Nutzungsdebatte um die Kyritz-Ruppiner Heide

von Ulrike LaubenthalHans-Peter Laubenthal
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( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Auch nach dem Verzicht auf die Nutzung der „Freien Heide“ als Luft-Boden-Schießplatz ist Eigentümerin des Geländes nach wie vor die Bundesrepublik Deutschland, die Verfügung über das Gelände hat immer noch das "Verteidigungs"ministerium. Minister Jung hat nicht auf die militärische Nutzung insgesamt verzichtet; die Entscheidung über die Zukunft der Heide sollte der neuen Regierung überlassen bleiben.

Auf die kleine Anfrage von neun Abgeordneten der LINKEN, wann und auf welchem Wege Rechtssicherheit über die Verzichtsentscheidung hergestellt wird, lautete die lapidare Antwort: "Anlässlich einer Pressekonferenz am 9. Juli 2009 hat der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung, seine Entscheidung bekannt gegeben, auf die Nutzung des Truppenübungsplatzes (TrÜbPl) Wittstock als Luft-Boden-Schießplatz zu verzichten. ... Es besteht keine Notwendigkeit, die von Herrn Bundesminister der Verteidigung Dr. Franz Josef Jung bekannt gegebene Entscheidung zusätzlich in anderer Weise zu veröffentlichen." Die Bundesregierung hat also nicht die Absicht, für zivile Planungen schnell Rechtssicherheit zu schaffen. Alles, was wir haben, ist ein Wort eines Ministers, der vielleicht schon bald nicht mehr Minister ist.

Munitionsbelastung und Munitionsräumung
Ein Dreh- und Angelpunkt der Debatte um die zivile Nutzung ist die Frage der Munitionsbelastung und Munitionsräumung. Durch die ca. 40-jährige Nutzung als Heeresschießplatz und Luft-Boden-Schießplatz der Sowjetarmee ist das Gelände mit zahlreichen Blindgängern belastet. Eine genaue Erfassung aller Blindgänger ist bisher nicht erfolgt. Die Bundeswehr unterscheidet eine Zone A (geringe Blindgängerbelastung) von 6.500 ha, eine Zone B (mittlere  Blindgängerbelastung ) von 1.820 ha und eine Zone C (hohe Blindgängerbelastung oder/und Blindgänger mit sensibler Zünd-Auslösung) von 3.680 ha. Im Bereich A gestattet die Bundeswehr z.B. Jägern, Imkern usw. den Zutritt, das Gelände gilt als nicht stärker belastet als die Umgebung. Die Zonen geben aber nur eine sehr grobe Orientierung.

Der neue Standortkommandant, Oberstleutnant Hering, hat Mitte August für Aufregung gesorgt, als er bekannt gab, nach seiner Schätzung würde die komplette Beräumung des Geländes 400 Millionen Euro kosten. Das Kriegsministerium hat ihn daraufhin ob dieser Eigenmächtigkeit gerügt und die Zahl dementiert. Es seien im Jahr 2003 einmal 220 Millionen Euro in Ansatz gebracht worden, aber die Kosten hingen von der zukünftigen Nutzung ab. Wie auch immer: Die Munitionsräumung wird viel Geld kosten, und weder der Bund noch das Land wollen diese Kosten tragen. Dabei wird es umso teurer, je mehr Zeit man verstreichen lässt: Je mehr die Landschaft zu wächst, umso teurer wird die Ortung der Blindgänger.

Für die AnwohnerInnen in den Dörfern rund ums Bombodrom ist eine entscheidende Frage, ob das Gelände ein Sperrriegel bleibt oder ob die alten Wege zwischen den Dörfern wieder nutzbar werden. Standortkommandant Hering lehnt das mit Hinweis auf die Munitionsbelastung ab.

Naturschutzaspekte
Die Naturschutzaspekte werden vor allem vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), dem Naturschutzbund (NABU), der Grünen Liga Brandenburg und der Deutschen Umwelthilfe eingebracht. Auch VertreterInnen von Bündnis90/Die Grünen und der LINKEN engagieren sich in diesen Fragen. Ein großer Teil des ehemaligen Bombodrom-Geländes ist Flora-Fauna-Habitat (kurz: FFH). Es ist im europäischen Kontext ein wichtiger Baustein für den Heideschutz. Das heißt, die Heide muss als zusammenhängende Fläche erhalten bleiben, und sie muss gepflegt werden.

Aus eigener Anschauung können wir sagen, dass ein großer Teil der ehemaligen Heidelandschaft inzwischen mit Kiefern und Birken zugewachsen ist. Die Bundeswehr plant, auf einem Teil der Fläche Brandrodungen durchzuführen, um das Zuwachsen zu stoppen. Ein dauerhafter Erhalt der Heideflächen wäre möglich durch Beweidung mit Schafherden. Im Gespräch ist auch die Idee, in einem großen Gehege Wildpferde oder Wisente anzusiedeln. Nötig ist vor jeder weiteren Nutzungsplanung eine von kompetenten Stellen durchgeführte naturschutzfachliche Bestandsaufnahme mit politischer Begleitung. Im Anschluss an eine solche Bestandsaufnahme wäre ein FFH-Management-Plan zu erstellen, um sagen zu können, welche Nutzung möglich ist. Für die FFH-Management-Planung ist das Land zuständig, es hat diese Zuständigkeit auf den Naturschutzfonds Brandenburg übertragen.

Eigentumsfragen
Vor der Aneignung durch die Sowjetunion in den 1950-er Jahren gehörte das Gelände den Ortsgemeinden, Kirchengemeinden und Bauern der Umgebung. Derzeit ist keine Rede davon, es an diese ursprünglichen Eigentümer zurückzugeben, denn dadurch würde die wertvolle Heidelandschaft zerstückelt. Im Gespräch sind verschiedene Möglichkeiten der Eigentumsübertragung: Zum einen könnte das Eigentum an das Land Brandenburg übergehen. Das Land besitzt schon ähnliche Flächen, deren Pflege es der "Stiftung Naturlandschaften Brandenburg" übertragen hat. Das könnte auch in diesem Fall so gehen. Diese Lösung favorisiert die Grüne Liga Brandenburg. Die Landesregierung lehnt das ab; sie habe genug mit den ehemaligen Militärflächen zu tun, die sie schon besitze. Das Land sieht die Bundesregierung in der Pflicht, sich um das Gelände - und die Munitionsentsorgung - zu kümmern. Ganz klar ist die Rechtslage nicht: Es gibt ein Verwaltungsabkommen zwischen Land Brandenburg und Bundesrepublik Deutschland aus dem Jahr 1994, demzufolge bis auf wenige Liegenschaften auf einer „Giftliste“ alle ehemaligen Militärflächen in das Eigentum des Landes übergegangen sind. Das Land hat auf Ansprüche an den Bund wegen Altlasten verzichtet. Unklar ist, ob unter dieses Abkommen auch Flächen fallen, die der Bund zwischenzeitlich für sich beansprucht hatte.

Die Bürgerinitiativen Freie Heide und Freier Himmel haben sich bei einer Tourismuskonferenz dafür ausgesprochen, das Gelände zum Nationalen Naturerbe zu erklären und von einer Stiftung verwalten zu lassen. Häufig überträgt der Bund in solchen Fällen die Eigentumsrechte an die jeweilige Stiftung. Der ehemalige brandenburgische Konversionsbeauftragte Roland Vogt regt an, dazu eine Bürgerstiftung zu gründen. Auch die Heinz-Sielmann-Stiftung hat Interesse bekundet.

Neuorientierung der Bewegung
Nach 17 Jahren Protest und Widerstand ist jetzt endlich der Erfolg da. Alle Initiativen gegen das Bombodrom haben erstmal gründlich gefeiert; und bei allen war klar, dass die Arbeit jetzt dennoch weiter geht. Die Bürgerinitiative FREIe HEIDe arbeitet im gewohnten Rhythmus mit ca. monatlichen Treffen weiter. Sie führt zurzeit keine Protestwanderungen durch, beteiligt sich aber an der Nutzungsdebatte. Pro Heide hat bereits 2003 eine Arbeitsgruppe Konversion ins Leben gerufen, die damals ein Nutzungskonzept entwickelt hat. Diese Arbeitsergebnisse bringen die Beteiligten jetzt in den Entscheidungsprozess ein. Die Friedensinitiative Kyritz-Ruppiner Heide bereitet einen Abschlussbrief an alle UnterzeichnerInnen der "Kampagne Bomben nein - wir gehen rein" vor und löst das Büro der Kampagne auf - diese Kampagne ist beendet. Allerdings sollen die Adressen der UnterzeichnerInnen für alle Fälle nochmal aufgehoben werden, um bei einer ggf. nötig werdenden neuen Kampagne gegen eine anderweitige Nutzung durch die Bundeswehr alle noch einmal anschreiben zu können. An verschiedenen Stellen wird über die Dokumentation der Widerstandsgeschichte nachgedacht; was hier gelang, soll für andere Mut machendes Beispiel sein. Wie es gelang, welche Schwierigkeiten dabei zu überwinden waren, was zum Erfolg geführt hat, das könnten wichtige Informationen für Initiativen gegen andere Militärstandorte sein.

Auszüge aus dem Sichelschmiede-Rundschreiben September 2009 (www.sichelschmiede.org/Downloads/0909-Rundschreiben.pdf ). Sichelschmiede, Werkstatt für Friedensarbeit in der Kyritz-Ruppiner Heide, Beyschlagstr. 11a, 13503 Berlin

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Ulrike Laubenthal betreibt in Zempow am Rande des ehemaligen Bombodroms die "Sichelschmiede - Werkstatt für Friedensarbeit in der Kyritz-Ruppiner Heide" (www.sichelschmiede.org). Sie ist seit den 1980er Jahren in der Friedensbewegung aktiv.
Hans-Peter Laubenthal betreibt in Zempow am Rande des ehemaligen Bombodroms die "Sichelschmiede - Werkstatt für Friedensarbeit in der Kyritz-Ruppiner Heide" (www.sichelschmiede.org). Er ist seit den 1980er Jahren in der Friedensbewegung aktiv.