ATTAC-Kongress in Berlin

Noch ist es ganz spannend

von Werner Rätz
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Weit mehr als zweieinhalb Tausend Menschen versammelten sich am 19. - 21.10. zum Kongress von ATTAC in Berlin. Wir hatten uns bei Planungsbeginn 1.000 als Zielmarke gesetzt, diese Erwartung zwischenzeitlich sogar einmal auf 600 reduziert. Es war viel Prominenz da, die Stimmung war gut, kleine organisatorische Mängel wurden locker verziehen. Also ein voller Erfolg? Das kommt drauf an.

Natürlich sind die beschriebenen Umstände erst einmal als Erfolg zu werten. ATTAC hat sich als ein Akteur erwiesen, der in der Lage ist, neue Leute (und auch teilweise Leute neu) zu bewegen. Wir hatten auch in der "ila" immer vermutet, dass es zahlreiche Menschen geben würde, die eine tiefe Unzufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen empfinden, diese aber nicht in Aktivität umsetzen. Das schien uns viel damit zu tun zu haben, dass sie keine Angebote vorfanden, die ihnen für eigene Beteiligung überzeugend erschienen. ATTAC ist für viele ein überzeugendes Angebot. In Berlin überwogen die jungen Jahrgänge so deutlich wie seit langem nicht mehr. Allein diese Tatsache rechtfertigt und lohnt das gesamte Engagement in und für ATTAC.

Die Konzeption des Kongresses war stark durch ein Angebot zum Mitmachen geprägt: Den ganzen Samstag lang sollten workshops und andere Veranstaltungen in Eigenverantwortung von Gruppen inner- und außerhalb von ATTAC stattfinden. Es gab über 120 Bewerbungen darum, einige mussten zusammengefasst werden, weil die Räumlichkeiten nicht ausreichten. Die Themen waren sehr breit, keineswegs dominierten die ursprünglichen ATTAC-Themen bezüglich der Finanzmärkte. Auch ausdrückliche Kritik an ATTAC fand einen Platz. Viele AGs dienten der Wissensvermittlung, zahlreiche auch konkreten Aktionsüberlegungen; die wenigen, die ausdrücklich Kontroversen austrugen, waren allerdings gut besucht.

Die (prominenteren) PlenumsrednerInnen verstanden es, die Stimmung des Publikums zu treffen. Dabei spielte eine Rolle, dass alle ohne Ausnahme den Krieg in Afghanistan verurteilten: ATTAC machte deutlich, dass es Teil der Friedensbewegung ist. Selbst Redner, die sich vorher nicht ausdrücklich auf ATTAC bezogen hatten, identifizierten sich hier mit der neuen Bewegung und äußerten die Hoffnung, auch alle TeilnehmerInnen bald als Attacies begrüßen zu können.
 

Es gab auf dem Kongress überhaupt ein deutlich spürbares Bedürfnis, Übereinstimmung, ja Identität zu demonstrieren: Fast jede halbwegs richtige Aussage wurde beklatscht, Mängel im Ablauf großzügig übersehen, nie habe ich so wenig Mühe bei der Moderation einer Veranstaltung mit mehr als 100 TeilnehmerInnen gehabt. Es war deutlich, dass sich hier eine Bewegung selbstbewusst als im Aufbruch empfunden und dargestellt hat.

Hinter dieser Erfolgsgeschichte wird bei genauem Hinsehen eine zweite Ebene deutlich, die zukünftig Aufmerksamkeit verdient. Manche Äußerung zeugte von einem allzu simplen Verständnis von Politik - Widersprüche wahrzunehmen und in ihnen zu denken, waren nicht alle gewohnt. Selbstverständlich zieht eine erfolgreiche Bewegung auch alle möglichen Schrate an, Weltverbesserer, die einfache Formeln anbieten wie der Kollege, der vorschlug, alle sozialen Transfergelder von über einer Billion DM in einem Fond zusammenzufassen und damit den gesamten Privatkapitalismus niederzukonkurrieren!

Auch einige RednerInnen äußerten manche Absonderlichkeit: Jean Ziegler z.B. beschrieb das Finanzkapital als eine kleine Gruppe von wenigen hundert Personen fern von jeglicher produktiver Anbindung an den Börsen spekulierend - da wird unangenehm die Erinnerung an angebliche "jüdische Weltverschwörungen" geweckt. Oder Susan George distanzierte sich nicht nur von militanten Aktionsformen innerhalb von ATTAC (das entspräche dem ATTAC-Konsens), sondern tendenziell auch von den TrägerInnen der Militanz, um dann im nächsten Gedanken zu sagen, wir sollten aufhören, immer im Kreis auf die Nächststehenden zu feuern und endlich gemeinsam die Gegner unter Feuer nehmen (das militaristische Bild ist von ihr).

ATTAC ist tatsächlich eine Bewegung im Aufbruch und es ist verständlich, dass nicht alles zu Ende diskutiert und bedacht ist. Es ist gerade ein wesentlicher Grund für den Erfolg von ATTAC, dass Menschen da einfach mitmachen können, ohne das Gefühl zu haben, sie müssten nachweisen, was sie können und wissen. Das sollte unbedingt auch so bleiben. Aber der Kongress hat beim genauen Hinschauen deutlich werden lassen, dass es eine Reihe von Fragen unter der Oberfläche gibt, die Aufmerksamkeit verdienen und zukünftig bearbeitet werden müssen.

Allerdings, und das ist die dritte Ebene, zeigt der Blick unter die Oberfläche auch Erfreuliches: Alle PlenumsrednerInnen (bis auf Horst Eberhard Richter, der zum Thema Krieg sprach) sprachen die Frage der Privatisierung der sozialen Sicherungssysteme an. Noch vor gut einem Jahr schien die Beschäftigung mit der Privatisierung der Rente ein Randthema zu sein - inhaltlich besteht inzwischen Konsens, dass diese Fragen in Zentrum der Arbeit von ATTAC gehören, auch wenn das in der Medienberichterstattung nicht rüberkam.

Es gab und gibt nach wie vor eine große Bereitschaft, aufeinander zu hören. Selten habe ich unterschiedliche Meinungen so unaufgeregt nebeneinander erlebt wie auf diesem Kongress. Die Bereitschaft, sich Wissen und Erfahrung von anderen anzueignen, ist sehr groß. Das kann selbstverständlich zu einem beliebigen Nebeneinander unvereinbarer Meinungen führen, aber es bietet auch die Chance, dass erstmals seit langer Zeit die Lehren aus den Mühen der Älteren nicht (zumindest nicht alle) verloren gehen.

Radikal antikapitalistische Positionen waren deutlich in der Minderheit, aber sie wurden nicht ausgegrenzt, waren nicht isoliert. Ähnliches gilt für bestimmte feministische Ansätze: Die Gründung eines Frauennetzwerkes in ATTAC fand sehr viel Beifall.

Damit ist nichts über die zukünftige Bedeutung solcher Positionen gesagt. Aber gegenwärtig bietet ATTAC tatsächlich das offene Forum, in dem eine neue Zusammenarbeit verschiedener linker Kräfte probiert werden kann. Das Ergebnis ist unklar, natürlich kann das alles sehr bald in eine Richtung kippen, wenn Druck und Umarmungsversuche (die auch in Berlin deutlich wurden) zunehmen, aber noch ist es ganz spannend.

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Werner Rätz ist aktiv bei der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn und für diese im Koordinierungskreis von Attac Deutschland, ebenfalls im Blockupy-Kokreis. Webseite: www.werner-raetz.de