Ein Beispiel für erfolgreiche Umsetzung

Professionalisierung in der Friedensarbeit

von Thomas Krahe
Schwerpunkt
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Der Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen: eine ländliche Region an den Alpen, geprägt von Traditionsbewusstsein und einer eher wertkonservativen Haltung (CSU). Die Leute scheuen offene Konflikte, dafür langen sie ab und zu ´mal ordentlich hin`. Gleichzeitig gibt es viele kommunale Bürgerinitiativen. Die Bundeswehr ist stark. Pazifist ist ein Schimpfwort. Seit 10 Jahren besteht die Friedensinitiative im Landkreis.

Schwierige Bedingungen für Friedensarbeit?
Die Situation heute zeigt sich so: In Wolfratshausen läuft ein Bürgerbegehren. Eine mehrheitliche Ablehnung der geplanten Patenschaft der Stadt mit einem Kriegsschiff zeichnet sich ab. Die Stadt Bad Tölz organisiert eine Diskussion über Gelöbnis und Bundeswehr. Die Presse reserviert Seiten für Leserbriefdiskussionen, berichtet überregional, druckt jede Pressemitteilung. GRÜNE, AI oder VVN unternehmen Aktionen zur Interventionsarmee. Wir haben Zulauf. Größere Aktionen können über Spenden finanziert werden. Eine Friedensarbeiterstelle ist im Aufbau. Monatliche Spenden finanzieren ein eigenes Büro.

Nach 2 Jahren harter Arbeit haben wir endlich die öffentliche Diskussion zur Umstrukturierung der Bundeswehr.

Woher kommen diese Erfolge?
Unser Engagement beruht auf bestimmten Prinzipien, die auch anderen Gruppen helfen können. Unsere Arbeit ist sicher kein Rezept. Aber wir haben gelernt, unsere Möglichkeiten auszuschöpfen und die Arbeit immer wieder zu überdenken und zu verändern. Die Ergebnisse meiner Studie und Konzepte wie der Movement Action Plan (MAP) bestimmen unsere Arbeit. Ich begleite diesen Prozess wissenschaftlich. Der NATO-Angriff auf Jugoslawien war für uns wie auch für an dere ein Einschnitt. Besonders die Empörung über Rot-Grün war groß. Wir bekamen zwar Zulauf, eine Vielzahl von Themen und Einzelveranstaltungen prägte aber weiterhin die Alltagsarbeit. Grundlage des Erneuerungsprozesses war die Klausur Anfang 2000. Hier klärten wir anhand der Studie unser Selbstverständnis, Ziele und Arbeitsstruktur neu. Uns wurde klar, dass die eigentliche Stärke einer Bewegung in der konsequenten Entmachtung der Machteliten liegt. Das Vertrauen der Bewegung in Parteien übte zu wenig Druck auf Rot-Grüne Entscheidungen aus. Mit diesem Selbstbewusstsein gehen wir ganz anders mit Parteien um.
 

Unsere Wertehaltung klärten wir neu und hielten sie schriftlich fest. Als Ziel unserer Arbeit vereinbarten wir die Abschaffung der Bundeswehr. Damit gehen wir in eine klare Richtung und ordnen anfallende Themen dem Ziel unter. Wir beugen dadurch Überforderung und Überlastung vor und können eine Strategie entwickeln. Bewusst haben wir uns auf eine langfristige Arbeit eingelassen.

Die Arbeitsstruktur wurde verbindlicher. Schriftliche Selbstverpflichtungen haben den verantwortlich arbeitenden harten Kern und verschiedene Grade von Sympathisanten klar voneinander abgegrenzt. Das führte zu Entlastung und Klarheit. Die Aufgabenteilung wurde optimiert.

In der Gruppe haben wir gelernt, allen Persönlichkeiten und Fähigkeiten ihren Platz einzuräumen. Das zeigt sich darin, dass Neue bei uns bleiben. Konflikt- und Kompromissfähigkeit, Experimentierfreude, Spaß bei der Arbeit, Vertrauen und Verlässlichkeit sind Resultat eines ständigen Lernprozesses.

Schrittweise überzeugen
Zum ersten Jahrestag des Nato-Krieges gegen Jugoslawien führten wir eine Brückenblockade in Bad Tölz durch, mit über 100 TeilnehmerInnen die größte Aktion der Friedensbewegung seit den 90ern. Die Aktion war auf eine Zielgruppe zugeschnitten: Jugendliche. Wir konnten ihnen vermitteln: "Wir wollen nichts von ihnen, sondern bieten ihnen was". Sie empfanden den Krieg "irgendwie" als Unrecht und wollten was Spektakuläres tun. Engagierte Jugendliche nutzten wir als Multiplikatoren. Einige blieben bei uns. Für die Zukunft haben wir uns ein Mobilisierungspotential geschaffen. Andere politisch Engagierte wandten sich uns zu. Öffentlichkeit und Presse sind seitdem aufmerksam.

Im nächsten Schritt belagerten wir Bündnis 90/DIE GRÜNEN im Landkreis, bis sie zu einer selbstkritischen Auseinandersetzung bereit waren. Berührungsängste konnten abgebaut werden. Wir vereinbarten eine bessere Kommunikation. Damit sind in der Zukunft vereinzelt Allianzen möglich.

Sodann suchten wir den Austausch mit anderen Friedensgruppen und Experten, vertieften uns ins Thema und warteten auf einen guten Anlass, um das Ziel regional zum Thema machen zu können.

Geeignete Anlässe nutzen
September 2000 fanden wir einen solchen Anlass - die geplante Patenschaft der Stadt Wolfratshausen mit der Korvette K130, einer Offensivwaffe. Wir gingen den klassischen Weg über Einflussnahme auf demokratische Institutionen und wiesen deren Versagen nach (Einfluss auf Bürgermeister, Stadtratsbeschluss etc.). Wir zielen auf eine sachliche Auseinandersetzung. Das wirkt nach außen sehr überzeugend, und wir gewinnen den nötigen Rückhalt in der Bevölkerung. Der erste Stadtratsbeschluss pro Patenschaft zeigt die hier typische Strategie, das Thema Bundeswehr zu vermeiden.

Im nächsten Schritt sollte die Bevölkerung anhand von Werten und Information mobilisiert werden. Hier stehen wir vor einem Problem, das viele Gruppen umtreibt: Wie aktiviere ich BürgerInnen? Uns wurde klar, dass die meisten mit Arbeit, Familie, Freizeit mittlerweile so stark ausgelastet sind, dass die Schwelle, zu Veranstaltungen zu kommen oder sich aktiv zu beteiligen, noch zu hoch ist. Also gehen wir auf sie zu und zeigen Präsenz durch Unterschriftensammlungen, Postwurfsendungen, phantasievolle Aktionen und Presse.

Auf einen spontanen Impuls hin lehnen die meisten die Patenschaft zwar ab, doch ist die Entscheidung noch nicht sachlich fundiert. Über Unterschriftenzahl und Befragung per Internet, wie auch die ignorante Haltung des Stadtrates dem BürgerInnenwillen gegenüber, zeichnete sich eine Mehrheit ab. Die Stadt ist seitdem in der Defensive und versucht, über Vorwürfe diese Ergebnisse in Frage zu stellen. Leserbriefe nehmen zu, Gruppierungen beginnen, uns anzugreifen. Das Thema gerät auf die Tagesordnung.

Ein großer Erfolg war die Ablehnung der Patenschaft durch die Bürgerversammlung. Der Stadtrat hat seine Entscheidung daraufhin zwar wiederholt. Doch das Votum der BürgerInnen, deren demokratisches Empfinden, wurde verletzt. Durch unsere Arbeit wurde mittlerweile das Thema Bundeswehr entscheidend und nicht Nebenargumente. Das ist auch unsere Grundlage für Bündnisse mit anderen. Damit erfolgt jetzt die Durchführung des Bürgerbegehrens. Am Bündnis "Gemeinsam gegen Kriegsschiff-Patenschaft" beteiligen sich u.a. die GRÜNEN und örtliche kirchliche Gruppen.

In diese Zeit, April 2001, fiel das öffentliche Gelöbnis der Bundeswehr in Bad Tölz. Hier nutzten wir einen punktuellen Anlass. Unangemeldet gingen wir in 2er Gruppen mit Transparenten dazwischen. Die Reaktionen reichten von rechten Beschimpfungen über Bespucken bis zum Würgen eines Aktiven durch einen Zuschauer. Höhepunkt war die Kündigung meines Arbeitsverhältnisses durch die Stadt Bad Tölz. Eine Welle der Empörung folgte.

Wir sind bewusst zu direkteren Aktionsformen übergegangen. Denn die Öffentlichkeit hat sich durch uns an das Thema Bundeswehr "gewöhnt". Damit steht jetzt nicht die Diskussion der Aktionsform im Vordergrund, sondern der Sinn der Bundeswehr und die Funktionsfähigkeit der Demokratie. Die Empörung ist groß. Bei wem die Gewaltbereitschaft liegt, ist klar geworden. Die Entweihung eines quasi sakralen Aktes hat den Kern der Militarisierung freigelegt. Durch bewusste Provokation haben wir emotionale Betroffenheit erzeugt. Jetzt führen wir sie auf eine Ebene, wo die Bundeswehr und ihre neuen Aufgaben rational diskutiert und bewertet werden können. Klar wurde, dass man uns nicht mehr ignorieren kann - Uns ist es ernst. Unser großer Vorteil: Wir agieren und bestimmen den Prozess. Die Gegner sind in der Defensive.

Erfolge feiern
Aufgrund massiven öffentlichen Drucks und Anregung von uns veranstaltet die Stadt eine öffentliche Runde mit Bundeswehr, Politikern, Verbänden, uns und BürgerInnen zum Thema Bundeswehr. Die gewonnene Solidarität nutzen wir, um über monatliche Spenden ein Büro für die "Kontaktstelle für Friedensarbeit" zu finanzieren. Die Gründung eines entsprechenden Vereins bringt uns die dringend nötige Infrastruktur, Entlastung und viele neue Möglichkeiten. Unsere Arbeit wird intensiviert.

Die Arbeit vor Ort ist nur so gut wie die Intensität der Kontakte mit anderen Gruppen. So haben wir überregional ein "Friedensnetz Bayern" mit-initiiert. Über eine Homepage www.einsatzkraefte-aufloesen.de beschleunigen wir eine entsprechende bundesweite Kampagne.

Politisch sind wir ein ernst zu nehmender Faktor im Landkreis geworden. Unser Hauptwirkungsfaktor ist die Presse, was auch Abhängigkeit bedeutet. Jetzt besteht die Chance, BürgerInnen aktiv in die Arbeit einzubinden. Das tun wir mit dem Bürgerbegehren und dem Verein. Eine These meiner Studie hat sich als richtig erwiesen: Die Friedensbewegung wird so stark wie sie nach innen gefestigt ist. Dann wirkt sie nach außen überzeugend. Ihre Möglichkeiten (Personal, Geld, Struktur) wachsen mit der Anzahl der Menschen, die sie gewinnt. Und nicht umgekehrt.

Weitere Informationen unter: www.friedensini.de

Krahe, Thomas 2000: Frieden braucht Bewegung. Herausforderungen für die Friedensbewegung von heute. Eine empirische Untersuchung zum erfolgreichen und motivierten Wiederaufbau der Friedensbewegung. Eigenverlag
 

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Thomas Krahe ist aktiv in der Friedensinitiative Bad Tölz-Wolfratshausen und Teilnehmer der Bagdad-Mission des VB.