Kommandozentralen

Proteste gegen AFRICOM und EUCOM in Stuttgart

Mit Friedensfahnen, Bolzenschneidern und einer Pflugschar ausgestattet, „entzäunten“ in den 1990er Jahren mehrfach AktivistInnen das US-amerikanische Kommando für Europa, kurz EUCOM, in den Patch Barracks in Stuttgart-Vaihingen. Die sich dafür verantwortlich zeichnende Gruppe EUCOMmunity traf sich im November 1988 zum ersten Mal; ich spielte da noch im Sandkasten, und der Kalte Krieg war noch nicht beendet. Von 1990 bis 1997 erfolgten sieben Aktionen zivilen Ungehorsams wie das Aufschneiden von Zäunen oder Blockaden – Festnahmen, Gerichtsverfahren, Freisprüche und auch Gefängnis waren nicht selten die Folge. Eine atomwaffenfreie Welt und die Konversion des Gebietes vom „Todesland zum Lebensland“ waren die wichtigsten Ziele. Slogans wie „Atomwaffen abschaffen – bei uns anfangen“, „North Atlantic De-Fence Movement“ oder „We ♥ your faces, but not your bases“ war auf den Protestschildern zu lesen. Die AktivistInnen selbst bezogen sich auf eine bereits vorhandene Protesttradition, etwa eine große Blockade vor den EUCOM-Toren 1982 oder die Menschenkette Stuttgart-Ulm 1983, die ihren Startpunkt am EUCOM hatte und damit „optisch den Befehlsstrang von der US-Kommandozentrale zu den Pershing-II-Einheiten vor Ort“ verdeutlichen sollte. (1)

Trotz dieser Proteste befindet sich das EUCOM heute immer noch in Stuttgart-Vaihingen und ist mittlerweile eines von sechs US-amerikanischen regionalen Militärkommandos. Neben dem EUCOM hat das US-AFRICOM, das Militärkommando für Afrika, seinen Sitz ebenso in Stuttgart. Bis 2008 war das EUCOM auch zuständig für alle US-Militäreinsätze in Afrika, diese wurden dann jedoch ins AFRICOM nach Stuttgart-Möhringen ausgegliedert. Die vier restlichen Regionalkommandos, die die Welt in militärische Zuständigkeiten aufteilen, haben ihren Sitz in den USA. Vom EUCOM aus werden alle Aktivitäten der US-Armee in 51 Ländern in Europa inklusive Russland, Ukraine, Israel, Georgien, Türkei, Aserbaidschan usw. koordiniert. Die OberbefehlshaberIn vom EUCOM ist gleichzeitig in Personalunion NATO-OberbefehlshaberIn für Europa (SACEUR) – eine der wichtigsten militärischen Befehlsposten in der NATO. Das EUCOM koordinierte die Bombenangriffe gegen den Irak 1991 und 1998, die Luftkriege gegen Serbien 1999 und Libyen 1986 und den globalen Kampf gegen den Terrorismus in Afghanistan und anderswo. Das EUCOM ist weiterhin zuständig für den Ausbau der NATO-Raketenabwehr und den Patriot-Einsatz in der Türkei, an dem die Bundeswehr und die US-Armee teilnehmen. Jedes Jahr richtet das EUCOM die weltweit größte Cyberkrieg-Übung „Combined Endeavor“ aus, an der über 1.400 Militärs aus über 40 Ländern teilnehmen. Zudem werden jährlich über 100 weitere Militärübungen und Ausbildungsprogramme mit zahlreichen Ländern vor allem Osteuropas koordiniert. Vom EUCOM werden schließlich auch die verbliebenen US-Atomwaffen in Europa, etwa die in Büchel/Rheinland-Pfalz, befehligt. Auf dem EUCOM-Gelände in Vaihingen hat das NSA-Europabüro seinen Sitz.

Damit nicht genug, nur acht Kilometer entfernt liegt in der Plieninger Straße 289 das AFRICOM. Durch die Arbeit der investigativen JournalistInnen Christian Fuchs und John Goetz wurde bekannt, dass eine AFRICOM-Aufgabe darin besteht, Ziele für Drohnenangriffe zu „nominieren“: Gebäude, Brücken oder Menschen. Für alle US-Militäroperationen und US-Militärbasen in Afrika (außer Ägypten) ist das AFRICOM verantwortlich. Auch die NSA und die militärischen US-Spezialkräfte JSOC haben Abteilungen im AFRICOM stationiert. Das Ausmaß der Verwicklung von AFRICOM und EUCOM in Verbindung mit den anderen US-Basen wie Ramstein in das globale Kriegsgeschehen kann daher nicht gering genug eingeschätzt werden. Erst jüngst wurde beispielsweise bekannt, dass die neue Ausbildung libyscher Sicherheitskräfte wie zuvor schon der Libyenkrieg unter Koordination des AFRICOMS fallen soll.

Insbesondere durch die NSA-Enthüllungen, die Verbindung mit den Drohnenkriegen und nun auch mit der neuen Konfrontationen mit Russland öffnet sich ein Fenster, die nie erloschene Protesttradition gegen die US-Militärbasen wie EUCOM und AFRICOM, aber auch Ramstein und Grafenwöhr wieder deutlich zu steigern und dafür mehr Öffentlichkeit generieren zu können. In Stuttgart wurde dies in letzter Zeit versucht zu nutzen. Informationsveranstaltungen mit der US-Drohnenaktivisten Medea Benjamin, dem investigativen Journalisten Christian Fuchs und dem Wissenschaftler und Anti-AFRICOM Aktivisten Aziz Fall wurden und werden dafür durchgeführt. Mehrere Kundgebungen konnten im Verlauf des letzten Jahres vor dem AFRICOM abgehalten werden, und der diesjährige Ostermarsch in Stuttgart hatte seinen Ausgangspunkt vor dem AFRICOM. Dafür gelang es auch, Solidaritätserklärungen mit AktivistInnen in Neapel auszutauschen, die gegen die dort sich befindende AFRICOM-Marinebasis protestieren. Für die anstehenden Kommunalwahlen im Mai sind die VertreterInnen des Gemeinderates zu einer Diskussion über kommunale Friedensverantwortung mit einem Schwerpunkt US-Militärbasen und die städtische Verantwortung eingeladen. Vorher ergingen offene Briefe unter der Federführung der Gruppe Kultur des Friedens an die GemeindevertreterInnen. AFRICOM-Umwanderungen, ein antimilitaristischer Stadtrundgang, weitere Veranstaltungen, mittelfristig ein Protestcamp und viele kreative Aktionen sind in Planung oder werden als Ideen diskutiert. Die Proteste gegen AFRICOM und EUCOM werden von einem breiten friedenspolitischen Bündnis getragen, dass gut vernetzt ist und dass selbstverständlich die auch immer wieder auftretenden Spannungen versucht in weiteren Protest zu kanalisieren.

Eine große Aufgabe für die kommenden Proteste wird es sein, sich noch stärker auch mit den vielen afrikanischen Widerständen gegen das AFRICOM zu vernetzen und sich auszutauschen. Wird der Protest gegen die Militärbasen erfolgreich sein? Die EUCOMmunity verglich ihre Arbeit mit der Arbeit des Sisyphos der griechischen Sage und hoffte darauf dass „die Verdammten im Tartaros ihrem Leidensgenossen Sisyphos zu Hilfe kämen, mit ihm gemeinsam den Felsblock auf den Gipfel des Berges wälzten und dort festhielten“. (2) Doch selbst wenn es vorerst nicht gelingt, so müssen wir uns frei nach Albert Camus Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen – wir revoltieren, also sind wir.

Anmerkungen
1 Die EUCOMmunity. Initiative für eine atomwaffenfreie Welt. Eine Dokumentation, 1997

2 ebd.

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