Parteinahmen

von Gerd Greune
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Es hagelt in diesen Wochen Vorwürfe an die Friedensbewegung, nicht nur von jenen, die schon immer der Meinung waren, sie sei einäugig, ohnehin von eigenen Feindbildern getrieben und ferngesteuert. Es bleibt auch für viele, die Sympathie haben für das Engagement der Friedensbewegung, erstaunlich, daß der Aufschrei der Empörung ausbleibt, während Zehntausende, kaum 1000 km von unserem Land entfernt in Jugoslawien von eigenen Streitkräften bombardiert, belagert, ausgehungert und aus ihren Städten und Dörfern vertrieben werden. Keine spontanen Demos, keine Schülerstreiks, nur geringe Resonanz für die Aufrufe gegen den Krieg durch Organisationen der Friedensbewegung. Was sind die Ursachen dieser "Sprachlosigkeit"?

Ein hausgemachter Krieg?
Im Unterschied zu vielen internationalen Konflikten der Vergangenheit ist der Krieg in Jugoslawien ein hausgemachter "par excellence". Die Bilder aus den Kampfgebieten, die auch über unsere Fernseher ausgestrahlt werden, entstammen vorwiegend Propagandasendungen aus Serbien oder Kroatien. Unglaubliche Massaker werden oft mit den gleichen Bildern den Mördern der Gegenseite in die Schuhe geschoben. Der kritische Beobachter am Fernsehschirm fühlt sich zu Recht desinformiert.

Friedensgruppen und die europäischen Regierungen in einem Boot?
Friedensgruppen und die europäischen Regierungen saßen über den Sommer hinweg gewissermaßen in einem Boot: übereinstimmend sprachen sie sich für ein Ende von Haß und Gewalt aus, für die Respektierung von Menschenrechten und innerstaatlicher Verfassung und kritisierten gewaltsame Verstöße auf allen Seiten. Militärische Intervention oder einseitige Parteinahme mit eindeutigem machtpolitischem Kalkül stand bisher so nicht auf der Tagesordnung, stattdessen wurde - wenn auch ergebnislos - vor allem vermittelt. Dies kann kaum Anlaß zu Massendemonstrationen sein. Warum also auf Straße gehen?

Parteinahme durch Anerkennung?
Wer wie der CDU-Fraktionsgeschäftsführer Bohl die Friedensbewegung der Untätigkeit zieh, hatte dabei schon etwas anderes im Sinn: Er wollte eine deutlichere Parteinahme der Friedensbewegten für den Unabhängigkeitskampf Kroatiens und gegen die massiven Angriffe der jugoslawischen Bundesarmee gegen kroatische Städte und Dörfer. In der Tat findet man bei den zahlreichen kroatischen Demonstrationen in deutschen Städten auch Anhänger der Friedensbewegung und umgekehrt wehen bei den kleineren Friedensaktionen auch kroatische Fahnen. Doch ist diese "Parteinahme" wirklich hilfreich? Zweifel sind angesagt: In Kroatien terrorisiert eine militant-nationalistische schwarze Front (HUS-Ustascha) die eigene Bevölkerung, vornehmlich in serbisch bewohnten Regionen, belagert Kasernen und ist ganz unverblümt für die Vertreibung der Serben aus Kroatien. Ihre Geschichte ist eng verbunden mit den kroatisch-deutschen Massakern während des 2. Weltkrieges und ihre Ideologie national-chauvinistisch und rassistisch. Diese Gruppen haben Zulauf bekommen, nachdem die Bundesarmee massiv die Zivilbevölkerung in Kroatien angriff. Die kroatische Regierung unter Tudjmann wird diese "Bündnispartner" nicht mehr los, nachdem sie selbst ausschließlich auf die nationale Karte setzte und jede Versöhnung mit Belgrad verworfen hat. Dies verbaut jeden denkbaren Friedensprozeß und Dialog mit Serbien. Verbunden wird die anti-serbische Kampagne, die auch in unseren Medien Fuß faßt, mit alten Feindbildern. Der Hinweis auf die "kommunistische Herrschaft" in Belgrad soll suggerieren, daß es in diesem Krieg auch um die letzte Befreiungsschlacht gegen stalinistischen Terror geht.

Dies baut neue fatale Fronten auf und ist kaum glaubwürdig.
Die Repression gegen Deserteure, die "anti-faschistische Propaganda" in Serbien vor allem im Offiziercorps der Streitkräfte und bei den nationalistisch-chauvinistischen Tschedniks, Überfälle auf Friedensbüros durch serbische Nationalisten und die aggressive Vorgehensweise der Belgrader Regierung steht den kroatischen Verhältnissen in nichts nach, hat aber mit der systematischen Verfolgung von Oppositionellen in der ehemaligen Sowjetunion oder ihren Satelliten nicht viel gemeinsam. Erinnern wir uns: Wer in den Zeit des Staatskommunismus Friedenskerzen aufzustellen wagte, wurde massiv verfolgt. In Belgrad demonstrieren täglich Menschen gegen den Krieg.

In Serbien und Kroatien ähneln sich stattdessen die Bilder der Repression, die vor allem nationalistisch begründet werden.
Der Terror der Bundesarmee richtet sich wiederum gegen Kroaten, Serben, Ungarn, Slowenen und macht in den bombardierten Städten überhaupt keinen Unterschied zwischen den Nationalitäten. Ganze Einheiten gehen inzwischen "von der Fahne". Die Armeeführer begründen ihre Angriffe mit "anti-faschistischer" Tradition und versuchen ihre Zerstörungswut ideologisch zu vernebeln. In Wahrheit ist hier geputscht worden. Die Armee handelt objektiv gegen die existentiellen Interessen aller Republiken einschließlich der Serben.

Die europäische Dimension: Anerkennung Kroatiens verschärft den Konflikt

Vor dem Hintergrund der dramatischen Ereignisse in der Sowjetunion wären die Regierungen des Westens gut beraten, alles zu unterlassen, was nationalistischen Separatismus beflügelt und sich für die Selbstbestimmung der Völker im Rahmen neuer regionaler Integration einzusetzen. Selbstbestimmung, und dies wurde auch bei der Vereinigung mit der DDR beteuert, ist nicht realisierbar gegen die Nachbarvölker sondern im Einklang mit ihnen. Alles andere führt zum Krieg.

Fatale Frontlinien werden in diesem Konflikt in Europa aufgebaut: Wer sich nicht auf die Seite der Kroaten stellt, ist ein Gegner von Selbstbestimmung und Freiheit. Wer sich für die Versöhnung der Völker Jugoslawiens ausspricht, wird als Freund der serbischen Aggressoren verdächtigt? In diesem Meinungsstreit verhallt der Ruf gegen Krieg und Gewalt. Es könnte sich auch um den Spaltpilz des europäischen Einigungsprozesses handeln. In Washington, in der Vergangenheit nicht gerade zurückhaltend bei "schnellen Lösungen" regionaler Krisen, hält man sich auffallend zurück, gerade auch in der Frage der völkerrechtlichen Anerkennung neuer Republiken in Osteuropa.

Der Ruf nach "mehr Friedensbewegung" durch die Parteien zeigt, daß dort ebenso wie in der Regierung kein Konzept für eine friedliche Lösung vorliegt. Ihre Gesprächspartner in Zagreb und Belgrad sind leider auch Teil des Krieges.

Politische Demonstrationen gegen den wachsenden Nationalismus in Europa und konkrete politische Hilfe nach Jugoslawien
Die jugoslawischen Friedensgruppen sprechen deshalb auch nicht von der Anerkennung der Republiken als wünschenswert, sondern von der Nicht-Anerkennung (disrecognition) der jugoslawischen Bundesorgane einschließlich der Armee. Die Anerkennung der Tatsache, daß Jugoslawien faktisch nicht mehr besteht, könnte gemeinsamer europäischer Nenner werden. Dies führt einerseits dazu, daß die militärischen Verbände im Kampfgebiet nicht als legitime Verhandlungspartner in einem Friedensprozeß anerkannt werden, sehr wohl aber Deserteure und Friedensgruppen.

Demonstrationen machen dann Sinn, wenn sie sich gegen die Ursachen der wachsenden Gewalt in Europa wenden, die in Jugoslawien den Krieg mitentfachten: Nationalismus, Rassimus und - so nennen wir das bei uns - Ausländerfeindlichkeit. Dies sind die Keime neuer Kriege in Europa. Hier ist auch das Engagement der Friedensbewegung sichtbar und wie die Demonstrationen vom 9. November zeigten - bringt es auch Hunderttausende auf die Straße. Es wäre wünschenswert, wenn sich öffentliche Demonstrationen in unserem Land zeitgleich mit jenen geplanten Kundgebungen gegen Rassimus und Nationalismus Ende Januar in Italien, Belgien, Frankreich verbinden ließen. Wir brauchen mehr europäisches Denken und Handeln.

Es wurde in der vergangenen Woche verabredet, eine Republik-übergreifende Delegation der Anti-Kriegskampagne nach Bonn und Brüssel einzuladen und sie möglichst wirksam mit ihren Vor-schlägen in den Friedensdialog einzubeziehen. Darüber hinaus wird an Bundestag und Europaparlament appelliert, die jugoslawische Friedensbewegung aktiv zu unterstützen. Die bestehenden Städtepartnerschaften zwischen deutschen und jugoslawischen Städten und Gemeinden sollen für den Friedensdialog ebenso genutzt werden. Überall, so die Friedensgruppen in Jugoslawien, werden runde Tische in den Regionen geschaffen. Besondere Unterstützung sollen Deserteure und Kriegsdienstverweigerer aus Jugoslawien erhalten; trotz einer Verabredung der Innenminister haben viele junge Jugoslawen Angst, daß ihr Aufenthalt in Deutschland nur von kurzer Dauer sein wird und halten sich versteckt. Schließlich wird massive humanitäre Hilfe für die vom Krieg betroffenen Regionen in Gang gebracht und über die Friedensgruppen verteilt. Eine Liste mit besonders dringlich benötigten Medikamenten liegt vor. Die Ärzte gegen den Atomkrieg (IPPNW) haben bereits mit der Organisation der Hilfsmaßnahmen begonnen.

Es wäre Illusion zu glauben, daß der Krieg schnell beendet wird. Laute Töne aus Europa und vor allem aus Deutschland werden den Haß in Jugoslawien eher verstärken als dämpfen.

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Gerd Greune ist Vorsitzender von ifias Brussels.