Türkei in Syrien und Irak

Olivenzweig, Friedensfrühling und Klaue

von Christine Schweitzer
Schwerpunkt
Schwerpunkt

Es wäre zu kurz gegriffen, das militärische Engagement der Türkei in Syrien und Irak lediglich als Ausdruck der Bekämpfung der Bestrebungen „der“ Kurd*innen um Autonomie oder die Gründung eines eigenen Staates zu verstehen. Zwar geht es der Türkei nach eigenen Aussagen wie auch nach der Meinung der meisten Beobachter*innen in beiden Ländern vordergründig um die Bekämpfung der PKK und ihrer kurdischen Alliierten jenseits der türkischen Staatsgrenzen. Aber das ist nicht alles: Die Türkei ist auf dem besten Wege, sich als regionale Macht zu etablieren.
Der Reihe nach: Zu Beginn der Konflikte in Syrien war die Türkei – die zuvor durchaus freundschaftliche Beziehungen zur Assad-Regierung unterhalten hatte - vor allem dadurch bekannt, dass sie islamistischen Kämpfern, die aus dem Ausland nach Syrien einreisen wollten, Unterstützung gab. Dabei handelte es sich nicht nur um die – im Vergleich zu anderen gemäßigte – Freie Syrische Armee, deren Hauptquartier in der Türkei lag, sondern um Kämpfer jeglicher Couleur, allem Anschein  nach auch um diejenigen, die sich dem sog. Islamischen Staat anschlossen. Gleichzeitig suchte die Türkei jedoch anfangs eine Kooperation mit den westlichen Staaten und wurde Teil der Allianz, die den Islamischen Staat bekämpfte. Von Anfang an war sie aber höchst unglücklich darüber, dass die USA und einige europäische Länder – so auch Deutschland – die kurdischen Peschmerga im Nordirak und die kurdische YPG in Nordsyrien als Verbündete betrachteten, Ausbildungshilfe leisteten und mit Waffen und Geld unterstützten.

Seit 2016 hat die Türkei dann mit mehreren Offensiven sowohl in Nordirak als auch in Syrien eingegriffen?, wobei das militärische Engagement der Türkei im Irak eine viel längere Geschichte hat: Die Türkei hat schon seit den 1990er Jahren immer wieder PKK-Einheiten im Nordirak angegriffen, mit Operationen mit Namen wie „Stahl“, „Hammer“ oder „Morgenröte“. Seit Mai 2019 läuft die Operation „Klaue“. Im Juni 2020 startete die Türkei zwei neue Operationen gegen die PKK im Nordirak und kündigte die Etablierung von Militärbasen an, um zu verhindern, dass Gebiete nach Rückzug der türkischen Truppen wieder von kurdischen Einheiten eingenommen würden.

Die erste Militäroperation in Syrien war die „Operation Euphrat Schild“ im August 2016, die vorgeblich den sog. IS bekämpfen sollte, aber bei der es wohl auch schon darum ging, Kontrolle über das Land zu bekommen, auf dem ein Teil der zahlreichen syrischen Flüchtlinge, die in der Türkei lebten, anzusiedeln. Der IS rächte sich mit mehreren blutigen Anschlägen, u.a. in Istanbul. (Die Operation wurde Anfang 2017 auch auf den Nordirak ausgedehnt, vorgeblich ebenfalls im Kampf gegen den IS.)

Im April 2017 bombardierte die Türkei Stellungen der YPG in Syrien und der Peshmerga im Nordirak. Im Oktober desselben Jahres etablierte die Türkei mehrere Beobachtungsposten in der Region Idlib, in Kooperation mit Russland. Im Januar 2018 folgte die Operation „Olivenzweig“, bei der die Region Afrin, ein Teil Rojavas, erobert und unter türkische Kontrolle gestellt wurde. Im Oktober 2019 wurden im Rahmen der Operation „Friedensfrühling“ die YPG ins Ziel genommen. Anfang Februar 2020 kam es zu Kämpfen zwischen türkischen Truppen und Streitkräften der syrischen Regierung. Es drohte ein Konflikt mit Russland, das bekanntlich das Assad-Regime unterstützt. Am 1. März leitete die Türkei eine Militäroperation mit dem Namen „Frühlingsschild“ gegen das syrische Regime ein und tötete nach syrischen Angaben über 3.000 syrische Soldaten. Wenige Tage später wurde ein Waffenstillstand und ein Sicherheitsabstand zwischen den Truppen der beiden Länder vereinbart. Doch die Okkupation Nordsyriens wird fortgesetzt (siehe auch den Beitrag von Elke Dangeleit in Friedensforum 4/2020).

Angesichts der Militärintervention in Libyen (s. den Beitrag in diesem Heft) und dem gegenwärtigen Konflikt um Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer mit Griechenland, ist der Grad der militarisierten Außenpolitik der Türkei deutlich geworden. Wie in anderen Beiträgen in diesem Heft angesprochen, ist die Positionierung der Türkei im internationalen Staatengeflecht mehrdeutig und passt nicht in „unsere“ vorgefertigten Schubladen. Als NATO-Mitglied bekämpft sie von der NATO unterstützte kurdische Truppen und legt sich mit Griechenland wegen Erdgasvorkommen im Mittelmeer an. Ein sunnitisch-islamisch geprägtes Land (die laizistischen Reformen von Atatürk werden bekanntlich derzeit immer weiter zurückgeschraubt), steht es in Libyen mit der Regierung in Tripolis gegen die von Ägypten und den VAE unterstützte Konfliktpartei des General Haftar. ?Kein Verbündeter „des Westens“ nimmt sowohl mit Syrien wie Libyen einen Konflikt mit Russland in Kauf, das Assad und Haftar unterstützt, obwohl es zwischenzeitlich in den letzten zwanzig Jahren immer wieder so aussah, als ob beide Länder sich annähern würden.? Anders als bei den USA unter Trump kann man der Regierung Erdogan keine Irrationalität vorwerfen. Deshalb gibt es eigentlich nur eine Deutung: So verhält sich nur ein Staat, der anstrebt, selbst zur Regional- wenn nicht Großmacht zu werden. Dass in der türkischen Innenpolitik immer wieder an die Größe des Osmanischen Reiches erinnert wird, passt zu dieser Deutung sehr gut.

Welche Möglichkeiten und Chancen einer Befriedung der Konflikte gibt es? Es sieht da eher düster aus. Wahrscheinlich braucht es einen sehr langfristigen Prozess, der die verschiedenen Konflikte und Konfliktebenen, vom Nordirak über Syrien bis Türkisch-Kurdistan und Libyen jeden für sich bearbeitet, ohne dabei die jeweils anderen Baustellen aus dem Blick zu verlieren. Internationaler Druck auf die türkische Regierung allein ist da wenig vielversprechend. Er bewirkt wenig. Eine Politik, die nicht nur auf negative Sanktionen, sondern auch auf positive Angebote setzt, wäre vielleicht hilfreicher, wie auch Vermittlungsleistungen von Seiten von Ländern, die nicht in die Interessengegensätze des Nahen und Mittleren Ostens verstrickt sind, aber trotzdem nicht als politische oder kulturelle Feinde der Türkei ausgemacht werden können.

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt
Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.