs", hat als Generalinspekteur der Bundeswehr ausgedient, die Bundeswehr als Hilfsverein zu verkaufen, ist nicht mehr notwendig. Sein Nachfolger als Generalinspekteur ist Harald Kujat. Kujat hat umfangreiche Erfahrung mit der Bundeswehr im Einsatz, er war als NATO-Vertreter in Sarajevo, und er gilt zusätzlich als SPD-nah. Kujat steht für den neuen Kriegskurs der Bundesregierung.

Die Bundeswehrveränderung wird ganz schnell eingetütet, damit sich kein Widerstand regt, die Angriffsfähigkeit der Bundeswehr wird strukturell, finanziell und personell abgesichert.

Scharping bringt es auf den Punkt: "Viel wahrscheinlicher ist, dass auf dem Territorium anderer Länder deutsche Sicherheit verteidigt werden muss. Dazu braucht man Truppen, die beweglicher, leichter verlegbar und über längere Distanzen versorgbar sein müssen."

2. Alle drei vorliegenden Konzeptionen stellen einen weiteren Schritt zur Kriegsführungsfähigkeit dar
Krieg und Kriegsführung sind mit der neuen NATO-Strategie auch für die Bundesrepublik und damit die Bundeswehr wieder zum "normalen" Mittel von Politik geworden. Zentrales Ziel in der jetzt folgenden Debatte muss es sein, eine strukturelle Kriegsführungsunfähigkeit und strukturelle Angriffsunfähigkeit der Bundeswehr zu erreichen. Dies ist insbesondere dann möglich, wenn die Komponenten der Bundeswehr abgerüstet werden, die militärisch die Kriegsführungsfähigkeit herstellen und die gefährlichste militärische Qualität ausmachen, nämlich die Krisenreaktionskräfte bzw. Einsatzkräfte von 157.000 Soldat/inn/en (Kirchbach-Papier), 140.000 Soldat/inn/en (Kommissions-Bericht) bzw. 150.000 Soldat/innen (Scharping).

Deshalb lautet die Forderung der Informationsstelle Militarisierung: "Qualitative Abrüstung einleiten, Auflösung der Krisenreaktionskräfte bzw. Einsatzkräfte einschließlich der Elitekampftruppe Kommando Spezialkräfte (KSK)".
 

Friedensbewegung und kritische Friedensforschung könnten in drei aufgestellte Fallen laufen:

a. Reduzierung ist nicht gleich Abrüstung: Die Reduzierung der Bundeswehr auf 255.000 (Scharping), 240.000 (Kommission) oder 290.000 (Kirchbach) Mann und Frau ist keine Abrüstung, es ist aufgrund der Aufstockung der Einsatzkräfte (früher Krisenreaktionskräfte / KRK) eine qualitative Aufrüstung!

b. Die isolierte Forderung nach Abschaffung der Wehrpflicht ist kontraproduktiv. Die Abschaffung der Wehrpflicht ist weder im Kirchbach-Papier noch im Kommissionsbericht vorgesehen. Aber insbesondere im Kommissionsbericht wird mit der Einführung eines "Auswahlwehrdienstes" das Ende der Wehrpflicht eingeläutet. Das Ende der Wehrpflicht wäre endlich das Ende eines staatlichen Zwangsdienstes. Die Frage der Wehrpflicht ist jedoch nicht die zentrale Frage der deutschen Militärpolitik. Die zentrale Frage ist, ob eine Interventionsarmee gewünscht wird oder nicht.

c. Die Beibehaltung der Wehrpflicht als Verhinderungsinstrument gegen eine Interventionsarmee ist ein Trugschluss: Auch bisher gingen Wehrpflicht und der Ansatz einer Interventionsarmee zusammen. Ein Beibehalten der Wehrpflicht verhindert die Kriegsführungsfähigkeit nicht. Das Kirchbach-Papier hatte als Vorgabe, genau die Kombination von Wehrpflicht und Interventionsarmee zu erreichen, der Kommissionsbericht versucht mit der Einführung der Auswahlwehrpflicht beides unter einen Hut zu bekommen. Nach wie vor bleibt für die Bundeswehrführung die Wehrpflicht die "beste" Rekrutierungsmöglichkeit von späteren Berufs- und Zeitsoldaten. Deshalb: Pro-Wehrpflicht-Positionen sind kontraproduktiv!

3. Der neue Militärhaushalt 2000 - 2001 munter steigend ...
Der bundesdeutsche Militärhaushalt 2000 betrug 59,6 Milliarden DM (nach NATO-Kriterien). Bezogen auf 1999 ist das eine Steigerung um 1,3 Milliarden DM, 1999 betrug der bundesdeutsche Militärhaushalt 58,3 Milliarden DM. Der offizielle Militärhaushalt, der sogenannte Einzelplan 14 wurde von 47,3 Milliarden DM (1999) auf 45,3 Milliarden DM abgesenkt. Die Kosten für den Besatzungseinsatz der Bundeswehr im Kosovo - für das Jahr 2000 2,0 Milliarden DM - wurden in den "Allgemeinen Finanzhaushalt" (Einzelplan 60) verschoben, so dass es quasi zwei Militärhaushalte gab. Der Einzelplan 14 setzt sich zusammen aus folgenden Einzeltiteln: Personalausgaben (23,15 Mrd.), Forschung, Entwicklung, Erprobung (2,36 Mrd.), Materialerhaltung und -betrieb (4,18 Mrd.), Sonstige Betriebsausgaben (6,74 Mrd.), Sonstige Investitionen (1,6 Mrd.) und Militärische Beschaffungen (6,91 Mrd.). Die 2 Milliarden des Einzelplan 60 waren wiederum aufgeteilt in Personalausgaben (548 Mio.), Materialerhaltung und -betrieb (347,7 Mio.), Militärische Anlagen (51,2 Mio.), Forschung, Entwicklung, Erprobung (31,0 Mio.), Militärische Beschaffungen (735,3 Mio.) und sonstige Betriebsausgaben (286,9 Mio.) DM.
 

Zu diesen Ausgaben kommen die Militärausgaben im Forschungsetat, im Einzelplan 33 (Pensionen etc.), und in den anderen Haushaltstiteln dazu, so dass 2000 59,6 Mrd. DM für Militär ausgegeben werden. Die finanzielle Dimension bundesdeutscher Militärausgaben und der z.T. sehr problematischen staatlichen Programme der zivilen Konfliktbearbeitung zeigen das (Un-)Verhältnis von Anstrengungen im Zivilbereich und im Militärbereich. 17,5 Millionen DM sind im Haushalt 2000 für beide Programme ziviler Konfliktbearbeitung (Auswärtiges Amt und Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit) vorgesehen. Das ist ein Verhältnis von 3.405 : 1. Oder 0,00029 % der Militärausgaben werden für diese zivilen Programme ausgegeben.

Für das Jahr 2001 ist der Überblick schwieriger, da noch keine Erläuterungen zum Haushalt vorliegen. Auch ist unklar, wie sich das beschlossene Eckpunkte-Papier von Rudolf Scharping konkret schon auf den Haushalt 2001 auswirken wird. Unter der Überschrift "Bundeswehretat wird jährlich um zwei Milliarden wachsen" gab Rudolf Scharping der Zeitung "Die Welt" ein Interview. Am 30.11.1999 sprach Scharping als "Lehre aus dem Kosovo-Krieg" sogar von notwendigen Investitionen in den nächsten 10 Jahren von 20 Milliarden für neue Kriegswaffenprodukte und Kriegswaffentechnologie.

Zudem kann Scharping jetzt 80 % der Verkaufserlöse von Militärgeräten (aber nur bis zu 1 Mrd. DM) wiederverwenden. Für 2002 sind schon 1,2 Mrd. DM eingeplant. Das bedeutet, dass nun auch die Bundeswehrführung Interesse am Verkauf von Kriegswaffen hat und damit der Kriegswaffenexport staatlich angekurbelt wird. Staatliche Waffenexporte als wirtschaftlicher Anreiz für "bessere" Interventionsfähigkeit!

Die kriegstauglichere neue Bundeswehr greift viel weiter in zivile Bereiche der Gesellschaft ein, als das bisher der Fall war. Die Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr und Wirtschaft ist hier nur der Vorreiter: Die Bundeswehr hat während des Jugoslawien-Krieges begonnen mit ausgewählten Kliniken zivilmilitärisch zusammenzuarbeiten, d.h. es gibt dort einen gegenseitigen Austausch von Personal "schon in Friedenszeiten" für die spätere Nutzung bei "Landes- und Bündniseinsätzen". Das Urteil zu Frauen in die Bundeswehr passt hervorragend in die neue Militärkonzeption: Es fehlen der Bundeswehr derzeit Freiwillige, also Menschen die den tödlichen Job machen wollen. Diese Lücke kann nun mit engagierten Frauen aufgefüllt werden. Sehr gut ist, dass sich nach jüngsten Meldungen "nur" 650 Frauen freiwillig bei der Bundeswehr gemeldet haben. Nichtregierungsorganisationen (NGOs) werden immer häufiger genutzt als Begleitprogramm zur Kriegspolitik. Die zivilmilitärische Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr und Wirtschaft wird als "Eine strategische Partnerschaft auf dem Weg in den modernen Staat" bezeichnet. Zu den inzwischen 293 Firmen gehören auch bisher vollständig zivile Firmen aus allen möglichen Branchen. Wieder findet eine zivilmilitärische Vermischung statt. Kriegsführung wird teilprivatisiert.
 

Sicher sind zudem bisher folgende Entwicklungen für den Haushalt 2001: Weitere zentrale Kriegswaffenprojekte für die neue Interventions-Bundeswehr werden nun haushaltsrelevant: Die Gelder für das GTK (Gepanzerte Transportfahrzeug) gehen genauso in die Höhe wie die Zahlen für den Kampfhubschrauber Tiger. Die Gesamtkosten des Eurofighter sollen - erwartungsgemäß - nicht 23 Mrd. sondern 29 Mrd. betragen (Na. ja, da wird es noch weitere Milliardensteigerungen geben).

Der gesamte Militärhaushalt 2001 ist aber unseriös durchfinanziert und es wird einige (Militär-)Nachtragshaushalte geben: Nach Angaben von Paul Schäfer (PDS-Abrüstungs-Mitarbeiter im Bundestag) ist für das neue Transportflugzeug (das nun von Airbus kommen soll) nur ein Leertitel eingesetzt. Das wird ebenfalls weitere Milliarden-Beträge bedeuten. Doch nicht genug: Am 07. Juli kündigt Rudolf Scharping ein eigenes deutsches Satelittenprogramm an: "Deutschland will bis zum Jahre 2004 ein eigenes Satellitenaufklärungssystem in Betrieb nehmen. Das kündigte Verteidigungsminister Rudolf Scharping vor Journalisten in Berlin an. Er habe dafür ein Projektteam eingerichtet, das die bisherigen Planungszeiten drastisch senken soll. Damit werde es möglich, weit vor dem bisher geplanten Datum 2006 das Satellitensystem aufzubauen. Die dafür notwendigen Mittel in Höhe von 700 bis 800 Millionen DM seien bereits im Haushalt eingestellt. Der Minister betonte, dieses System sei auch für andere NATO-Partner offen. Doch werde Deutschland das Vorhaben notfalls auch alleine machen." Die langfrsitigen Kosten dieses Harakiri-Programms sind noch nicht absehbar.

Die Scharpingsche Quadratur des Kreises geht weiter: Die nächsten Jahre werden Steigerungsraten beim Militärhaushalt erreicht werden, wie sie unter der alten Regierung nie erreicht wurden, rot-grün machts möglich.

Weitere Informationen: http://www.imi-online.de und http://www.tobias-pflueger.de

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Tobias Pflüger ist stellvertretender Vorsitzender der Partei Die Linke. 1996 war er einer der Initiatoren für die Gründung der Informationsstelle Militarisierung (IMI).