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Quo Vadis Bundeswehr?
vonUnter dem Titel "1 + 1 = eins" hatte die Evangelische Akademie Tutzing eingeladen, um das Gespräch über eine neue Sicherheitsstruktur und das Zusammenwachsen von NVA und Bundeswehr zu fördern. Ein Tagungsbericht.
Der erste Tagungstag war der Diskussion um neue Sicherheitsstrukturen und der Rolle der Bundeswehr gewidmet, doch wer hier neue Ansätze aus der Friedensforschung oder aus den Reihen der Bundeswehr selber erwartete, sah sich bitter enttäuscht.
Dr. Berthold Meyer von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung dozierte über "Macht und Verantwortung". Das Gewicht der BRD habe seit dem 3. Oktober zugenommen, und deshalb hätten wir uns der daraus resultierenden neuen Verantwortung zu stellen. Zwar hätten wir aus der Geschichte zu lernen und "von deutschem Boden soll künftig nur noch Frieden ausgehen", aber in der Praxis bedeutete das für Meyer nicht etwa den Verzicht auf militärische Einsätze oder das Verbot von Waffenexporten, sondern nur die internationale Abstimmung militärischer Aktionen. So dürfe die Bundeswehr außerhalb des NATO-Gebietes nur im Rahmen der UNO agieren und Rüstungsexporte nur in andere NATO-Länder genehmigt werden. Wenn diese allerdings ihrerseits Waffen exportieren...? Nicht unsere Verantwortung!
Ein bißchen ein schlechtes Gewissen hat ein Friedensforscher aber scheinbar schon, wenn er nur von militärischen Einsätzen und "weltpolitischer Verantwortung" spricht, und deshalb schob er noch schnell nach, daß die BRD sich finanziell und personell "so gut wie möglich" am Aufbau des geplanten Konfliktvermeidungs- und -regulierungszentrum in Wien beteiligen sollte und natürlich auch Arbeitsplätze in "ärmeren Regionen" schaffen sollte. Vielleicht könnte man ja mit den Geldern aus dem Waffenexport...?
Bezeichnend für diesen Vortrag die anschließende Diskussion: Ob man denn nicht wenigstens an einige OECD-Staaten ein paar Waffen liefern könnte? Was ein rechter Friedensforscher ist, der verdirbt es sich so schnell mit keinem: Schließlich-friedlich einigte man sich darauf, daß ein paar Ausnahmen sicherlich möglich sein sollten.
Den zweiten Vortrag des Tages hielt Oberstleutnant i.G. Wolf Richter von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Ebenhausen zu dem Thema "Europäische Sicherheit nach dem Ende des Ost-West-Konflikts": Folgerungen für die Aufgaben und Struktur der Bundeswehr. So bombastisch der Titel auch klang, das Referat ging haarscharf an diesem Thema vorbei. Stattdessen minutenlange Erörterungen darüber, ob in der Sowjetunion nun das Chaos ausbreche, das Militär die Macht übernehme, sich viele oder nur einige Republiken abspalten würden oder die SU als Konföderation bestehen bleibe. Fazit: Nichts Genaues weiß man nicht, also bleibt bei der Bundeswehr erst einmal alles beim alten. Zwar redete Richter viel von einer "multipolaren Sicherheitsstruktur", aber solange "der Russe" noch militärisch so stark ist, was soll man da schon machen als treuer Vaterlandsverteidiger?
Der zweite Tag war den Problemen, den sozialen und persönlichen Folgen der Vereinigung der Streitkräfte gewidmet. Dr. Wolfgang Schwarz von der Humboldt Universität in Berlin bilanzierte die bisherige Abrüstungspolitik im Zuge der Einheit. Bis zum 3.10. habe man sich in Ost-Berlin Gedanken über eine mögliche Konversionspolitik gemacht, seit dem 3.10 seien alle diese Ansätze von Bonn sofort "vom Tisch gewischt" worden.
Schwarz unterschied sechs Bereiche, in denen Konversionspolitik zu greifen habe: Personal, Technik, Fiskalisches, Industrie, Wissenschaft, Region. Schwarz kam zu dem Ergebnis, daß es von Bonn aus eine gezielte Konversionspolitik nicht gäbe, daß Ansätze, die noch von der De Maiziüre-Regierung gemacht worden seien, wie die Einrichtung eines Institutes für Konversion, sofort nach dem 3.10 zerschlagen worden seien. Sein Fazit lautet, daß die Bundesregierung sich gar nicht für die Ost-Berliner Ideen interessiert hätte und nach dem Motto "Alles ist schlecht, was aus dem Osten kommt", alles dichtgemacht hätte.
Im Anschluß an diesen besten Vortrag der Tagung durfte endlich auch die Industrie ihre Nöte zu Gehör bringen. Unisono erklärten die Vertreter von Dornier und MBB, daß in diesem Prozeß schrumpfender Rüstungsaufträge nun wirklich nicht "auf die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft" alleine vertraut werden könne, daß der Staat diesen Prozeß "absichern" müsse. Da hat man jahrelang an der Rüstung verdient, in grenzenloser Borniertheit die Vorschläge von gewerkschaftlichen Arbeitskreisen zur Rüstungskonversion ignoriert, und nun soll man die Folgen der eigenen Skrupellosigkeit auch noch selber tragen? Nein, solche Probleme "kann die Industrie nicht allein lösen!"
Den Abschluß der Tagung bildete eine Diskussionsrunde mit verschiedenen Vertretern der Streitkräfte aus Ost und West. Auch hier wurde der Stil der Vereinigung deutlich: Auf der einen Seite wird den NVA-Soldaten ihre persönliche Vergangenheit vorgeworfen, um sie dann auf der anderen Seite besser in die totale Übernahme westlicher Vorstellungen zu treiben.
Bemerkenswert und eine völlige Ausnahme auf dieser Tagung das Statement von Flotillenadmiral Elmar Schmühling. Für ihn ist mit der Wiedervereinigung die "Geschäftsgrundlage" für die Errichtung der Bundeswehr verschwunden. Es müsse neu darüber abgestimmt werden, ob und wenn ja, welche Armee wir wollten. Unabhängig von diesen Überlegungen trat er für den völligen Verzicht auf atomare Abschreckung ein. Wirklich eine einsame Stimme auf dieser Tagung.
Als Fazit dieser Tagung bleibt der Eindruck, daß sich trotz viel hehrer Rhetorik bei den Militärs nicht viel geändert hat. Immer noch ist der Blick auf die Militärpotentiale der Sowjetunion gerichtet, während man sich für die eigene Abrüstung auf die Schulter klopft, ohne wirklich zur Kenntnis nehmen zu wollen, daß die Abrüstung hier nur in der Verschrottung der NVA besteht, während man die eigenen Verbünde kadert und mit den neuesten Waffen ausrüstet. Da kommt die Golf-Krise gerade recht, um über neue Aufgabenfelder zu schwadronieren oder, wie Oberstleutnant Richter, über "internationale Solidarbeiträge" zu referieren. Eines muß man den alten Haudegen doch lassen: Wenn sie über den Krieg reden, dann fallen ihnen doch immer wieder schöne Formulierungen ein, um ihr schmutziges Handwerk zu kaschieren!