Bilanz der Ostermärsche 2022

Ostermärsche im Gegenwind

von Marvin MendykaAnnegret Krüger
Initiativen
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Proteste für einen friedenspolitischen Wandel sind in Zeiten eines Krieges in Europa nicht einfach, aber besonders notwendig. In rund 120 Städten fanden bundesweit Ostermarsch-Aktionen statt, um Frieden und Abrüstung zu fordern. Insgesamt kann die Friedensbewegung eine positive Bilanz der Ostermärsche 2022 ziehen, trotz der politisch schwierigen Umstände und des starken medialen Gegenwindes, den die traditionellen Aktionen der Friedensbewegung in diesem Jahr erfuhren.

Die Zahl der Teilnehmenden konnte 2022 im Vergleich zu den Vorjahren leicht gesteigert werden. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn die Einschränkungen durch die Corona-Pandemie sind mittlerweile weggefallen und die in den letzten Jahren vorherrschende Verunsicherung darüber, wie sicheres Protestieren gelingen kann, konnte inzwischen aufgeklärt werden. Virtuelle Angebote, die das Netzwerk Friedenskooperative auch in diesem Jahr vorsichtshalber angeboten hat, wurden kaum mehr wahrgenommen. Stattdessen zog es die Menschen auf die Straße. Auch in diesem Jahr kamen weitere Städte mit erstmaligen Ostermärschen hinzu, wie etwa Weimar, Nordenham und Neuruppin.

Zentrale Themen und Forderungen der Ostermärsche 2022
Die Ostermärsche 2022 standen im Zeichen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Im Mittelpunkt stand deshalb in vielen Städten die Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand und langfristig nach Frieden für die Menschen in der Ukraine. So schwer dies in der derzeitigen Situation erscheinen mag, vielerorts wurden auf weitere diplomatische Bemühungen gepocht.

Die von der Bundesregierung angekündigte massive Aufrüstung der Bundeswehr war ebenso ein wichtiges Thema und wurde flächendeckend bei den Ostermärschen abgelehnt. Diese massive Hochrüstung hilft den Menschen in der Ukraine nicht und geht zu Lasten von dringend benötigten Investitionen, bspw. im Bereich des ökologischen Umbaus der Gesellschaft, was ein nicht minder sicherheitsrelevantes Thema ist. Daher gab es ein deutliches Nein von Seiten der Friedensbewegung zur Aufstockung des Wehretats und der Einrichtung des Sondervermögens für die Bundeswehr.

Auch das Ur-Thema der Ostermarsch-Bewegung, die nukleare Abrüstung, stand 2022 im Fokus zahlreicher Aufrufe und Reden. Selten zuvor war die Gefahr einer nuklearen Eskalation so hoch wie heute - umso mehr Anstoß nahmen viele Friedensbewegte an den Plänen der Bundesregierung zur Anschaffung neuer Atombomber vom Typ F35. Diese sollen die noch rund 15 in Deutschland verbliebenen B61-Atombomben tragen können, welche in den kommenden Jahren ebenfalls modernisiert werden sollen. Die Anschaffung neuer Atombomber und die Stationierung neuer Atomwaffen wären die umfassendste nukleare Aufrüstung in Deutschland seit über 30 Jahren. Die Friedensbewegung forderte daher umso dringender, dass Deutschland dem Atomwaffenverbotsvertrag beitritt. Bereits 60 Länder haben diesen Vertrag ratifiziert und zeigen damit einen anderen Weg zu internationaler Sicherheit auf.

Ostermärsche 2022 in der Kritik
Dass Friedensproteste gerade in Zeiten von Kriegen besonders kontrovers erscheinen, ist keine Neuheit. In vielen Medien wurde und wird seit dem Ostermarsch darüber diskutiert, ob der Pazifismus überhaupt noch zeitgemäß sei. Auch stellte sich die nicht erst seit Februar 2022 aufkommende Frage, ob die Friedensbewegung ein Russland-Problem habe bzw. mit der Bewertung russischer Kriege. Auf einige der kritisierten Punkte soll an dieser Stelle eingegangen werden.

Das Netzwerk Friedenskooperative ist jedes Jahr bemüht, den Ostermärschen ein gemeinsames Dach zu geben, damit diejenigen Forderungen und Themen der Friedensbewegung, welche weitestgehend Konsens zu sein scheinen, in einer breiteren Öffentlichkeit Gehör finden. Nichtsdestotrotz gehört die Formel „traditionell finden die Ostermärsche in lokaler und regionaler Verantwortung statt" zu den festen Bestandteilen einer jeden Pressemitteilung des Bonner Büros zu den Ostermärschen. Damit soll verdeutlicht werden, dass die Aufrufe aus den einzelnen Städten nicht für "die Ostermarsch-Bewegung" in ganz Deutschland stehen. Es ist jedoch nicht von der Hand zu weisen, dass es in den einzelnen Städten inhaltliche Unterschiede bei der Beurteilung von Sachverhalten gab. Wenn es der ein oder andere mehrseitige Aufruf nicht zustande bringt,bspw. die Tatsache zu benennen, dass Russland derzeit einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt, ist es hin und wieder selbst für das Team des Netzwerk Friedenskooperative verständlich, dass dies medial angeprangert wird und für die Bündnisfähigkeit der Friedensbewegung nicht förderlich ist.

An dieser Stelle ist eine kritische Hinterfragung der eigenen Positionen richtig und wichtig. Vor allem das Thema der Waffenlieferungen polarisiert. Wir sind uns des Dilemmas bewusst - einerseits die Forderung der ukrainischen Seite nach Waffen, um ihrem Selbstverteidigungsrecht im Angesicht eines Angriffskrieges nachkommen zu können und andererseits die Ablehnung von Waffenlieferungen aus friedensbewegter Sicht. Dies sind Spannungen, die es momentan auszuhalten gilt. Die Beteiligung Deutschlands sollte dennoch nicht in Waffenlieferungen bestehen. Andere Beispiele von Kriegen und Konflikten zeigen, dass Waffen nicht zu einem schnelleren Ende eines Krieges führen und sich weiter verbreiten. Die Verbreitung kann nicht kontrolliert werden.

Auch die Eskalation bis hin zu einem Atomkrieg stellt eine reale Gefahr dar. Deutschlands Beitrag kann hier u. a. in den bereits aufgenommenen Strukturermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts liegen. Dabei werden personenunabhängig Beweise für Verbrechen gesammelt. Durch dieses kann später zumindest ein Prozess nach dem Weltrechtsprinzip in Deutschland möglich gemacht werden. Auch können die Beweise zu einem späteren Zeitpunkt vor dem Internationalen Strafgerichtshof verwendet werden. Des Weiteren könnte sich Deutschland auf zivile Unterstützung, wie Ernährungssicherung, medizinische Versorgung etc. fokussieren.

Eine Aufforderung zur Kapitulation der Ukraine ist jedoch keine Forderung, die uns hier in Deutschland zusteht. Aus unserer privilegierten Position heraus sollten wir den ukrainischen Menschen nicht vorschreiben, was sie zu tun haben. Wir leben schließlich in einem Land ohne Krieg. Jedoch kann das Angebot an Alternativen zur militärischen Auseinandersetzung aufgezeigt werden.

Fazit der Ostermärsche 2022
Viele Menschen wollten nicht ohnmächtig die Nachrichten verfolgen, sondern sich aktiv auf der Straße gegen den Krieg, für diplomatische Lösungen und gegen Aufrüstung einsetzen. Die Veranstalter*innen und Teilnehmenden zeigten sich bei den Ostermärschen besorgt über eine drohende Ausweitung und Verlängerung des Krieges.

Angesichts des völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine waren die Ostermärsche gleichzeitig umso dringender als auch umso herausfordernder. Doch sollte die Friedensbewegung diese Herausforderung auch in den kommenden Jahren auf sich nehmen, um eine mahnende Stimme für Deeskalation, Frieden und Abrüstung zu bleiben - auch in Zeiten von Kriegen.

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Referent für Social-Media und Öffentlichkeitsarbeit beim Netzwerk Friedenskooperative.
Annegret Krüger arbeitet beim Netzwerk Friedenskooperative in Bonn.