Rolle rückwärts?

von Christiane Rajewsky
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Angriffe auf Ausländer ereignen sich nicht nur in Deutschland. Einzigar­tig in Westeuropa aber ist das Ausmaß an Gewalt, mit der Menschen in Ost- und Westdeutschland gegen Fremde vorgehen; eine weitere deut­sche Besonderheit ist, daß Mitglieder der Regierung in Bund und Län­dern, führende Politiker demokratischer Parteien offenen Rassismus äußern. Erinnern wir uns: Auch die nationalsozialistischen Pogrome gegen Juden und Zigeuner begannen mit der sprachlichen Verunglimp­fung dieser Menschen. Nirgendwo sonst schließlich gehen Regierungs­verantwortliche so rasch und direkt auf Forderungen rassistischer Ak­teure ein.

Und: Nur in Deutschland ist die Aus­länderfeindlichkeit verknüpft mit dem Bezug auf den Nationalsozialismus. "Sieg heil"-Rufe bei Angriffen auf Asylbewerber, die Zerstörung jüdischer Gräber durch Skinheads, die Identifika­tion vieler Täter mit Hitler und dem NS-Regime gestatten keine Verharmlosung.

Was ist zu tun? Lehrer und Lehrerinnen könnten schier verzweifeln angesichts der Probleme, deren Lösung man oft genug von der Pädagogik erwartet, weil die Politik versagt. Eine spürbare Unter­stützung der erzieherischen Arbeit ist nicht in Sicht. Da heißt es, sich auf die wichtigsten Dinge zu konzentrieren. Die Grundvoraussetzungen unserer demo­kratischen Gesellschaft können auch ohne Spezialkenntnisse in Politik ver­mittelt werden. "Alle Menschen sind frei und gleich an Rechten geboren" - so lautet der Kernsatz der Menschenrechte, die das Grundgesetz zur "Grundlage je­der menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt" erklärt. Diese Sätze verweisen auf das weltbürgerliche Fundament der Bundesrepublik Deutschland; sie garan­tieren den Schutz der Fremden, der An­dersdenkenden und der Schwachen, so unvollkommen das auch oft sein mag. Halten wir dagegen, was rechtsextremi­stische Ideologien den Menschen ver­sprechen: Ziel, Sinn, Sicherheit, symbo­lisiert im Mythos der nationalen Identi­tät. Der "Stolz, ein Deutscher zu sein" verschließt aber die Augen vor der Tat­sache, daß unsere Gesellschaft gespalten ist, in Erwerbstätige und Arbeitslose, in Männer und Frauen, West- und Ostdeut­sche, Wohlhabende und Arme. Als Ideologie der Stärke grenzt der Rechts­extremismus gerade die Schwachen aus der Gesellschaft aus. mit der Abschaf­fung der Pressefreiheit, der Aufhebung der - immerhin angestrebten - Gleichbe­rechtigung von Mann und Frau oder dem Verbot der politischen Betätigung der Gewerkschaften verspricht er das große Wir-Gefühl, ebnet damit auch gewaltsam Konflikte ein, deren zivile  Austragung in unser aller Interesse liegt. So würden die Menschen eines Großteils ihrer demokratischen Rechte beraubt, für die in Europa 200 Jahre lang gekämpft worden ist. Andersden­kende darf es bei den Neonazis nicht geben. Das praktizieren sie schon jetzt, indem sie gar nicht mehr "nur" Auslän­der angreifen, sondern auch Deutsche, die diese schützen wollen oder die den rechten Parolen widersprechen.

Ziel der Politik muß es sein, die sozialen Bedingungen des Zusammenlebens so zu verändern, daß Konflikte nicht länger auf dem Rücken der Schwachen ausge­tragen werden. Dazu gehört, daß die Unterbringung von Fremden, der Ablauf der Asylverfahren professionell gehand­habt werden, dazu gehört der umfas­sende Schutz von Minderheiten vor Gewalt, eine Sozial-, Bildungs- und Ju­gendpolitik, die rechten Programmen konkrete demokratische Lösungen ent­gegensetzt. Für die schwierige Arbeit in der Schule bleibt eine der Hauptaufga­ben die Erziehung zu Gewaltfreiheit und Toleranz. Es gibt, wie Alexander Mit­scherlich dargelegt hat, ebenso wenig ein naturhaftes, konstantes tolerantes Ver­halten wie es eine naturhafte, angebo­rene Aggressivität gibt. Toleranz als eine aktive Leistung des Ich ist an Lern­prozesse gebunden; solche Lernprozesse können von uns gefördert werden.

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Christiane Rajewsky ist Politikwissenschaftlerin und Leiterin der Arbeitsstelle Neonazismus an der Fachhochschule Düsseldorf.