6x jährlich informiert unsere Zeitschrift, das FriedensForum, über Aktionen und Kampagnen der Friedensbewegung. Gerne schicken wir dir ein kostenfreies Probeexemplar zu.
Redebeitrag zur Veranstaltung in Fretzdorf am 06. April 1996
Österliche Besinnung
von
Ich möchte zu allererst sagen, wie sehr ich mich freue über das, was ich hier sehe, über euch .... Als ich vor vier Jahren zum ersten Mal FREIe HEIDe hörte, ich wusste überhaupt nicht, wo das Ding lag, atmete ich auf und hatte ein Gefühl der tiefen Dankbarkeit und Freunde darüber, daß in der alten DDR Menschen Interesse haben an Frieden, daß sie nicht nur die "D-Mark" wählen und die bessere Technologie und die Bananen etc. etc., sondern ganz andere Sachen im Kopf haben. Daß sie wirklich noch andere Ziele haben als die, die ich eine Zeit lang bei ihnen wahrgenommen hatte. Das hat mich glücklich gemacht. Ich habe gedacht: Donnerwetter, das ist ja genau das, wovon wir immer geträumt haben, daß auf der anderen Seite genauso wie wir für den Frieden arbeiten, daß wir zusammen kommen und gemeinsam etwas bewegen. Das hat mich sehr glücklich gemacht, daß Leute, denen 40 Jahre lang ihr Land beschlagnahmt, zwangsenteignet, also auf Deutsch gestohlen worden ist von der russischen Besatzung, daß die sich das nicht nochmal stehlen lassen wollen! Daß sie anders gedacht haben! Dass sie nach der kurzen Zeit der Hoffnung auf "blühende Landschaften", die ihnen versprochen wurden, dann aufmerkten, als ihnen etwas ganz anderes plötzlich angeboten wurde, nämlich die Fortsetzung des "Alten". Und da haben sie "NEIN" gesagt und deswegen stehen wir alle hier heute und sagen immer noch "NEIN" zur Fortsetzung dieses Alten, dieser Art von Militarismus. Für mich war das eine gute Nachricht, als 5.000 Leute am 15. August 1992 hier protestiert haben und als in den letzten beiden Jahren die Ostermärsche hier am größten waren. In diesem, mir bis dahin unbekannten Winkel.
Nun, was dahinter steht, was die Leute auf die Straße treibt, und zum Nachdenken bringt, ist etwas, das möchte ich mal die "Systemähnlichkeit" nennen. Nicht die Systemgleichheit das wäre falsch. Aber wohl die Gleichheit der Krankheit, denn Krankheiten richten sich komischerweise nicht nach Ost oder West, oder rechts undunrecht, die gehen quer über die Grenzen. Die befallen ganz gesunde normale Leute und machen sie sehr krank. Und das muß man sich klar machen, daß da eine merkwürdige Systemähnlichkeit besteht. Die Militärinstitutionen haben etwas Haftendes von Wilhelm II. über Hitler zu Ulbricht bis auf den heutigen Tag zu Herrn Rühe. Da ist nicht plötzlich irgendwas völlig Neues aufgetaucht, sondern dasselbe alte, was wir schon kennen und eigentlich in diesem Jahrhundert zur Genüge gekannt haben.
Und davor meine ich, sollte wir uns ganz klar machen, daß diejenigen, die dagegen sind, auch zusammenhalten sollten und die Möglichkeiten der Demokratie nutzen, um dagegen zu kämpfen.
Das Verhalten der Kirche während der Zeit der DDR haben wir ... noch als eine gewisse Distanz, also eine gleiche Distanz zu Ost und West angesehen Menschen die wirklich auf Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung aus sind, Leben in einer Distanz zum System.
Und das müssen wir festhalten. Und da haben wir besonders als Christen eine Form von Distanz zu dieser Welt. "Wir sind in der Welt, aber nicht von der Welt." Wir haben noch paar andere Maßstäbe im Kopf und ich glaube, das trifft auch für diejenigen, die mit der Kirche nichts mehr am Hut haben, zu daß sie noch paar andere Maßstäbe im Kopf haben als Wirtschaft und Staat. Einer dieser Maßstäbe heißt Frieden. Und zwar mit Allen, auch mit der Natur. Auch mit den Menschen, die leiden unter unserem Wirtschaftssystem; wirklicher Frieden. Und so fragt man sich, sind diese beiden System so weit auseinander? Ich habe auf einem von euren Plakaten, ein Foto gesehen, da stand drauf: "Rühe - Enkel Ulbrichts" das fand ich ein starkes Wort. ...
Eine andere merkwürdige Geschichte besteht darin, dass der Grundsatz, der bei ganzen Aufarbeitung der DDR-Geschichte sonst überall beherzigt wurde, daß man nämlich sagte: "Rückgabe vor Entschädigung" offenbar hier auf der freien Heide keine Rolle spielt. Niemand redet hier von Rückgabe. Auch nicht von Entschädigung. Niemand sagt. Dieses Land ist den Menschen gestohlen wurden und gehört nicht dem Militarismus. Und das auch nicht für ewige Zeiten. Und diese Systemähnlichkeit von Russland und Westdeutschland als einer anderen Besatzung, die muß zerstört werden, und die Demokratie glaubhaft zu machen. Das ist nicht das, was die Menschen sich hier wünschen und erwarten und auch erwarten dürfen. Ich möchte mal sagen, was Propheten tun, das ist, daß sie das Unrecht entschminken. Das Unrecht kommt bei uns ja immer sehr schön rausgeputzt. Es sieht elegant aus. Es macht sich fein. Es hat kluge Wörter bei sich. Es sichert sich juristisch ab. Es behauptet zum Beispiel, es schaffe Arbeitsplätze. Natürlich sind die wahnsinnig wichtig. Und doch ist das eine Schminke des Unrechts. Das Unrecht ist die Weiterbenutzung im Interesse des Militärs. Und wenn da ein paar Arbeitsplätze dabei entstehen, da ist das überhaupt kein Argument, denn mit Frieden lassen sich bekanntlich sehr viel mehr Arbeitsplätze schaffen. Und mit dem, was sich viele Menschen hier ausgedacht haben, während dieses kurzen Traums von Militärfreiheit, den es hier im Landkreis gegeben hat, was sich da die Leute einfallen haben lassen, an Reha-Klinik, Musikakademie, sanften Tourismus, mit freundlichen Menschen. die segeln und schwimmen und sonst was tun, in einer wieder genesenen Landschaft, das finde ich eine wunderbare Vision. Und an der sollten wir festhalten und sie uns nicht wegnehmen lassen von einem allzustarken Staat, der keinerlei Bürgernähe mehr hat.
Der Ostermarsch ist ein Ritual, in dem Karfreitag und Ostersonntag zusammenkommen. Da ist einerseits unser Entsetzen über die Lebensfeindschaft und die weitergehende Zerstörung. Da ist aber auch die Hoffnung, ein gemeinsames Aufstehen für einen anderen Frieden. Da ist Schmerz und Zorn, aber eben auch Friedenswege gehen und rechtliche Klagen einreichen und protestieren. Wir haben den längeren Atem, bei uns ist schon mal einer aufgestanden aus dem Tod. Wer meint, es müsse immer so weitergehen mit Rüstung statt Abrüstung und sagt "Das hatten wir schon so lange, das können wir gut weiternentzen". Wer so denkt und redet und handelt, der hat nicht begriffen, daß es heute eine Mehrheit gibt, von Menschen, die tatsächlich eine andere Vision vom Leben haben. Ich nenn das noch mal, weil mich das so gefreut hat, ein sanfter Tourismus, also kein mit riesigen Bunkern erreichter Massentourismus, sondern ein sanfter, mit Fahrradwegen, die man benutzen darf, wenn man durch die dann wirklich freie Heide fahren darf mit dem Fahrrad. Ein sanfter Tourismus, eine Wiederaufforstung der zerstörten Wälder, ein Wiederaufbau des Landes, der Landschaft, ein gemeinsames Handeln im Interesse einer Welt, in der nicht das Töten im Vordergrund steht, sondern das gemeinsame Leben. In diesem Sinn gesegnete Ostern!