Quo Vadis Bundeswehr?

von Joachim Schüller

Unter dem Titel "1 + 1 = eins" hatte die Evangelische Akademie Tutzing eingeladen, um das Gespräch über eine neue Sicherheitsstruktur und das Zusammenwachsen von NVA und Bundeswehr zu fördern. Ein Ta­gungsbericht.

 

Der erste Tagungstag war der Diskus­sion um neue Sicherheitsstrukturen und der Rolle der Bundeswehr gewidmet, doch wer hier neue Ansätze aus der Friedensforschung oder aus den Reihen der Bundeswehr selber erwartete, sah sich bitter enttäuscht.

 

Dr. Berthold Meyer von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktfor­schung dozierte über "Macht und Ver­antwortung". Das Gewicht der BRD habe seit dem 3. Oktober zugenommen, und deshalb hätten wir uns der daraus resultierenden neuen Verantwortung zu stellen. Zwar hätten wir aus der Ge­schichte zu lernen und "von deutschem Boden soll künftig nur noch Frieden ausgehen", aber in der Praxis bedeutete das für Meyer nicht etwa den Verzicht auf militärische Einsätze oder das Ver­bot von Waffenexporten, sondern nur die internationale Abstimmung militäri­scher Aktionen. So dürfe die Bundes­wehr außerhalb des NATO-Gebietes nur im Rahmen der UNO agieren und Rüstungsexporte nur in andere NATO-Länder genehmigt werden. Wenn diese allerdings ihrerseits Waffen exportie­ren...? Nicht unsere Verantwortung!

Ein bißchen ein schlechtes Gewissen hat ein Friedensforscher aber scheinbar schon, wenn er nur von militärischen Einsätzen und "weltpolitischer Verant­wortung" spricht, und deshalb schob er noch schnell nach, daß die BRD sich fi­nanziell und personell "so gut wie mög­lich" am Aufbau des geplanten Kon­fliktvermeidungs- und -regulierungs­zentrum in Wien beteiligen sollte und natürlich auch Arbeitsplätze in "ärmeren Regionen" schaffen sollte. Vielleicht könnte man ja mit den Geldern aus dem Waffenexport...?

Bezeichnend für diesen Vortrag die an­schließende Diskussion: Ob man denn nicht wenigstens an einige OECD-Staaten ein paar Waffen liefern könnte? Was ein rechter Friedensforscher ist, der verdirbt es sich so schnell mit keinem: Schließlich-friedlich einigte man sich darauf, daß ein paar Ausnahmen sicher­lich möglich sein sollten.

Den zweiten Vortrag des Tages hielt Oberstleutnant i.G. Wolf Richter von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Ebenhausen zu dem Thema "Europä­ische Sicherheit nach dem Ende des Ost-West-Konflikts": Folge­rungen für die Aufgaben und Struktur der Bundes­wehr. So bombastisch der Titel auch klang, das Referat ging haar­scharf an diesem Thema vorbei. Statt­dessen mi­nutenlange Erörterungen dar­über, ob in der Sowjetunion nun das Chaos ausbre­che, das Militär die Macht übernehme, sich viele oder nur einige Republiken abspalten würden oder die SU als Kon­föderation bestehen bleibe. Fazit: Nichts Genaues weiß man nicht, also bleibt bei der Bundeswehr erst einmal alles beim alten. Zwar redete Richter viel von einer "multipolaren Si­cherheitsstruktur", aber solange "der Russe" noch militärisch so stark ist, was soll man da schon machen als treuer Vaterlandsverteidiger?

Der zweite Tag war den Problemen, den sozialen und persönlichen Folgen der Vereinigung der Streitkräfte gewidmet. Dr. Wolfgang Schwarz von der Hum­boldt Universität in Berlin bilanzierte die bisherige Abrüstungspolitik im Zuge der Einheit. Bis zum 3.10. habe man sich in Ost-Berlin Gedanken über eine mögliche Konversionspolitik ge­macht, seit dem 3.10 seien alle diese Ansätze von Bonn sofort "vom Tisch gewischt" worden.

Schwarz unterschied sechs Bereiche, in denen Konversionspolitik zu greifen habe: Personal, Technik, Fiskalisches, Industrie, Wissenschaft, Region. Schwarz kam zu dem Ergebnis, daß es von Bonn aus eine gezielte Konversi­onspolitik nicht gäbe, daß Ansätze, die noch von der De Maiziüre-Regierung gemacht worden seien, wie die Ein­richtung eines Institutes für Konversion, sofort nach dem 3.10 zerschlagen wor­den seien. Sein Fazit lautet, daß die Bundesregierung sich gar nicht für die Ost-Berliner Ideen interessiert hätte und nach dem Motto "Alles ist schlecht, was aus dem Osten kommt", alles dichtge­macht hätte.

Im Anschluß an diesen besten Vortrag der Tagung durfte endlich auch die In­dustrie ihre Nöte zu Gehör bringen. Unisono erklärten die Vertreter von Dornier und MBB, daß in diesem Pro­zeß schrumpfender Rüstungsaufträge nun wirklich nicht "auf die Selbsthei­lungskräfte der Wirtschaft" alleine vertraut werden könne, daß der Staat diesen Prozeß "absichern" müsse. Da hat man jahrelang an der Rüstung ver­dient, in grenzenloser Borniertheit die Vorschläge von gewerkschaftlichen Ar­beitskreisen zur Rüstungskonversion ignoriert, und nun soll man die Folgen der eigenen Skrupellosigkeit auch noch selber tragen? Nein, solche Probleme "kann die Industrie nicht allein lösen!"

Den Abschluß der Tagung bildete eine Diskussionsrunde mit verschiedenen Vertretern der Streitkräfte aus Ost und West. Auch hier wurde der Stil der Ver­einigung deutlich: Auf der einen Seite wird den NVA-Soldaten ihre persönli­che Vergangenheit vorgeworfen, um sie dann auf der anderen Seite besser in die totale Übernahme westlicher Vorstel­lungen zu treiben.

Bemerkenswert und eine völlige Aus­nahme auf dieser Tagung das Statement von Flotillenadmiral Elmar Schmühling. Für ihn ist mit der Wiedervereinigung die "Geschäftsgrundlage" für die Er­richtung der Bundeswehr verschwun­den. Es müsse neu darüber abgestimmt werden, ob und wenn ja, welche Armee wir wollten. Unabhängig von diesen Überlegungen trat er für den völligen Verzicht auf atomare Abschreckung ein. Wirklich eine einsame Stimme auf die­ser Tagung.

Als Fazit dieser Tagung bleibt der Ein­druck, daß sich trotz viel hehrer Rheto­rik bei den Militärs nicht viel geändert hat. Immer noch ist der Blick auf die Militärpotentiale der Sowjetunion ge­richtet, während man sich für die eigene Abrüstung auf die Schulter klopft, ohne wirklich zur Kenntnis nehmen zu wol­len, daß die Abrüstung hier nur in der Verschrottung der NVA besteht, wäh­rend man die eigenen Verbünde kadert und mit den neuesten Waffen ausrüstet. Da kommt die Golf-Krise gerade recht, um über neue Aufgabenfelder zu schwadronieren oder, wie Oberstleut­nant Richter, über "internationale So­lidarbeiträge" zu referieren. Eines muß man den alten Haudegen doch lassen: Wenn sie über den Krieg reden, dann fallen ihnen doch immer wieder schöne Formulierungen ein, um ihr schmutziges Handwerk zu kaschieren!

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Joachim Schüller ist Sprecher der Frie¬densinitiative im Landkreis Ebersberg (Östlich von München)