Seebrücken-Demos bundesweit

Notstand der Menschlichkeit ausgerufen!

von Dana A.
Initiativen
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Tausende Menschen demonstrierten bundesweit in verschiedenen Städten am 6. Juli gegen das EU-verantwortete Sterben im Mittelmeer, für sichere Fluchtwege und sichere Städte, für eine humane Migrations- und Asylpolitik. Wir dokumentieren hier die Rede von Dana von der Seebrücke Bonn.

Herzlich Willkommen!

Ich bin Dana von der Seebrücke Bonn und zuerst einmal möchte ich Danke sagen, dass unserem Aufruf heute so viele Menschen gefolgt sind. Auch wenn wir heute aus einem traurigen Anlass hier stehen, ist es schön zu sehen, wie viele wunderbare Menschen sich mittlerweile mit den SeenotretterInnen solidarisieren und das Sterben auf dem Mittelmeer nicht länger hinnehmen wollen.

Vor genau einem Jahr hat sich die Bewegung Seebrücke bundesweit gegründet. Grund dafür war das Wegsehen der EU, als tausende Menschen unmittelbar vor ihrer Grenze im Mittelmeer ertrunken sind. Zudem schafften die EU-Staaten staatliche Seenotrettung ab und begannen, die zivile Seenotrettung zu blockieren.

Ich dachte damals, dass alles kann nicht wahr sein. Ich dachte: In ein paar Wochen wird die EU voller Scham auf diese Zeit zurückblicken. Eine Zeit, in der sie so unglaublich versagt hat, indem sie Menschen einfach ihrem Tode überlassen hat.

Doch ich habe mich getäuscht. Die Situation ist noch schlimmer geworden. So schlimm, dass wir heute hier stehen und gemeinsam mit über 100 Städten den Notstand der Menschlichkeit ausrufen.

Denn während momentan jede sechste Person, die die Überfahrt von Libyen über das Mittelmeer wagt, ertrinkt, werden gleichzeitig SeenotretterInnen für das Retten von Menschen bestraft. Nachdem die Sea-Watch 3 mit 42 geretteten Menschen an Bord über zwei Wochen vergebens um eine Anlege-Erlaubnis gebeten hatte, entschloss sich Kapitänin Carola Rackete, dass es genug sei. Die Versorgung der Menschen an Bord war kaum mehr möglich, sie brauchten dringend psychologische Unterstützung und einige drohten sogar, von Bord zu springen. Es ist kaum vorstellbar, was diese Menschen alles durchmachen mussten. Carola Rackete tat das einzig Richtige in diesem Moment. Sie brachte die geretteten Menschen in Sicherheit. Dafür musste sie in italienische Gewässer einfahren und wurde daraufhin von den italienischen Behörden verhaftet. Auch wenn Carola Rackete am Dienstag, nach massivem Druck der Zivilgesellschaft, freigekommen ist, droht ihr weiterhin eine Geldstrafe in einer Höhe von bis zu 50.000 Euro oder sogar eine mehrjährige Gefängnisstrafe. Für Handlungen, die erforderlich waren, um Menschen das Leben zu retten. 

Carola Rackete ist kein Einzelfall. Auch Klaus-Peter Reisch, Pia Klemp und andere Crew-Mitglieder von privaten Seenotrettungsinitiativen mussten mit erheblichen Repressionen kämpfen. Im Moment gibt es acht einsatzfähige Schiffe privater Seenotrettungsorganisationen in den Häfen im Mittelmeerraum, doch sechs davon werden am Einsatz gehindert. Den Schiffen von Organisationen wie Jugend Rettet, Sea-Eye, Sea Watch oder der Mission Lifeline wurden die Flaggen entzogen oder sie wurden gänzlich beschlagnahmt. Anstatt dass die EU sich also dafür verantworten muss, wohlwissentlich Menschen ertrinken zu lassen, wird die zivile Seenotrettung zur Rechenschaft gezogen. In was für einer Welt leben wir, wenn wir es zulassen, dass das Retten von Menschen verhindert oder bestraft wird?

Es ist ein Skandal, wie mit den Menschen umgegangen wird, die sich auf den Weg nach Europa machen, um vor Krieg, Gewalt und Armut zu fliehen. Sie begeben sich aus vollkommener Perspektivlosigkeit heraus in Schlauchboote, mit dem Wissen, dass diese Überfahrt tödlich für sie enden könnte.

Und es ist ein Skandal, wie mit Seenotrettern und -retterinnen umgegangen wird, die Menschen das Leben gerettet haben und die Aufgaben erfüllen, die die EU seit langem versäumt zu leisten. Für uns sind Seenotretter und -retterinnen Heldinnen und Helden. Sie sind das einzige an Europas Grenzen, auf das wir stolz sein können.

Die EU ist am Tiefpunkt ihrer menschenunwürdigen Politik angekommen. Nicht nur, dass sie weiterhin auf einen Ausbau der Festung Europa setzt, sie setzt auch auf eine Politik der Abschreckung. Der einstige Friedensnobelpreisträger EU lässt Menschen lieber qualvoll ertrinken, anstatt ihnen den so dringend benötigten Schutz zu gewähren. Diese Politik ist nicht nur unmenschlich, sie beruht zudem noch auch auf völlig falschen Annahmen. Der sogenannte Pull-Faktor, der besagt, dass die Seenotrettung die Zahl der fliehenden Menschen erhöht, konnte widerlegt werden. Rettungsschiffe erhöhen nicht die Zahl der Fliehenden, sondern die Zahl der Überlebenden. Dass momentan weniger Menschen nach Europa kommen, liegt nicht daran, dass es keine Seenotrettungsmaßnahmen gibt. Es liegt daran, dass immer Menschen die inhumanen Bedingungen in Libyen aushalten müssen und viele bereits schon auf dem Weg dahin sind, ihr Leben verlieren. Die Sterblichkeitsrate von Menschen, die sich auf den Weg Richtung EU machen, hat sich seit 2018 sogar fast verdreifacht.

Die Tatsache, dass überhaupt Menschenleben gegen politische Interessen aufgewogen werden, ist widerlich. Stellen Sie sich vor, wir würden vorschlagen, den Rettungsdienst abzuschaffen, damit Menschen sich weniger im Straßenverkehr in Gefahr begeben.

Wir sind heute hier, weil der Notstand der Menschlichkeit erreicht ist. Wir wollen ein Zeichen setzten, dass wir nicht einverstanden sind mit der europäischen Politik.  16.896 Menschen sind seit 2014 im Mittelmeer ertrunken, keiner will sich vorstellen, wie die Dunkelziffer aussieht.

Aus diesem Grund fordern wir Straffreiheit für Carola Rackete und alle anderen SeenotretterInnen. Wir fordern, dass Menschen aus Seenot gerettet und in Sicherheit gebracht werden!

Wir fordern, dass jeder Mensch ungeachtet seiner Herkunft menschenwürdig behandelt wird. Wir fordern, dass sichere und legale Fluchtwege geschaffen werden und Fluchtursachen bekämpft werden!

Und wir fordern, dass die EU und Deutschland, insbesondere der Innenminister, endlich Verantwortung übernehmen und das Sterben im Mittelmeer beenden.

Es muss ein Ende haben, dass Rettungsschiffe wochenlang gehindert werden, in einen sicheren Hafen einzufahren, obwohl Kommunen sich bereit erklären, die Menschen aufzunehmen. Europa muss seine Häfen öffnen und Menschen auf der Flucht sichere Wege ermöglichen.

Noch immer sitzen die Menschen, die von Sea-Watch gerettet wurden, in Italien fest, ohne zu wissen, was mit ihnen passiert. Und dass, obwohl 70 Städte in Deutschland sich bereits zu Sicheren Häfen erklärt haben und bereit sind, gerettete Geflüchtete aufzunehmen.

Wir sind heute hier um laut, für diejenigen einzutreten, deren Stimmen in Europa nicht gehört werden und um ein Zeichen für die Menschlichkeit zu setzen.

In diesem Sinne bedanke ich mich für Eure Aufmerksamkeit und hoffe, dass wir heute mächtig viel Aufsehen erregen.

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Dana A. ist Mitglied der Seebrücke in Bonn und studiert Politikwissenschaften und Geographie.