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während der Demonstration "Stoppt den Krieg am Golf - Kein Blut für Öl" am 24.11.90 in Bonn auf dem Marktplatz
Rede von Horst-Eberhard Richter
vonLiebe Freundinnen und Freunde,
der Kalte Krieg, gegen den wir als Friedensbewegung hier in Bonn noch 1987 demonstriert haben, ist zu Ende. Wir Deutschen sind nicht länger ein zweigeteilter Frontstaat. Warum sind wir heute zu Mahnung und Protest hierhergekommen?
Der Golf ist weit weg. Die deutschen Geiseln kommen frei oder sind schon frei. Warum dürfen und wollen wir dennoch nicht einfach nur zuschauen, wie sich dort die Kriegsgefahr von Woche zu Woche erhöht? Was geht uns das an?
Erstens gehören wir Deutschen zu denen, die durch ihre Rüstungsexporte Saddam Hussein erst zu seinem gewalttätigen Machtmißbrauch befähigt haben. Deutsche Hilfe hat ihm das Kampfgas verschafft, mit dem er Abertausende von Iranern und Kurden getötet oder verstümmelt hat und mit dem er jetzt seine Gegner bedroht.
Zweitens bekommen wir das Schaudern, wenn wir daran denken, was der vorbereitete Krieg am Golf anrichten würde:
- Vorhersehbar ist der Einsatz von Chemie und Atomwaffen. 450 Atomsprengköpfe lagern auf amerikanischen Kriegsschiffen.
- Zu erwarten ist, da· 50 000 bis 100 000 Menschen, darunter in großer Zahl Frauen und Kinder, unmittelbar sterben würden.
- Hunderttausende bis Millionen in der Region würden teils schwere Verletzungen und Krankheiten erleiden, teils in Verelendung versinken.
- Unermeßliche ökologische Schäden drohen. Mit Ölflächenbränden in einer Ausdehnung von über 500 Kilometern und der entsprechenden Vergiftung der Atmosphäre ist zu rechnen.
- Die Gefahr ist groß, da· dieser Krieg im Nahen und Mittleren Osten weit um sich greifen würde.
So stehen wir hier, weil wir nicht wollen, da· das eine Verbrechen, nämlich der Überfall auf Kuweit, mit einem zweiten Verbrechen von tausendfacher Größenordnung beantwortet wird.
Ich spreche hier als Vertreter und im Namen der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, der weltweit 250 000 Ärzte angehören. In Übereinstimmung mit den hier veranstaltenden Friedensorganisationen protestieren wir auf das Schärfste gegen die Vorbereitung eines Krieges am Golf.
- Wir fordern den Rückzug des Irak aus Kuweit.
- Wir fordern die sofortige Freilassung aller Geiseln.
- Wir fordern den unbedingten Verzicht auf eine sogenannte militärische Angriffsoption gegen den Irak.
- Gemeinsam mit 20 Vereinigungen der amerikanischen Friedensbewegung fordern wir, die Wirkung des Wirtschaftsembargos beharrlich abzuwarten und alle diplomatischen Mittel auszuschöpfen.
- Der Vergleich mit München stimmt nicht, denn damals gab es keine solidarische Wirtschaftsblockade der Weltgemeinschaft, um Hitler in die Knie zu zwingen.
Meine Freundinnen und Freunde, machen wir uns nichts vor! Der Konflikt am Golf ist verfahren, aber er ist kein Westerndrama und erst recht kein Kreuzzugsthema. Hier erhebt sich nicht der Held eines Lichtreiches gegen den Teufel der Finsternis, wie es uns weisgemacht wird und wie es viele Einfältige glauben. Der große Sheriff redet zwar nur von Recht und Moral, aber verschweigt die Herrschaft über das Öl, die er erstrebt und festhalten will. Was Massen von Leichtgläubigen als edelsinnige Strafaktion vorschwebt, würde sich morgen als unverantwortliche Wahnsinnstat erweisen. Und die Gefahr wächst rapide. Allein in den nächsten Tagen sollen die amerikanischen Truppen in Saudi-Arabien um 150 000, die irakischen in Kuweit um 200 000 verstärkt werden.
Was sagt unsere deutsche Regierung dazu?
Der Kanzler redet von der gewachsenen Verantwortung, die dem neuen Gesamtdeutschland zufalle. Er will die Verfassung ändern, damit der amerikanische Präsident in vergleichbaren Fällen nicht wieder auf die Hilfe deutscher Soldaten verzichten muss·. Aber gerade das wollen wir nicht, da· erweiterte Verantwortung als Pflicht zu erweitertem militärischem Präsenz verstanden wird.
Liebe Freundinnen und Freunde, zweimal haben wir Deutschen in diesem Jahrhundert eine enorme Verantwortung übernommen, indem wir nämlich die Welt in zwei verheerende Kriege gestürzt haben. Nun endlich sollten wir an eine ganz andere Verantwortung denken, nämlich einer antimilitaristischen Friedenspolitik zum Durchbruch zu verhelfen.
Dafür bietet die uns militärisch einschränkende Verfassung eine einzigartige Chance. Nach Hitler und nach Auschwitz kann und muss· dieses neu vereinigte Gesamtdeutschland zu einer moralischen Kraft zur Überwindung der noch immer herrschenden militaristischen und ökologischen Unvernunft werden. Gerade weil unsere Regierung keine Soldaten an den Golf schicken und dort nicht zur militärischen Eskalation beitragen kann, verlangen wir von ihr, da· sie mit einer entschlossenen Initiative zur politischen Bewältigung der Krise hervortritt.
Wir fordern von ihr, da· sie sich offen und unmi·verstÑndlich allen Bestrebungen widersetzt, die sogenannte militärische Option von den Vereinten Nationen absegnen zu lassen.
Freilich wäre das ein großer Schritt für unseren Kanzler, der bei internationalen Fragen immer gern heute schon tut, was der Herr im Weißen Hause morgen von ihm erwartet. Und dieser Schritt Mate von einem beträchtlichen Teil unseres Volkes mitvollzogen werden, dem - seien wir ehrlich - diese Ergebenheit bisher ganz recht war.
Loyalität ist eine gute Sache. Aber welche Loyalität hat im Augenblick den Vorrang?
Diejenige gegenüber einem kriegsbereiten amerikanischen Präsidenten, der die Meinung einer großen Opposition im eigenen Lande gegen sich hat?
Oder diejenige gegenüber den Millionen potentieller Opfer einer militärischen Katastrophe unabsehbaren Ausmaßes?
Genaugenommen wären wir alle Opfer. Zunichte gemacht würden die verheißungsvollen Ansätze zu einem neuen politischen Denken; zur Abkehr von den verrückten Rüstungsrivalitäten hin zu einem globalen Verantwortungsbewu·tsein in der Nord-Süd-, Umwelt- und Sicherheitspolitik. Fragwürdige Gewinner wären allein die Kreise der militaristischen Stärkepolitiker und der Rüstungsindustrie, wo man sich zur eigenen Legitimierung schon jetzt klammheimlich darüber freut, da· der entschwundene Weltfeind Moskau in Saddam Hussein so rasch einen Nachfolger gefunden hat.
Wir müssen diesen Krieg verhindern, der in seinen weltweiten furchtbaren Folgen alle anderen der letzten Jahrzehnte Übertreffen würde. Dazu müssen wir Deutschen eingedenk unserer Vergangenheit und unserer Verwicklung in die verhängnisvollen Rüstungsgeschäfte einen entschlossenen Beitrag leisten. Dazu rufen wir hier und jetzt auf!