ZFD - Erste Erfahrungen mit Friedensfachkräften im Einsatz

Partnerschaftlich Ziele bestimmen

von Hagen Berndt
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Seit drei Monaten ist Nenad Vukosavljevic im Einsatz in Sarajevo. Der Trainer der Bildungs- und Begegnungsstätte für gewaltfreie Aktion KURVE Wustrow hat sich in Bosnien-Herzegowina eingelebt. Die ersten Schwierigkeiten des Projekts, das bei IMIC (International Multicultural and Interreligious Centre) und anderen Organisationen vor Ort den Aufbau von Trainingsstrukturen für gewaltfreie Konfliktbearbeitung unterstützen soll, sind überwunden und eine Vielzahl von Kontakten hergestellt. In Wustrow werden diese ersten Erfahrungen ausgewertet und wird darüber nachgedacht, ob der Einsatz von Friedensfachkräften und damit zusammenhängend der Aufbau von Friedensfachdiensten in dieser Organisation eine Zukunft haben wird.

"Friedensfachdienst" hat sich als Begriff für diejenigen Friedensdienste eingebürgert, deren Personal auf besondere Weise für Aufgaben ziviler Konfliktbearbeitung qualifiziert ist. Friedensfachkräfte reisen auch weiterhin als Freiwillige oder über Instrumente der Entwicklungszusammenarbeit als EntwicklungshelferInnen aus oder befinden sich im Inland im Einsatz. Das Projekt in Sarajevo ist nicht das einzige internationale Vorhaben dieser Art, an dem die KURVE Wustrow arbeitet. Aus ersten Kontakten im Sommer 1996 zu ruandischen Flüchtlingsorganisationen in Kenya ist eine engere Partnerschaft zu einer Gruppe entstanden, die im Mai/Juni diesen Jahres eine Mitarbeiterin zur Fortbildung nach Wustrow schicken konnte. Durch die Arbeit von Julienne Mukabucyana in Nairobi sind eine Reihe von Kontakten entstanden, die eine Zusammenarbeit auf dem Gebiet gewaltfreier Trainingsarbeit ermöglichen. Vorbild für dieses Kooperationsmodell ist eine langfristig angelegte Partnerschaft der KURVE Wustrow und anderer Organisationen, allen voran dem DFG-VK-Bildungswerk in NRW, mit dem Verein der KriegsgegnerInnen in Izmir.

Ganz entscheidend für den Erfolg von Friedensfachdiensten ist das Herstellen von Vertrauen der Partnerorganisationen zueinander. Am Anfang einer Zusammenarbeit steht die Identifizierung einer gemeinsamen Basis, eines gemeinsamen inhaltlichen oder politischen Ziels. Sich gegenseitig an Diskussionsprozessen zu beteiligen, muß dazu führen, daß sich nicht nur auf einer Seite etwas verändert. In Konfliktfeldern tätig zu sein, bedeutet auch mehr, als ein Projekt zu planen: es ist die Beteiligung am Leben, in repressiven Gesellschaften: am Überleben der Partner. Kritische Fragen der PartnerInnen in der Türkei haben die MitarbeiterInnen der KURVE Wustrow bewogen, über den Stellenwert gewaltfreien Handelns in stark repressiven Gesellschaftssystemen nachzudenken.

Friedensdienste, die ihre Arbeit zu Friedensfachdiensten qualifizieren, können oft auf lange Erfahrungen in den Bereichen sozialer Lern- und Freiwilligendienste oder gewaltfreier Graswurzelarbeit zurückgreifen. Sie treten in Deutschland mit einem inhaltlichen und politischen Anspruch auf, der größere politische Zusammenhänge zu beeinflussen sucht. Doch letztendlich sind ihre Struktur, ihre personelle und ökonomische Grundlage bestenfalls mit denen kleinerer Betriebe vergleichbar, und damit ist ihre gesellschaftliche Bedeutung begrenzt. Daher ist eine pragmatische Zusammenarbeit zwischen Friedensdiensten notwendig, um ihre Effektivität bei der Entwicklung von Friedensfachdiensten zu erhöhen. Das Türkei-Projekt war auch deshalb so fruchtbar, weil unterschiedliche Organisationen ihre Stärken einbringen konnten.

KURVE-Trainerin Tanya Spencer, die im Oktober auf einer Frauenkonferenz in Thailand Erfahrungen mit Methoden gewaltfreier Trainingsarbeit vorstellte, beobachtete, daß bei der Arbeit in den Konfliktgebieten Südostasiens eine Vernetzung etwa mit dem Internationalen Versöhnungsbund (IFOR) Glaubwürdigkeit vor Ort erhöhen kann. Auch in bezug auf Ostafrika werden nur solche Projekte Bestand haben, die verschiedene Erfahrungen, etwa die von Fachdiensten der Entwicklungszusammenarbeit, die bereits seit Jahren qualifiziertes Personal entsenden, und die von Friedensdiensten mit ihrer Verwurzelung in regionaler Konfliktarbeit zusammenbringen.

Lokales Selbstbewußtsein lehnt dort zunehmend "Partnerschaft" ab, wenn sie Bevölkerungen zu Objekten von Projektarbeit macht. Ein Austausch, der Solidarität einschließt und PartnerInnen als solche ernst nimmt, die einander etwas geben können, ist gefragt. Die Durchführung des Pilotprojekts eines Gorleben International Peace Team, an dem auch Friedensfachkräfte aus Nigeria, Ecuador und Mazedonien teilnahmen, um Verletzungen von Menschen- und BürgerInnenrechten im Gorleben-Konflikt zu dokumentieren, kann als positives Beispiel für gleichberechtigte Zusammenarbeit gewertet werden.

Eine gute Vorbereitung des entsandten Personals auf den Einsatz ist unumstrittene Notwendigkeit. Nenad, der 1997 an dem vom Land NRW geförderten "Modellvorhaben: Ausbildung in ziviler Konfliktbearbeitung" teilgenommen hatte, sieht die dort gebotenen elf Wochen Grundkurs als nicht ausreichend an: Seine Qualifikation für die Arbeit habe er vorher und über einen längeren Zeitraum erhalten. Lebenserfahrung ist ein wichtiges Kriterium, das durch die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Fragestellungen im Training, aber auch in realen Situationen ergänzt wird. Für die Vorbereitung zukünftiger Friedensfachkräfte setzt die KURVE Wustrow diese Erfahrungen gerade in ein längerfristiges Programm um, das Fachkräfte qualifiziert, indem es ihre Weiterbildung individuell gestaltet: persönliche Vorerfahrung der Fachkraft, die Konfliktkonstellation im Einsatzland und die Zielsetzung des Projekts spielen dabei eine wichtige Rolle.

Bereits in der Vorbereitungsphase, aber auch in der Projektphase, ganz besonders zu Beginn des Einsatzes, ist eine ausreichende Betreuung dringend erforderlich. In Sarajevo gestaltet sich Nenads Projekt in einigen Aspekten anders als es vorher in Wustrow geplant war. Mit den für Krisenregionen typischen Schwierigkeiten in der Kommunikation kann die gemeinsame Basis von Personal im Einsatzfeld und der Hintergrundstruktur im Heimatland der Organisation schnell verlorengehen. Ein Projektbesuch bereits sechs Wochen nach Ausreise der Fachkraft war deshalb notwendig. Die kontinuierliche Reflexion der Projektentwicklung durch eine engagierte Projektunterstützungsgruppe hat sich neben der professionellen Betreuung durch das Büro als bedeutsam herausgestellt.

Unterschätzt hatte die KURVE Wustrow jedoch den Aufwand, den die Betreuung der Fachkräfte in Sarajevo und Nairobi verursacht. Dabei ist es bereits schwierig, nur ihren unmittelbaren Einsatz zu finanzieren. Friedensfachdienste fallen aus den Förderrichtlinien vieler ZuschußgeberInnen heraus: es handelt sich um älteres und qualifizierteres Personal als bei freiwilligen Friedensdiensten der traditionellen Art - also kein Zugang zu Jugendförderprogrammen - und für Mittel aus der Entwicklungszusammenarbeit wird zu wenig Handfestes produziert, wenn ein Konflikt begleitet wird. Mit privaten Spendengeldern, die zur Zeit die Grundlage der KURVE-Projekte bilden, werden sie auf Dauer nur schwer getragen werden können. Hier liegt gewiß eine der großen Herausforderungen für den Aufbau von Friedensfachdiensten. Neben einem Fortbestand breitenwirksamer Friedens- und Konfliktarbeit, die das Know How über Methoden gewaltfreier Konfliktbearbeitung zum Allgemeingut machen soll, ist ein Bedarf an für diese Aufgaben besser qualifiziertem Personal vorhanden. Die Grenzen, an die freiwillige Friedensdienste wie Peace Brigades International und Balkan Peace Team stoßen, zeigen das. Ob gesellschaftliche Akteure und auch die Öffentlichkeit über bisherige Lippenbekenntnisse hinaus den Aufbau von Friedensfachdiensten für eine gewaltfreie Konfliktbearbeitung ernsthaft betreiben wollen, muß sich noch zeigen.

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Hagen Berndt ist Mitarbeiter der Bildungsstätte Kurve Wustrow.