Syrien

Opposition in Zeiten des Krieges

von Karin Leukefeld

Als Mitte November 2015 die „Internationale Unterstützungsgruppe für Syrien“ (ISSG) in Wien zusammentraf, bestimmten die Anschläge von Paris die Tagesordnung. Einen Tag lang schienen die versammelten 17 AußenministerInnen (1) und ihre DiplomatInnen sich einig, dass eine politische Lösung gefunden werden müsse, um den Brandherd in Syrien und Irak wenigstens einzudämmen. Wie ein Feuerball wälzt sich die Gewalt aus dem Vulkan des Mittleren Ostens in die Anrainerstaaten und in Richtung Europa. Land und Leute, Kultur und Zivilisation, politische Strukturen von Regierung und Opposition werden zerstört, die Menschen fliehen zu Tausenden, um sich und ihre Familien in Sicherheit zu bringen.

Nur wenige Tage zuvor hatten westliche DiplomatInnen die von Russland bei den Vereinten Nationen eingebrachten Vorschläge (Acht Punkte für die „Annäherung an die Lösung des Konflikts in Syrien“) als lächerlich und unfertig abgetan und erklärt, sie würden bei den Wiener Gesprächen keine Rolle spielen. Stattdessen hatten die USA, die Türkei, Katar und Frankreich versucht, den von der UN vorgeschlagenen  politischen Lösungsweg für Syrien, der in Wien diskutiert werden sollte, in eigens einberufenen „Arbeitsgruppen“ umzulenken. Ganz in der Tradition der ursprünglich von Frankreich und den USA ins Leben gerufenen „Freunde Syriens“ sollte bestimmt werden, wer für die Opposition bei zukünftigen innersyrischen Verhandlungen sprechen und wer sich mit einem Platz auf den Zuschauerbänken begnügen soll.

Die UN, Russland, Iran und China haben seit Jahren Gespräche und Verhandlungen gefördert und geführt, um verschiedene syrische Oppositionelle miteinander und mit der syrischen Regierung ins Gespräch zu bringen. Gleichzeitig versuchen sie, eine Übersicht über die mehr als 1500 bewaffneten Gruppen in Syrien herzustellen, die von regionalen und internationalen Akteuren unterstützt werden.

Das Wien II-Treffen sollte diesbezüglich ein einvernehmliches Vorgehen erzielen. Russland hatte eine Liste von Gruppen vorgelegt, die als „terroristisch“ von jeder politischen Lösung in Syrien in Zukunft ausgeschlossen werden sollten. Einverständnis scheint über den selbst ernannten „Islamischen Staat im Irak und in der Levante“ zu bestehen. Doch schon bei dem al-QaidaAbleger „Nusra Front“ gibt es Differenzen.

Debattiert werden sollte u.a. über die Islamische Armee, die von Saudi Arabien finanziert wird. Weiterhin eine Anzahl von Gruppen (Faylaq al-Sham, al-Etihad al-Islami Li Ajnad al-Sham and Faylaq al-Rahman), die unter dem Dach der Muslim Bruderschaft kämpfen und von der Türkei und Katar finanziert werden. Schließlich sollte es um die sechs Kerngruppen der so genannten „Armee der Eroberung“ gehen (Jaish al Fatih), die von Saudi Arabien, Katar und der Türkei gemeinsam finanziert wird. Diese „Armee der Eroberung“ drang im März 2015 mit massiver Feuerkraft und Unterstützung der türkischen Armee und turkmenischer Kampfgruppen aus der Türkei in die nordsyrische Provinz Idlib ein, was zu einem Rückzug der syrischen Streitkräfte führte.

Auch über „Ahrar al-Sham“ sollte in Wien II gesprochen werden.  Die Zahl der Kämpfer dieser salafistisch-jihadistischen Gruppe wird auf 25.000 geschätzt. Während Russland die Gruppe als „terroristisch“ einstuft, bezeichnete nur wenige Wochen vor dem Wien II-Treffen der Außenminister von Katar (Khalid al-Attiyah) die Kämpfer von „Ahrar al-ASham“ als „ehrenhaft“. Doha, die Hauptstadt von Katar, „unterhält (zu ihnen) Beziehungen und finanziert“ sie, so der Außenminister. Die Türkei hatte der Gruppe die Kontrolle von türkisch-syrischen Grenzübergängen überlassen, gemeinsam mit dem türkischen Geheimdienst. Ahrar al-Sham wurde – dank einem europäischen staatlichen Sponsor – mit Waffen aus der Ukraine und Kroatien ausgerüstet. Gemeinsam mit der Al Nusra Front (al-Qaida) bildet „Ahrar al-Sham“ das „Rückgrat“ der militärischen „Operationsräume“, die vom türkischen Geheimdienst im Norden Syriens installiert wurden (schreibt die libanesische Tageszeitung As Safir, 12.11.2015).

Staaten, die – wie die Türkei, Saudi Arabien und Katar - aktiv und mit viel Geld bewaffnete Gruppen in Syrien unterstützen – dazu zu bringen, eben diese Waffenhilfe zugunsten eines politischen Verhandlungsprozesses aufzugeben, bleibt eine schwierige Aufgabe. Werden die o.g. Staaten mit dem von der UNO und von Russland vorgeschlagenen Ausschlussverfahren „terroristischer Gruppen“ einverstanden sein? Der Abschuss eines russischen Kampfjets durch die türkische Luftwaffe und die Ermordung eines der beiden russischen Piloten, die sich mit dem Fallschirm retten wollten, spricht eine andere Sprache. Und auch die Äußerung des türkischen Geheimdienstchefs, wonach man mit dem „Islamischen Staat“ reden solle, weil er viel Unterstützung habe, zeigt, wie weit die Vorstellungen von politischer Lösung auseinandergehen.

Parallel zu der Identifikation „terroristischer Gruppen“ in Syrien sollen – von den an den Wiener Gesprächen teilnehmenden Staaten - oppositionelle Personen identifiziert werden, die an den innersyrischen Verhandlungen, die Anfang 2016 beginnen sollen, teilnehmen werden. Russland legte eine Liste mit 38 Namen vor, darunter auch Personen aus Syrien. Saudi Arabien stellte eine Liste mit 25 Namen auf und selbst Ägypten hatte eine Liste von 18 Namen mitgebracht. Etwa 20 Namen, so war aus Kreisen der syrischen Opposition zu hören, stimmten auf allen Listen überein. Die syrische Opposition bleibt in diesem Auswahlverfahren ebenso außen vor, wie die syrische Regierung.

Syrien – Austragungsort vieler Schlachten
Die Beschreibung der internationalen Ebene des Syrienkonflikts Ende 2015 zeigt das Dilemma, in dem die syrische Opposition und  die syrische Regierung nach fast 5 Jahren Krieg stecken. Der ursprüngliche Konflikt um politische Reformen und wirtschaftliche Teilhabe eskalierte 2011 rasch zu einem regionalen Stellvertreterkrieg, in dem Saudi Arabien und die Golfstaaten, die Türkei und der Iran jeweils Partei für die eine oder andere Seite in Syrien ergriffen und diese stärkte.

Der Teil der Opposition, die in Syrien von Anfang an gegen den Griff zu den Waffen und für einen nationalen Dialog eingetreten war, hatte Ende Juni 2011 eine öffentliche Konferenz abgehalten, auf der sie klare Forderungen aufgestellt hatte: Keine Gewalt, Freilassung aller Gefangenen und Dialog. Noch am gleichen Tag wurden die Organisatoren der Konferenz von Oppositionellen und Medien aus dem Ausland als „Marionetten des Regimes“ denunziert, der Ruf nach Dialog galt als Verrat an der „Revolution“. Ende Juli 2011 wurde (in der Türkei) die „Freie Syrische Armee“ (in der Türkei) gegründet. Nur einen Monat später, im August 2011, folgte die Gründung des Syrischen Nationalrates (ebenfalls in der Türkei). Finanziert wurden beide Gruppen mit Geld aus dem Ausland, Waffen und Kämpfer wurden über Jordanien, Libanon und vor allem die Türkei nach Syrien geschmuggelt. Der schier unerschöpfliche Nachschub an Waffen und Geld – dokumentiert u.a. in einer Langzeitrecherche der New York Times im März 2013 (2) – führte dazu, dass die Zahl bewaffneter Gruppen in Syrien explodierte.

Im Herbst 2012 stellte der Militärische Geheimdienst der US-Armee (DIA) fest, dass islamistische und jihadistische Gruppen – mit Unterstützung von al-Qaida im Irak – den Ton unter den bewaffneten Gruppen angaben. Das sei offenbar vom Westen, der Türkei und den Golfstaaten gewollt und werde von diesen unterstützt. Dass dabei ein „Islamisches Khalifat“ im Grenzgebiet zwischen Irak und Syrien entstehen könne, werde in Kauf genommen.  Ziel dieses Spiels mit dem Feuer sei, so der DIA, der Sturz der Regierung von Bashar al-Assad (3).

Syrien ist Austragungsort vieler Schlachten geworden“, sagte Mokhtar Lamani, der Stellvertreter des damaligen UN-Sondervermittlers für Syrien, Lakhdar Brahimi (im Interview mit der Autorin 2013) in Damaskus. Die große Fragmentierung und das enorme Misstrauen unter den Syrern mache die Vermittlungsmission der Vereinten Nationen schwer. Der Konflikt habe drei Ebenen: national, regional und international, und die Wechselbeziehungen, die zwischen der nationalen, regionalen und internationalen Ebene bestünden, machten „die Lage wirklich äußerst kompliziert“. Bis heute hat wohl kaum jemand einen guten Überblick über die fragmentierte politische und bewaffnete Landschaft Syriens wie die UN-Mission zu Syrien.

Auf der syrischen Landkarte, die Lamani zwischen 2012 und 2013 mit der Hilfe seiner Mitarbeiter in Damaskus erstellt hatte, gab es „mehr als 2000 Gruppen“, sagte er im Gespräch mit der Autorin in Damaskus. „Es gibt Nationalisten, die Demokratie wollen. Es gibt Extremisten, die ein Programm haben, das mit Syrien nichts zu tun hat. Es gibt Kriminelle, die die Situation ausnutzen, um ein Museum zu plündern oder Leute zu entführen und dann Geld zu erpressen. Und natürlich gibt es auf der Seite der Regierung Hardliner und Leute, die einlenken, das ist normal. Tatsache ist, dass sie nicht mit einander reden, außer mit Waffen. Sie hören sich nicht zu.“ Was in Medien knapp als „Freie Syrische Armee“ und „Opposition“ bezeichnet werde, seien tatsächlich „Armeen“ und „Oppositionsgruppen“. Eine „Brigade“ beispielsweise könne „nicht militärisch definiert“ werden: „Es können fünf oder auch 5000 Leute sein“. Mehr als 157 Parteien und Gruppen seien im Laufe des Jahres, in dem er in Damaskus war, gekommen. Außerdem 35 verschiedene kurdische Gruppen. „Jeder hat erklärt, 70 Prozent und die Mehrheit der Bevölkerung zu vertreten. Wie viele 70 Prozent passen eigentlich in 100 Prozent!

 

Anmerkungen

1 An dem Treffen in Wien  nahmen die Außenminister von China, Ägypten, Frankreich, Deutschland, Iran, Irak, Italien, Jordanien, Libanon, Oman, Katar, Russland, Saudi Arabien, Türkei, Vereinigte Arabische Emirate, Großbritannien und den USA teil. Auch die EU, die UNO und die Arabische Liga waren vertreten.

2 http://www.nytimes.com/2013/03/25/world/middleeast/arms-airlift-to-syrian-rebels-expands-with-cia-aid.html?_r=0

3 http://levantreport.com/2015/05/19/2012-defense-intelligence-agency-document-west-will-facilitate-rise-of-islamic-state-in-order-to-isolate-the-syrian-regime/

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Karin Leukefeld, Jahrgang 1954, Studien der Ethnologie, Islam- und Politikwissenschaften, Ausbildung zur Buchhändlerin. Organisations- und Öffentlichkeitsarbeit u.a. beim Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU), Die Grünen (Bundespartei), Informationsstelle El Salvador. Persönliche Mitarbeiterin eines Bundestagsabgeordneten der PDS (Außenpolitik und Humanitäre Hilfe). Seit 2000 freie Korrespondentin im Mittleren Osten.