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Grundrecht Versammlungsfreiheit
Repression gegen Versammlungen
vonDer Kampf um die Grundrechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit ist alt und wird immer wieder neu zu führen sein. Es ist ein langer Kampf um Rechtspositionen, der auf der Straße beginnt und vor den Gerichten weitergeht. Verbunden damit ist der Versuch, in der öffentlichen Meinung auch Verständnis für dieses Grundrecht zu wecken. Die veränderten technischen Möglichkeiten verändern zugleich die Bedingungen und Fragen, um die zu streiten ist.
Ein aktuelles Beispiel polizeilichen Überwachungswahns ist die Einrichtung von Gefahrenzonen. In Hamburg kann die Polizei nach eigenem Gutdünken „Gefahrengebiete“ in der Stadt einrichten. In diesen Bereichen sind verdachtsunabhängige Kontrollen, Platzverweise und Ingewahrsamnahmen erlaubt. Ende 2013, Anfang 2014 führten die Proteste gegen die Schließung der „Roten Flora“ dazu, einen ganzen Stadtteil als Gefahrengebiet auszuweisen. Verdachtsunabhängige Kontrollen sind insbesondere Einfallstore für Diskriminierungen und Racial Profiling. In Hamburg wurden Spontandemonstrationen in diesem Gebiet sofort aufgelöst und die Demonstrierenden in Gewahrsam genommen. Die Tatsache, dass die Polizei ihre Befugnisse selbst ausweiten kann, macht zugleich juristische und auch demokratische Kontrolle polizeilichen Handelns fast unmöglich.
Rechtswidrige Kessel
Manche Methoden zur Verhinderung von Versammlungen wendet die Polizei immer wieder neu an, obwohl gerichtlich schon mehrfach festgestellt wurde, dass diese Mittel rechtswidrig sind. So sollte seit dem „Hamburger Kessel“ 1986 juristisch geklärt sein, dass polizeiliche Kessel rechtswidrig sind. Die Polizei hatte damals eine entstehende Versammlung in eine Ecke getrieben und über Stunden eingekesselt. Die Polizei argumentierte, sie hätte eine Auflösungsverfügung „durch schlüssiges Verhalten, nämlich durch die Einschließung“, erlassen. Sie glaubte, TeilnehmerInnen hätten sich passiv bewaffnet, z. B. durch wetterfeste Kleidung, und ein milderes Mittel hätte sie nicht gefunden. Das Verwaltungsgericht Hamburg urteilte klar und eindeutig (1), dass ein solches Vorgehen gegen eine Versammlung rechtswidrig sei. „Das pauschale Vorgehen der Beklagten, ohne Rücksicht darauf, ob sie friedliche oder störende Teilnehmer vor sich hatte, wurde der Bedeutung der Versammlungsfreiheit nicht gerecht.“ „Eingriffe in die Versammlungsfreiheit sind Eingriffe in ein für die Demokratie konstitutives Grundrecht … .“ Die Kläger erstritten damals vor Zivilgerichten ein Schmerzensgeld von 200,- DM. Trotzdem sind seit 1986 immer wieder Demonstrierende eingekesselt worden, und es ist immer erneut von Gerichten nachträglich festgestellt worden, dass diese Kessel rechtswidrig waren. Der Münchner Kessel, der Göttinger Kessel, der Braunschweiger Kessel, der Mainzer Kessel, der Dortmunder Kessel (2) und diverse Kessel im Wendland (3) folgten diesem Muster. Die mickrigen Schmerzensgelder führen zu keiner Veränderung des polizeilichen Handelns. Am 2. Juli 2013 (4) hat das Landgericht Frankfurt wieder einmal feststellen müssen, dass der Kessel, mit dem am 31. März 2012 Demonstrierende in Frankfurt festgehalten wurden, rechtswidrig war. Was die Einkesselung von fast tausend Demonstrierenden am 1. Juni 2013 bei Blockupy in Frankfurt (5) betrifft, versucht die Polizei dies als Maßnahme der Strafverfolgung zu „verkaufen“. Sie hätte gegen die 947 Straftäter, die vermummt und mit 65 „Schutzschilden“ (Bücher mit Titeln zum Inhalt der Versammlung) „bewaffnet“ gewesen seien, vorgehen müssen, um die restliche Demonstration zu schützen. Das Verwaltungsgericht Frankfurt hat darin jedoch eine präventive Maßnahme aus dem Versammlungsrecht gesehen und sie dennoch gerechtfertigt. (6)
Viele weitere Eingriffsmittel in das Versammlungsrecht ließen sich beschreiben: die extensiven Videoaufnahmen, die Kontrollen beim Zugang zu Versammlungen, die enge polizeiliche Begleitung von Demonstrationszügen, die es unmöglich macht, Öffentlichkeit zu erreichen, der Einsatz von Polizei in „szenetypischer Kleidung“ und von polizeilichen „ Zivilen Tatbeobachtern“, der Einsatz all der polizeilichen Gewaltmittel.
Es gibt aber auch wieder aktuelle erfreuliche Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Die Freude ist sicherlich geschwächt, wenn man sich den oben beschriebenen Umgang der Polizei mit solchen Urteilen vergegenwärtigt. Trotzdem machen die vielen großen und kleinen Erfolge auch deutlich, dass es sich lohnt, gegen die Repression vorzugehen und den Weg durch die Instanzen auf sich zu nehmen.
Erfolge vor den Gerichten
(1) Auflagen: In den letzten Jahren ist es zur gängigen ordnungsamtlichen und polizeilichen Praxis geworden, Versammlungen „Auflagen“ zu erteilen. Es scheint selbstverständlich, dass das Grundrecht nur noch dann wahrgenommen werden kann, wenn über die geltenden Gesetze und die damit gezogenen Grenzen hinaus zusätzliche Einschränkungen verfügt werden. In Eilverfahren haben Widersprüche gegen diese Art von Auflagen nur begrenzten Erfolg. Aber immerhin konnte Blockupy 2013 erfolgreich gegen die Auflage der Verlegung des Demonstrationsweges durch die Versammlungsbehörde klagen. In nachträglichen Klagen stehen die Chancen jedenfalls besser. Auflagen dürfen nur erlassen werden, wenn Grund zur Annahme besteht, dass anderenfalls Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung von der Versammlung ausgehen. Für diese Annahme reichen nicht Phantasien über Möglichkeiten, sondern es müssen habhafte Gründe für die Vermutung vorliegen. Auflagen sollten also eigentlich das Versammlungsrecht schützen, weil anderenfalls ein Verbot notwendig wäre. Alltäglich werden sie ganz anders angewandt. Und dann schaffen sie vor allem weitere Eingriffsbefugnisse für die Polizei.
Erfolg von dem Bundesverfassungsgericht hatte just die Klage (1 BvR 2135/09 vom 26. Juni 2014) einer Demonstrierenden, die zunächst zu einer Geldbuße verurteilt worden war. Das Kreisverwaltungsreferat München hatte für eine DGB-Versammlung zum 1. Mai 2008 die Auflage erlassen, „dass Lautsprecher und Megaphone nur für Ansprachen und Darbietungen, die im Zusammenhang mit dem Versammlungsthema stehen“, genutzt werden dürften. Nun macht das BVerfG - in der Tradition des Brokdorf-Beschlusses - deutlich, dass auch eine solche Auflage nur so ausgelegt werden darf, wie es dem Sinn des Grundrechts entspricht. Folglich war die Durchsage „(Zivile) Bullen raus aus der Versammlung“ kein Verstoß gegen das Versammlungsgesetz. „Grundsätzlich“ müssten auch „Äußerungen zu anderen versammlungsbezogenen Fragen erlaubt“ sein. Das Gericht hätte sich nicht „uneingeschränkt“ auf die Auflage beziehen dürfen. Leider ist es damit nicht gelungen, das Auflagenunwesen selbst anzugreifen. Und das Verfahren wurde auch nur zurückverwiesen, so dass es noch nicht abgeschlossen ist.
(2) Grundrechte unabhängig von Anmeldung oder Genehmigung: Die Stadt Dresden wollte am 13. Februar 2012 ungestört auf dem Heidefriedhof der „Opfer des Zweiten Weltkrieges sowie der Opfer des Alliierten Bombenangriffs“ gedenken. Mit einem Bußgeldbescheid belegte sie denjenigen, der mit seinem Transparent wenige Minuten gegen den Trauerzug protestierte. Amtsgericht und Oberlandesgericht bestätigten die Stadt darin, dass der Protest eine „vorsätzliche Störung der Ruhe und Ordnung auf einem Friedhof in Tateinheit mit vorsätzlicher Belästigung der Allgemeinheit“ darstelle. Es handele sich um eine „grob ungehörige Handlung“. Wiederum kam erst vor dem BVerfG das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zur Geltung (1 BvR 980/13 vom 20. Juni 2014). Das Amtsgericht habe den „Schutzbereich dieses Grundrechts grundlegend“ verkannt. Das Grundrecht ist nicht abhängig von einer Anmeldung oder Genehmigung. Selbst wenn man die polizeiliche Aufforderung, das Transparent einzurollen, als Versammlungsauflösung betrachten wolle, entfiele der Schutz durch die Versammlungsfreiheit nicht auch für die vorausgehende Versammlung. Wiederum müssen Stadt, Polizei und Gerichte erst durch das BVerfG daran erinnert werden, dass beschränkende Maßnahmen die grundlegende Bedeutung von Art. 8 Abs. 1 GG zu berücksichtigen haben. Nur das, was zum Schutz gleichwertiger anderer Rechtsgüter, also anderer Grundrechte, notwendig ist, kann Einschränkungen rechtfertigen.
Ob der § 118 Abs. 1 des Ordnungswidrigkeitsgesetzes „überhaupt ein Verhalten sanktionieren kann, welches dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit unterfällt“, mochte das Verfassungsgericht leider nicht grundsätzlich entscheiden. Auch hier ist die Sache damit nur an das Amtsgericht Dresden zurückverwiesen.
Es gibt aber nicht nur Erfolge
Sondern es gab auch lange, zermürbende Prozesse. Der Prozess gegen Lothar König, der sich im Februar 2011 in Dresden engagiert hatte, wurde im Juli 2013 unterbrochen, weil deutlich geworden war, dass Polizeibeamte als Zeugen gelogen hatten und dass Beweismaterial manipuliert worden war (7). Der Prozess müsste endlich eingestellt werden. Stattdessen soll der Prozess im November 2014 wieder aufgenommen werden. Der bei der Hausdurchsuchung bei Lothar König am 10. August 2011 beschlagnahmte Lautsprecherwagen befindet sich noch immer im Polizeigewahrsam. Die Kennzeichen wurden erst am 8. August 2014 zurückgegeben, so dass drei Jahre lang Kraftfahrzeugsteuer und Versicherung bezahlt werden mussten für ein Auto, das keiner nutzen konnte.
Solidarität mit denen, die in die Mühlen der Strafverfolgung geraten, gehört auch zum Kampf um die Grundrechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit.
Anmerkungen
1 Verwaltungsgericht Hamburg vom 30. Oktober 1986, 12 VG 2442/86.
2 Vgl. Müller-Heidelberg, in: ders. u.a. (Hrsg.), Grundrechte-Report 2007, S. 124 - 128
3 Das Komitee für Grundrechte und Demokratie hat viele der Demonstrationen gegen die Castor-Transporte beobachtet. Die Berichte darüber sind in der Geschäftsstelle zu beziehen und unter www.grundrechtekomitee.de
4 5/27 Qs 38/13
5 Verwaltungsgericht Frankfurt vom 23. Juni 2014; 5 K 2334/13.F
6 Vgl. auch: Komitee für Grundrechte und Demokratie: Blockupy 2013, Der Frankfurter Polizeikessel am 1. Juni 2013, Köln, Februar 2014, www.grundrechtekomitee.de
7 Vgl. Stolle, Peer: Polizeiliche Fälscherwerkstatt? – Stadtjugendpfarrer vor Gericht, In: Grundrechte-Report 2014