50 Jahre: Bundeswehr statt Frieden

Protest gegen die Wiederbewaffnung

von Wolfgang Kraushaar

(red) Im folgenden dokumentieren wir einen Aufsatz von Wolfgang Kraushaar zum Thema Wiederbewaffnung aus dem Sammelband "Recht ist, was den Waffen nützt" von Helmut Kramer und Wolfgang Wette. Der hier abgedruckte Text bildet den ersten Teil eines Aufsatzes Kraushaars über die Friedensbewegung der 50er Jahre. Den zweiten Teil des Textes, der sich auf den Widerstand gegen die Atombewaffnung bezieht, hatte das Friedensforum bereits in der Ausgabe 1/2005, S. 45 f dokumentiert.

Kaum ein anderer Konflikt hat die alte Bundesrepublik so sehr gespalten wie der um die Wiederbewaffnung. Trotz der während des Kalten Krieges besonders angespannten Sicherheitslage konnte das im Grunde nicht überraschend sein. Schließlich lag das Ende des Zweiten Weltkrieges nur wenige Jahre zurück und die Lücken, die die Bombenangriffe gerissen hatten, waren in den meisten Städten noch unübersehbar. Als Konrad Adenauer 1965 im ersten Band seiner »Erinnerungen« Rückschau auf die wohl schwierigste Zeit seiner Amtsführung hielt, stellte er mehr oder weniger lakonisch fest, dass der Gedanke, seinerzeit einen Verteidigungsbeitrag in Europa leisten zu wollen, »im deutschen Volk sehr unpopulär« gewesen sei.

Wer sich die Mühe macht, die Umfrageergebnisse aus den ersten Jahren der Bundesrepublik herauszusuchen, der stößt anfangs auf eine regelrechte Ablehnungsfront, die von nahezu Dreiviertel der Bevölkerung getragen wurde: Im Dezember 1949 sprachen sich nach Angaben des Bielefelder Emnid-Instituts 74,6 Prozent der Befragten dagegen aus, wieder Soldat zu werden, und im November 1950 mit 73,4 Prozent beinahe ebensoviel. Diese Ergebnisse änderten sich jedoch bereits Mitte der fünfziger Jahre beträchtlich. Unter der massiv gestiegenen Furcht vor einem sowjetischen Angriff und angesichts der Einschränkung, einer Wiederbewaffnung nur in Form einer Beteiligung an einer europäischen Armee zustimmen zu sollen, wuchs die Anzahl der Befürworter nach der gewaltsamen Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes im Dezember 1956 auf 63 Prozent. Das Potential der Gegner war inzwischen auf knapp 25 Prozent gesunken.

Die wichtigsten Etappen des Widerstands gegen die Remilitarisierung spielten sich in einzelnen Stufen zwischen 1950 und 1955 ab. Die ersten Ansätze zu einer Friedensbewegung erlebten im Sommer 1950 unter der drohenden Gefahr, dass der Korea-Krieg auf Europa überspringen und der Ost-West-Konflikt in Deutschland eine Entscheidungsschlacht finden könnte, einen breiten Aufschwung. Bereits Ende August erklärte Bundeskanzler Adenauer in einem an die Alliierte Hochkommission gerichteten geheimen Sicherheitsmemorandum seine Bereitschaft, ein deutsches Kontingent im Rahmen einer europäischen Streitkraft aufstellen zu wollen. Dieser Schritt, der ohne Absprache mit seinen Kabinettsmitgliedern erfolgt war, führte zu einem Zerwürfnis mit Bundesinnenminister Gustav W. Heinemann (CDU), der schließlich am 9. Oktober 1950 zurücktrat. Am selben Tag ging im Eifelkloster Himmerod eine Geheimtagung ehemaliger Wehrmachtsoffiziere zu Ende. Ergebnis war eine Denkschrift zur Wiederbewaffnung, in der die Aufstellung einer deutschen Armee im Rahmen einer westeuropäischen Streitmacht vorgeschlagen wurde. Noch im selben Monat wurde der CDU-Bundestagsabgeordnete Theodor Blank damit beauftragt, eine Dienststelle aufzubauen, in der alle, wie es etwas vernebelnd heißt, »mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen« behandelt werden sollten.

Während der ersten Bundestagsdebatte über die Wiederbewaffnung im November erklärte Adenauer seine Bereitschaft für einen deutschen Verteidigungsbeitrag an einer Europa-Armee. Oppositionsführer Kurt Schumacher lehnte eine Beteiligung daran mit dem Argument ab, dass die Deutschen dabei nicht als gleichberechtigte Partner akzeptiert würden. Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits mehrere Geheimtreffen des SPD-Vorsitzenden mit den Ex-Generälen Adolf Heusinger und Hans Speidel stattgefunden, in denen Schumacher nicht nur sein grundsätzliches Einverständnis zur Remilitarisierung zu erkennen gab, sondern in seinen Vorstellungen von der Divisionsstärke einer deutschen Armee auch noch die seiner Gesprächspartner bei weitem übertraf.

Ganz anders reagierte ein Teil der evangelischen Kirche. In einer Handreichung propagierten die Bruderschaft der Bekennenden Kirche die Kriegsdienstverweigerung. Und in einem offenen Brief forderte Martin Niemöller, der Repräsentant des kirchlichen Widerstands gegen das NS-Regime und Präsident der Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau, den Bundeskanzler auf, Neuwahlen auszuschreiben. Die Regierung sei zur Wiederaufrüstung nicht legitimiert, weil dies im Wahlkampf 1949 noch kein Thema gewesen sei und deshalb auf eine Verfälschung des Wählerwillens hinauslaufe. Nur wenige Tage später trug er zusammen mit Heinemann auf einer Großveranstaltung des Evangelischen Männerwerks in Frankfurt seine Kritik öffentlich vor. Die Wiederaufrüstung in beiden Teilen Deutschlands sei ein »Auftakt zum Brudermord«. Da es niemanden gebe, der dagegen in Ost und West opponiere, müsse die Evangelische Kirche diese Rolle einnehmen.

Es waren Gewerkschaftler, Sozialdemokraten, Christen und Kommunisten, vor allem aber auch die Mitglieder der westdeutschen Freien Deutschen Jugend (FDJ), die sich gegen den Wiederaufrüstungskurs zur Wehr setzten. Sie wandten sich gegen den Einbau von Sprengkammern an der Loreley, erinnerten am 1. September mit dem »Anti-Kriegstag« an den Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen, mit dem der Zweite Weltkrieg begonnen hatte, und sie versuchten trotz Verbots am 1. Oktober bundesweit einen »Tag der hunderttausend Friedenskämpfer« durchzuführen. Da das Auftreten der kommunistischen Friedensbewegung nur einseitig die Abrüstung des Westens forderte und gleichzeitig die Aufrüstung des Ostens als Beitrag zum Frieden guthieß, war ihr Effekt jedoch begrenzt. Das traf auch auf den »Stockholmer Appell« zu. Die Unterschriften-Kampagne des Weltfriedensrates für ein Verbot aller Atomwaffen war numerisch zwar erfolgreich, politisch aber weitgehend wirkungslos. Ihre Durchführung wurde begleitet von massiven Behinderungsversuchen. In West-Berlin wurden auf einen Schlag 1 500 FDJ-Mitglieder allein aus dem Grunde festgenommen, weil sie Unterschriften sammelten. Im August beschloss die Landesinnenministerkonferenz eine Reihe von Maßnahmen gegen die kommunistisch gesteuerte Friedensbewegung: Kongresse, Konferenzen und Demonstrationen gegen die Remilitarisierung wurden verboten.

Auch das gesamte Jahr 1951 war durchzogen von starken Aktivitäten der Friedensbewegung. Kongresse, Konferenzen, Kundgebungen, Demonstrationen und Aktionen wurden veranstaltet, um eine Wiederbewaffnung zu verhindern. Nicht wenige dieser Manifestationen waren von der SED in Ost-Berlin beeinflusst, wenn nicht gar gesteuert. Am deutlichsten wurde das bei dem Versuch, eine bundesweite Volksbefragung gegen Remilitarisierung durchzuführen, deren politische Zielsetzungen mit den von der Volkskammer und der DDR-Regierung vertretenen identisch waren. Zu diesem Zweck wurde in Essen auf einem Kongress ein zentraler Ausschuss gegründet, der die Durchführung der Kampagne übernehmen sollte. Nach zahlreichen Veranstaltungen wurde die Volksbefragung schließlich von Bundesinnenminister Robert Lehr (CDU) mit der Begründung verboten, damit sollte die »freiheitlich demokratische Grundordnung der Bundesrepublik (...) untergraben« werden. Trotz des Verbots, das von Gustav Heinemann, Helene Wessel, Martin Niemöller und anderen heftig kritisiert wurde, begannen einzelne Komitees mit der Durchführung der Volksbefragung.

Der Friedensbewegung blieb auch 1952 jeder politische Erfolg verwehrt, obwohl sie in ihren Bemühungen kaum nachließ. Von staatlichen Organen zum Teil massiv verfolgt, häufig diskriminiert und untereinander zuweilen auch zerstritten, scheiterte sie an den veränderten politischen Gegebenheiten. Ihre unabhängigen Strömungen konzentrierten sich vor allem in der neutralistisch orientierten »Notgemeinschaft für den Frieden«. Zwei aufeinanderfolgende Kundgebungen ihrer beiden Vorsitzenden in West-Berlin, der ehemaligen Zentrums-Vorsitzenden Helene Wessel und des früheren Bundesinnenministers Gustav Heinemann, wurden durch antikommunistische Demonstranten massiv gestört. Die vor allem in Nordrhein-Westfalen starke Gruppierung wandelte sich Ende November in eine Partei um. Unter der Bezeichnung Gesamtdeutsche Volkspartei (GVP) trat sie zugleich gegen Westintegration und Wiederbewaffnung auf. Ihr Ziel war ein wiedervereinigtes, entmilitarisiertes und neutrales Deutschland. Ein Geheimtreffen Heinemanns mit führenden DDR-Politikern in Ost-Berlin verlief im Sande; die Differenzen für eine taktisch bestimmte Kooperation erwiesen sich als zu groß.

Zu einer blutigen Konfrontation zwischen Polizei und jugendlichen Demonstranten kam es am 11. Mai 1952 in Essen. Eine »Friedenskarawane der Jugend«, zu der 30.000 Demonstranten in die vor allem wegen ihrer Rüstungsindustrie bekannte Stadt kamen, wurde im letzten Moment verboten. Als die Jugendlichen dennoch einen Zug bildeten, trat ihnen ein großes Polizeiaufgebot entgegen, das sie mit aller Gewalt zu zerstreuen versuchte. Gegen die Flüchtenden wurden nicht nur Gummiknüppel, sondern auch Schusswaffen eingesetzt. Zwei der Demonstranten wurden schwer verletzt; der 21-jährige Philipp Müller, ein Mitglied der verbotenen FDJ aus München, starb an einem Rückenschuss. In den Nachrichten wurde der Sachverhalt zunächst völlig verdreht. Angeblich hatte die FDJ auf die Polizei geschossen, die dann dazu gezwungen gewesen sei, das Feuer zu erwidern. Gegen keinen der für die Todesschüsse verantwortlichen Beamten wurde jemals ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Aber elf von Hunderten von Demonstranten wurden in Dortmund vor Gericht gestellt und zu Gefängnisstrafen verurteilt.

Im November 1954 begann vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe das von der Bundesregierung beantragte Verbotsverfahren gegen die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Sie war inzwischen nicht mehr im Bundestag vertreten und zeigte sich durch ihre gesellschaftliche Isolierung ebenso wie durch die staatliche Verfolgungspolitik deutlich geschwächt. Ihr Parteivorsitzender Max Reimann, gegen den ein Haftbefehl vorlag, konnte auf dem zum Jahresende in Hamburg durchgeführten Parteitag ebensowenig erscheinen wie zahlreiche andere prominente Vorstandsmitglieder, die entweder inhaftiert waren oder polizeilich gesucht wurden. In einem Manifest »An das deutsche Volk!« forderten die Delegierten Sozialdemokraten und Gewerkschaftler auf, gemeinsam mit ihnen die Wiederbewaffnung zu verhindern und sich für eine nationale Wiedervereinigung Deutschlands einzusetzen. Vorgeschlagen wurde eine Protestform, die bereits in der DDR mehrfach gegen die Remilitarisierung eingesetzt worden war: die Durchführung einer Volksabstimmung gegen den Aufbau einer »westdeutschen NATO-Wehrmacht«.

Einen Höhepunkt erlebte die sich neu formierende Friedensbewegung nach der Unterzeichnung der Pariser Verträge im Oktober 1954. Als der Wehrbeauftragte der Bundesregierung, Theodor Blank, auf Wahlveranstaltungen der CDU auftrat, kam es in einer Stadt nach der anderen zu massiven Protesten und zum Teil auch zu Tumulten. In Gießen, Nürnberg, Augsburg, Fulda und anderen Orten musste der Politiker, der bundesweit als Personifikation der Remilitarisierung wahrgenommen wurde, von Polizeikräften vor Übergriffen geschützt werden. Auch Diskussionsveranstaltungen mit anderen Vertretern der »Dienststelle Blank« führten häufig zu mehr als nur verbalen Auseinandersetzungen. Landauf, landab stießen die Befürworter einer neuen deutschen Armee auf Unverständnis, Wut und Empörung.

Die Friedensbewegung erlebte 1955 einen weiteren Höhepunkt und musste dennoch wieder einmal eine politische Niederlage einstecken. Nachdem klar war, dass sich eine parlamentarische Mehrheit für die Verabschiedung der Pariser Verträge wohl nicht verhindern ließ, sich aber gleichzeitig eine Welle des Protests gegen die dadurch möglich werdende Wiederbewaffnung zu formieren begann, beschloss der Parteivorstand der SPD in Bonn, eine außerparlamentarische Kampagne gegen das Vertragsvorhaben zu starten. Mit einer Auftaktveranstaltung in der Frankfurter Paulskirche, auf der ein gegen Wiederbewaffnung und für Wiedervereinigung ausgerichtetes »Deutsches Manifest« verabschiedet wurde, begann eine mehrere Wochen anhaltende Protestkampagne, die »Paulskirchenbewegung«. Obwohl Bundeskanzler Adenauer deren Teilnehmer als Vertreter der »Straße« diffamiert hatte und keinen Zweifel an seiner Entschlossenheit erkennen ließ, dass die Entscheidungskompetenz allein dem Parlament vorbehalten bliebe, beteiligten sich Zehntausende an Kundgebungen und Demonstrationen, um ihren Befürchtungen vor einer neuen deutschen Armee und einer Vertiefung der Spaltung Deutschlands Ausdruck zu verleihen. Höhepunkte waren Großkundgebungen von SPD und DGB in München, Stuttgart, Frankfurt und Dortmund. Hunderttausende von Bundesbürgern unterzeichneten in einer bundesweiten Unterschriftensammlung das »Deutsche Manifest«.

Je klarer die Bundesregierung zu erkennen gab, dass sie die Bundeswehr atomar aufrüsten wollte, desto stärker schälte sich im Laufe des Jahres eine Anti-Atomtod-Bewegung heraus, die die zweite Hälfte der 50er Jahre prägen sollte. (...) Vgl. FriedensForum 1/2005, S. 45 f.

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Der Politikwissenschaftler Wolfgang Krause ist Mitarbeiter beim Hamburger Institut für Sozialforschung.