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Da wächst zusammen, was nicht zusammengehört
Polizei und Geheimdienste
von
Im Zuge einer teils ausufernden Antiterrorpolitik, ganz besonders nach 9/11, erlebten wir auch hierzulande in den letzten Jahrzehnten einen besorgniserregenden Wandel des demokratischen Rechtsstaats – und zwar in Richtung eines zunehmend entgrenzten Sicherheits-, Präventions- und Überwachungsstaates. (1) Dabei dreht sich der moderne Sicherheitsdiskurs längst nicht mehr allein um Gesetzesverschärfungen, Einzelmaßnahmen und Aufrüstung einzelner Sicherheitsorgane. Die Rede ist vielmehr von „vernetzter Sicherheit“ und neuer Sicherheitsarchitektur, also von Strukturveränderungen im Staatsgefüge, die notwendig seien, um Bedrohungen durch internationalen Terrorismus, islamistischen Extremismus, organisierte Kriminalität, Cyberattacken und asymmetrische Angriffe bewältigen zu können. (2)
Die neue Sicherheitsarchitektur basiert im Kern auf zwei Strukturveränderungen, die hierzulande auch als Tabubrüche bezeichnet werden können, weil sie auf dem Hintergrund deutscher Geschichte von Bedeutung sind (3): Erstens kommt es seit Jahren – neben der Militarisierung der Außenpolitik – zu einer schleichenden Militarisierung der „Inneren Sicherheit“; dabei steht der Bundeswehreinsatz im Inland im Mittelpunkt, der längst schon Realität ist – und zwar weitgehend unter Missachtung jener wichtigen Lehre aus der deutschen Geschichte, wonach Polizei und Militär, ihre Aufgaben und Befugnisse strikt zu trennen sind. Und zweitens kommt es zu einer problematischen Entgrenzung und Vernetzung von Polizei und Geheimdiensten (also Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst, BND), die im Folgenden in ihren Grundzügen aufgezeigt werden sollen.
Die Polizei als Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden in Bund und Ländern erlebte schon in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten einen tiefgreifenden Strukturwandel – einen Prozess der Entgrenzung polizeilicher Aufgaben und Befugnisse und einer Erhöhung staatlicher Kontroll- und Überwachungsdichte. Dies geschah im Zuge einer Präventionsentwicklung, mit der Eingriffsbefugnisse der Polizei immer mehr ins weite Vorfeld möglicher Gefahren und denkbarer Straftaten vorverlagert worden sind.
Und seit den 1990er Jahren kann man auch von einer „Vergeheimdienstlichung“ der Polizei sprechen, die mit einer verstärkten Vernetzung von Polizei und Geheimdiensten einhergeht. Einerseits erhielten die Länder- und Bundespolizeien geheime Befugnisse zur Strafermittlung und Vorfeldausforschung; dabei handelt es sich letztlich um „nachrichtendienstliche Mittel“ wie Verdeckte Ermittler*innen, die etwa in „extremistische“ Szenen oder Bereiche der „Organisierten Kriminalität“ eingeschleust werden, V-Leute, die aus kriminellen Milieus rekrutiert und abgeschöpft werden, heimliche Überwachungsmaßnahmen wie Große Lauschangriffe in und aus Wohnungen sowie sogenannte Staatstrojaner, also Überwachungssoftware, die heimlich in PCs oder Smartphones verdächtiger Personen eingeschleust werden, um sie ausforschen zu können. Und zur fortschreitenden Vernetzung gehören u.a. die Terrorismus-Abwehrzentren, in denen Polizei und Geheimdienste des Bundes und der Länder unmittelbar zusammenarbeiten, darüber hinaus die von beiden Sicherheitsorganen gemeinsam bestückten und genutzten Antiterrordateien, die der Bekämpfung des internationalen Terrorismus dienen sollen. Im Nationalen Cyber-Abwehrzentrum zur Abwehr elektronischer Angriffe auf kritische IT-Infrastrukturen kooperieren u.a. Bundeskriminalamt, Bundespolizei, BND, alle Verfassungsschutzbehörden und auch die Bundeswehr.
Die Polizei kann also exekutiv und geheim erworbenes Wissen nutzen, wie es in gemeinsamen Zentren und Verbunddateien der Geheimdienste und der Polizei zusammengeführt wird. Und die Polizei vereint darüber hinaus mit ihren diversen Eingriffsbefugnissen geheime und zugleich exekutiv-vollziehende Kompetenzen in einer Hand – eine prekäre Kombination, die ursprünglich gerade verhindert werden sollte. Denn die Ermächtigung zu polizeilichen Geheimbefugnissen und die Vernetzung im staatlichen Sicherheitssektor bergen große Gefahren: In letzter Konsequenz geht es um die (partielle) Aufhebung des verfassungskräftigen Gebots der Trennung von Polizei und Geheimdiensten – einer ganz wichtigen Konsequenz aus den bitteren Erfahrungen mit Reichssicherheitshauptamt und Gestapo der Nazizeit, die allumfassend sowohl nachrichtendienstlich als auch exekutiv-vollziehend tätig waren. Mit diesem sicherheitspolitischen Trennungsgebot, das auf dem „Polizeibrief“ der Westalliierten von 1949 basiert (4), sollten ursprünglich in Westdeutschland eine unkontrollierbare Machtkonzentration der Sicherheitsapparate sowie eine neue Geheimpolizei verhindert werden – eine Konsequenz, die im Laufe der Jahrzehnte immer weniger Beachtung fand und mittlerweile in Teilen praktisch aufgehoben worden ist.
Inzwischen hat das Bundesverfassungsgericht zwar die gemeinsame Nutzung der Daten in der Antiterrordatei durch Polizei und Geheimdienste zumindest problematisiert und teilweise für verfassungswidrig erklärt. (5) Das betrifft im Kern die gesetzliche Ermächtigung zur erweiterten Datennutzung („Data-mining“) im Antiterrordateigesetz: Also die unmittelbare Nutzung von Querverbindungen gespeicherter Datensätze aus polizeilichen sowie geheimdienstlichen Quellen durch die beteiligten Sicherheitsbehörden. Darin sieht das Gericht eine Verletzung des „informationellen Trennungsprinzips“ sowie des Grundrechts auf „informationelle Selbstbestimmung“. Solche Eingriffe, die hiervon Betroffene in gesteigertem Maße belasten, seien prinzipiell unverhältnismäßig.
Trotz dieser Entscheidung: Mit der seit Jahrzehnten fortschreitenden und verfassungsrechtlich kaum gezügelten Vernetzung und Verzahnung von Polizei und Geheimdiensten wächst mehr und mehr zusammen, was nicht zusammengehört. Mit dieser Entwicklung wird eine elementare Lehre aus der deutschen Geschichte, nämlich Trennungsgebot und informationelle Gewaltenteilung, weitgehend entsorgt – mit der drohenden Folge einer gefährlichen Machtkonzentration der Sicherheitsbehörden, die sich auch immer schwerer demokratisch kontrollieren lassen. Denn die konspirativ arbeitenden Teile des Polizeiapparates schotten sich intern, aber besonders auch nach außen hin ab, wodurch sich das ohnehin vorhandene Kontrolldefizit gegenüber polizeilichem Handeln noch erheblich vergrößert und verschärft. Alles in allem: Dieser fatalen Entwicklung gilt es dringend entgegenzuwirken.
Anmerkungen
1 S. dazu: Gössner, 20 Jahre nach 9/11 – oder: Menschenrechte in Zeiten des Terrors, in: FriedensForum 5/2021
2 Vgl. dazu u.a.: Stefan Hansen, Neue deutsche Sicherheitsarchitektur, Ffm u.a. 2009; Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Stichwort: „vernetzte Sicherheit“: https://www.baks.bund.de/
3 Dazu ausführlich: Gössner, Datenkraken im Öffentlichen Dienst, Köln 2021, S. 322 ff.
4 https://de.wikipedia.org/wiki/Polizeibrief
5 BVerfG-Beschluss v. 10.11.2020 zu § 6a Abs. 2 ATDG; Az 1 BvR 3214/15
Dr. Rolf Gössner, Jurist und Publizist, Kuratoriumsmitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte, Mitherausgeber des „Grundrechte-Report“ (Fischer-TB). Autor zahlreicher Bücher zu Innerer Sicherheit, Bürgerrechten und demokratischem Rechtsstaat, zuletzt: „Datenkraken im Öffentlichen Dienst. ‚Laudatio’ auf den präventiven Sicherheits- und Überwachungsstaat“, Köln 2021.