Neue Zeiten erfordern neue Instrumente

von Kathrin Vogler

Wozu braucht die Friedensbewegung noch ein Koordinierungsgremium? Haben wir nicht mit den verschiedenen Dachverbänden, Netzwerken, Trägerkreisen und Aktionsbündnissen ausreichend Struktur, um gemeinsam politisch handlungsfähig zu sein? So lauten die kritischen Fragen einiger Aktiver an die neu gegründete Kooperation der Friedensbewegung. Um darauf sinnvoll antworten zu können, kommen wir um eine ehrliche Analyse des Bestehenden nicht herum, mag sie auch für den einen oder anderen schmerzhaft ausfallen.

Um es gleich vorweg zu sagen: Alle existierenden Strukturen und Organisationsformen innerhalb der Friedensbewegung haben ihre Berechtigung und ihre Verdienste um diese Bewegung. Jedes Netzwerk erfüllt eine bestimmte, wichtige Aufgabe, aus deren Gesamtheit sich das politische Bild einer vielfältigen und bunten Bewegung zusammensetzt. So hat zum Beispiel das Netzwerk Friedenskooperative in Bonn einen umfangreichen Dienstleistungsbetrieb für Friedensinitiativen und -organisationen aufgebaut, mit Dokumentationsservice, Termindatenbank, Recherchehilfen, Presseverteiler und der Zeitschrift Friedensforum und unterstützt damit die Aktiven auf allen Ebenen. Der Friedenspolitische Ratschlag in Kassel hat seit nunmehr 10 Jahren einen festen Ort für die Diskussion friedenspolitischer und -wissenschaftlicher Fragen und eine umfangreiche Dokumentation dieser Themen in seinen Friedensmemoranden und auf der Homepage geschaffen. Themenzentrierte Zusammenschlüsse wie der Trägerkreis "Atomwaffen abschaffen", die Plattform Zivile Konfliktbearbeitung oder das Deutsche Aktionsnetz Kleinwaffen Stoppen (DAKS) bündeln Fachwissen und entwickeln Aktionsideen in ihrem jeweiligen Fachgebiet. Für zentrale Aktionen werden jeweils aktuelle Bündnisse ins Leben gerufen, wie zuletzt das Aktionsbündnis 15. Februar gegen den Irakkrieg.

Was keine dieser vielen Strukturen jedoch leistet, ist eine längerfristige, strategische Zusammenarbeit über die einzelne Aktion, das jeweilige politisch-weltanschauliche Spektrum bzw. das Spezialthema hinaus. Genau das ist jedoch ein Bedürfnis vieler Aktiver aus unterschiedlichen Gruppen angesichts der enormen Herausforderungen, vor denen die Friedensbewegten derzeit stehen. Wir erleben einen US-Präsidenten, der die Weltöffentlichkeit auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte des Kriegs vorbereitet. Wir haben eine Bundesregierung, die auf die Herausforderung durch den US-Allmachtsanspruch mit dem Aufbau einer europäischen Streitmacht reagieren und die Bundeswehr vollständig zur Interventionsarmee umbauen will. Wir sehen, dass tagtäglich nicht nur Tausende Menschen an Kriegen zu Grunde gehen, die mit Waffen aus den reichen Industrieländern geführt werden, sondern dass (auch) wegen dieser Waffen und Kriege Hunderttausende hungern und verhungern. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, dass auch in unserem Land die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander klafft, dass die strukturelle Gewalt einer Agenda 2010 Millionen noch weiter an den Rand drängen wird, um MillionärInnen das Leben zu erleichtern. Wir müssen uns einstellen auf weitere Rohstoff- und Energiekriege, solange ein kleiner Teil der Menschheit den Löwenanteil an den Ressourcen unseres Planeten in Anspruch nimmt. Gegen all diese Gefahren werden wir nur ankommen, wenn es uns gelingt, unsere Bewegung noch stärker zu vernetzen mit der Ökologiebewegung, mit den Eine-Welt- und Solidaritätsgruppen und den GlobalisierungskritikerInnen. Unsere positiven Alternativen - Stichworte: Frieden, Gerechtigkeit, Solidarität, Bewahrung der Umwelt - werden wir dauerhaft nur durchsetzen können, wenn es uns gelingt, sie in gesellschaftlichen Großorganisationen wie Kirchen, Gewerkschaften und (ja, auch!) Parteien solide zu verankern. Dazu brauchen wir Strukturen, die eine gewisse Verbindlichkeit haben, die in ihrer Zusammensetzung und Arbeitsweise nach außen und innen größtmögliche Transparenz zeigen. Deswegen hat sich die Kooperation für den Frieden mit ihrer Grundsatzerklärung und ihrem Arbeitspapier eine klare inhaltliche Grundlage gegeben, die für alle erkennbar auf dem Tisch liegt.

Allein über die Verteiler der 33 Mitgliedsgruppen kann die Kooperation schätzungsweise 100.000 Menschen unmittelbar ansprechen, obwohl keine einzelne Friedensorganisation in Deutschland viel mehr als 5000 Mitglieder hat. Für die einzelnen Gruppen der Kooperation ist dies eine ungeahnte Chance, Ideen, die sie entwickelt haben, zum Durchbruch und zur politischen Wirksamkeit zu bringen. Dass die Mitwirkenden diese Chance sofort erkannt haben, zeigte sich bei der ersten Vollversammlung der Kooperation im Mai an der Zahl und Qualität der vorgelegten Aktionsvorschläge: 14 knapp skizzierte Ideen lagen auf dem Tisch, von denen drei kurzfristig umzusetzende gleich aufgegriffen wurden (Aufruf zum Zug nach Evian, Friedensaktionen beim ökumenischen Kirchentag und Ausarbeitung "friedenspolitischer Richtlinien"). Aus den anderen Vorschlägen werden sich bei einem Strategieseminar am 27./28. September diejenigen vielleicht zwei oder drei herauskristallisieren, welche sich die Kooperation zur gemeinsamen Sache macht und weiterentwickelt. Das bedeutet nicht, dass die anderen als "abgelehnt" in die Altpapiertonne wandern, sondern auch hierfür bietet sich die Möglichkeit, neue Bündnisse zu schließen und MitstreiterInnen zu gewinnen.

Bei der großen Vielfalt von Friedensgruppen, sowohl was die inhaltliche Schwerpunktsetzung, als auch was Arbeitsweise, Zielgruppen und Selbstverständnis angeht, kann Verbindlichkeit nur hergestellt werden, wenn möglichst viele von ihnen an der Vorbereitung und Diskussion von Entscheidungen beteiligt sind. Eine solche gleichberechtigte und partizipative Entscheidungsfindung - von der lokalen Friedensinitiative mit ein paar Dutzend Menschen bis zum Dachverband mit einigen Tausend und hauptamtlicher Unterstützungsstruktur - die zugleich berücksichtigt, dass größere Organisationen in der Regel längere und kompliziertere Entscheidungsprozesse brauchen als kleine, gibt es bisher noch nicht. Hier wird es darum gehen, einen Teil der "anderen Welt", die wir uns erstreiten wollen, schon vorzuleben. Ohne die gefürchteten Hahnenkämpfe und ohne den Versuch, sich gegenseitig das ernsthafte Friedensengagement abzusprechen. Vor allem jedoch ohne jeden Alleinvertretungsanspruch. Die Kooperation für den Frieden ist für alle Gruppen und Initiativen offen, die mitwirken wollen. Auch Parteien sind als Beobachter willkommen mitzudiskutieren und mitzuentwickeln, wenn auch nicht als Mitwirkende, weil sich die Kooperation ausdrücklich parteipolitisch unabhängig halten will. Die Kooperation erhebt aber nicht den Anspruch für "die" Friedensbewegung zu sprechen. Sie vertritt die von ihren Mitwirkenden gemeinsam entwickelten Positionen in der Öffentlichkeit, unterstützt ihre Mitwirkenden bei der Bekanntmachung ihrer Aktivitäten und versucht, die vorhandenen Ressourcen so zu bündeln, dass sie effektiver für unsere Ziele eingesetzt werden können. Dazu gehört natürlich gerade der Austausch auf der Arbeitsebene der Organisationen, konkret der Vorstände und Hauptamtlichen. Wenn einige Leute in der Diskussion nun so tun, als ginge es um Beschäftigungstherapie für "FunktionärInnen", dann ist dies eine unredliche Diffamierungskampagne, die wieder das alte Spiel treibt, "organisierte" und "unorganisierte" Friedensleute gegeneinander auszuspielen um eigene Machtbestrebungen zu verschleiern. Eigentlich alle, die auf überörtlicher Ebene friedenspolitisch aktiv sind, haben keinerlei Bedarf an zusätzlichen Aufgaben, im Gegenteil. Und wenn ein kleiner Verein wie der Bund für soziale Verteidigung (BSV) eine viertel Stelle zur Verfügung stellt, um die Kooperation in ihrer Gründungsphase zu unterstützen, anstatt seine Geschäftsführerin an der Profilierung des eigenen "Ladens" arbeiten zu lassen, dann muss das Bedürfnis für diese neue Form der Zusammenarbeit wirklich drängend sein, denn wir (der BSV) müssen unseren Mitgliedern und SpenderInnen gegenüber diese Entscheidung vertreten. Diese Mitglieder und SpenderInnen sind übrigens auch in anderen Organisationen diejenigen, die den viel gescholtenen "FunktionärInnen" ihre Aufträge erteilen und die (meist knappen) Gehälter bezahlen. Damit wäre auch gleich das zweite diffamierende Gerücht aus der Welt zu schaffen: Nein, die Kooperation für den Frieden erhält weder Mittel der Bundesregierung oder der diese tragenden Parteien noch nimmt sie Aufträge von dort entgegen. In unseren Grundsätzen der Zusammenarbeit ist geregelt, dass jede Mitgliedsorganisation die Kosten ihrer Mitarbeit selbst trägt. Das bedeutet in unserem Fall: Jedes Mitglied der IPPNW, der DFG-VK, von Pax Christi, von ver.di und all den anderen Organisationen trägt seinen Teil dazu bei. Damit haben wir eine Transparenz, die sicher in manch anderem Bündnis nicht möglich wäre.

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