Buchbesprechung

Pazifismus als Diskurs

von Christine Schweitzer

Gertrud Brücher, Privatdozentin für Sozialtheorie und Friedenswissenschaft an der Fernuniversität Hagen, beschäftigt sich in ihrem neuen Buch „Pazifismus als Diskurs“ mit verschiedenen Ausrichtungen des Pazifismus. Dabei geht sie von der Beobachtung aus, dass der Begriff des Pazifismus, der untrennbar mit Frage verknüpft ist, wer sich Pazifist nennen darf und wer nicht, äußerst heterogene und widersprüchliche Positionen umfasst. Sie unterscheidet vier Varianten des Pazifismus, von denen sie jeder ein Kapitel widmet.

Die erste ist der ‚kriegsphilosophische Pazifismus’. Er ist dadurch gekennzeichnet, dass die Frage der Verhältnismäßigkeit der Mittel im Vordergrund steht. Das heißt, sein Thema ist die Frage nach den Bedingungen, unter denen Gewalt erlaubt und/oder notwendig ist. Er sucht sich von der Lehre des Gerechten Krieges dadurch abzugrenzen, dass er bestreitet, das dessen Kriterien in einem gegebenen Fall zuträfen: „Der Pazifismus liefert die ‚verhältnismäßigen Mittel’, schont die Unschuldigen, garantiert für die ‚rechte Absicht’ und reklamiert für sich die ‚gerechten Gründe’ (S. 85). Seine Stärke liegt darin, das das Verhältnis von Mittel und Zweck als ethisches Problem thematisiert wird, doch genau darin liegt auch seine Schwäche. Da Mittel aus philosophischer Sicht zweckneutral sind, ist die Logik des Zweck-Mittel-Schemas asymmetrisch, und es bleibt letztlich nur die gute Absicht, ausschließlich friedliche Mittel wählen zu wollen, die aber nicht diejenigen überzeugen muss, die die Vorannahmen nicht teilen.

Sein Gegenpol ist der ‚friedensphilosophische Pazifismus’. Er ist nicht identisch aber hat große Überschneidungen mit dem bürgerlichen Pazifismus des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, mit dem er das Streben nach der Herstellung von institutionellen Bedingungen teilt, unter denen Krieg gebannt ist. Globalisiertes Recht, ein Welt-Gewaltmonopol, ‚Demokratie’ oder ‚Zivilisation’ sind die Konzepte, die die Rahmenbedingungen für eine Welt ohne Krieg schaffen sollen. Dieser Pazifismus befasst sich nicht mit den Kriterien des Gerechten Krieges, er ist aber höchst anfällig für die Befürwortung von politischen Handlungen, die als Vorgriff auf die Herstellung eines solch angestrebten Rechtszustandes verstanden werden können, einschließlich sog. humanitärer Interventionen.

Brücher vertritt die Ansicht, dass diese beiden Formen des Pazifismus nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes als Idealtypen nicht mehr erkennbar seien. Eine  neue Variante des Pazifismus sei entstanden, die sie als ‚postmodernen Pazifismus’ bezeichnet. Die alternative Konzentration auf die ‚Ethisierung des Zieles’ oder die ‚Ethisierung der Mittel’ habe sich historisch überlebt, wobei auch die sog. Neuen Kriege und die Privatisierung von Gewalt eine Rolle spielen. Seine Schwäche liegt – ähnlich wie beim zweiten Ansatz – darin, dass die Begriffe verschwimmen und somit leicht auch Krieg gerechtfertigt werden kann – der „westliche Akteur, der eine Weltordnung nach seinem Bild herstellen will“, braucht nur seine Soldaten ‚Weltpolizisten’ nennen und hat sie damit legitimiert.

Diesen drei Varianten gegenüber schlägt Brücher als „Ausweg und Ausblick“ einen ‚paradoxen Pazifismus’ vor. Er legt sein Schwergewicht auf gewaltfreies Handeln, wie es Gandhi in seinem Konzept des Satyagraha (dt. manchmal als ‚Gütekraft’ bezeichnet) entwickelt hatte. Seine Paradoxie besteht darin, dass sich dieses Handeln von der Reaktion des Anderen unabhängig macht und gerade dadurch seine Wirkung erzielt. Da es gleichzeitig vernünftiges Handeln ist, braucht es „kein Volk von Engeln“, um es zu praktizieren, wie gegen Gandhi oftmals eingewendet wird. Wie bei dem Friedensmodell Kants setzt Satyagraha auf das Prinzip der Wahrhaftigkeit, und bei beiden „ist der Friede ein paradoxes Phänomen und damit nicht einfach als garantierter Lebensschutz und als garantierter Sieg des Guten zu verstehen“ (277). Ihr Unterschied ist, dass Kant auf die Institutionenbildung setzt, während Gandhi sein Modell auf die Unabhängigkeit von Institutionen stützt.

Gertrud Brücher hat mit diesem Buch eine äußerst interessante aber sehr anspruchsvolle Publikation zum Thema Pazifismus vorgelegt. Es enthält viele Gedanken und Argumentationen, die in dieser Rezension nicht angemessen wiedergegeben werden konnten, etwa wenn Brücher immer wieder auf Parallelen zwischen Denkrichtungen des Pazifismus und des Terrorismus eingeht. Das Buch fordert die LeserIn heraus und dürfte für Menschen, die keine Affinität zur Philosophie oder verwandten Denkrichtungen haben, nicht einfach zu lesen sein, obwohl Brücher im Grunde ihre Argumentationen so aufbaut, dass sie nicht wirklich viel Vorkenntnisse voraussetzen. Doch Brücher entwickelt Argumentationen, sie fasst sie selten zusammen, so dass nur ein konzentriertes Sich-Einlassen auf den Text zum gewünschten Erfolg führt – ‚Querlesen’ oder ‚sich mal schnell einen Eindruck verschaffen’, wie es viele Menschen mit vielen Büchern gerne machen, ist unmöglich. ‚Pazifismus als Diskurs’ ist wichtiger Beitrag zur pazifistischen Diskussion für alle, die nach einer Positionsbestimmung suchen oder die eine fundierte Diskussion über die Annahmen und Zielvorstellungen ‚des Pazifismus’ (oder vielleicht nach Brücher eher ‚ der Pazifismen’) zu schätzen wissen.

Gertrud Brücher (2008) Pazifismus als Diskurs. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. ISBN 978-3-531-15953-9. EUR 29,90.

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Hintergrund
Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.