Ruanda - der lange Weg der Versöhnung

von Birte Gäth

Das kleine Land Ruanda in Zentralafrika befand sich mit Unterbrechungen seit 1990 in einem Bürgerkrieg, der die Bevölkerung nachhaltig gespalten hat. Die Unterscheidung von "Hutu" und "Tutsi" hat durch die politische Instrumentalisierung derart gelitten, dass eine Versöhnung noch viel Zeit in Anspruch nehmen wird. Schlimmster Ausdruck der Polarisierung war der Völkermord von 1994, mit dem das Land traurige Berühmtheit erlangte.

Seit Oktober 2002 befindet sich Ruanda nun in einer "post-conflict" Situation. Im September letzten Jahres verließen rund 23.000 ruandische Soldaten die Gebiete im Nachbarland Kongo, die sie seit 1998 besetzt hielten. Grund für die Besetzung war nach offiziellen Angaben die Gefahr, die von den dort ansässigen Hutu-Milizen ausging. Die unter dem Namen ALIR (Armée pour la Libération du Rwanda) kämpfenden Milizen waren größtenteils Mitglieder der ehemaligen ruandischen Armee FAR (Forces Armées Rwandaise) oder der berüchtigten Interahamwe, die den Völkermord maßgeblich initiiert und durchgeführt hatten. Sie befanden sich im Strom der ca. 1,2 Millionen Flüchtlinge, die 1994 allein in das Nachbarland Kongo (damals Zaire) geflohen waren. In den Flüchtlingslagern gelang es ihnen, ihre Strukturen aufrecht zu erhalten und sich neu zu bewaffnen. Ihr Ziel war der Sturz der jetzigen Regierung in Kigali. Die ruandische Armee FPR (Front Patriotique Rwandaise) beantwortete die Übergriffe der Rebellen mit massiven Vergeltungsschlägen.

Die Situation in den östlichen Kivu-Provinzen des Kongo, wo sich die Rebellen aufhielten, verschlechterte sich noch dadurch, dass durch den gewaltsamen Sturz des Diktators Mobutu zahlreiche neue Konflikte unter dessen Nachfolger Laurent Kabila ausbrachen. Von 1998 bis 2001 herrschte gemessen an der Zahl der beteiligten Staaten der größte Regionalkrieg in Afrika. Die Kivu-Provinzen sind schwer zugängliches Gelände und von der weit entfernten Hauptstadt Kinshasa kaum zu kontrollieren. Die Intensität der Kämpfe in diesem Gebiet gewann zeitweise derart an Eigendynamik, dass von einem Krieg im Krieg gesprochen werden konnte.1 Nicht nur kämpften die ehemaligen Verbündeten Ruanda, Uganda und Kongo nun gegeneinander, sie unterstützten zudem weitere, sich teilweise bekämpfende Rebellengruppen.

So erhielten die ruandafeindlichen Hutu-Milizen Unterstützung von der kongolesischen Regierung. Aus diesem Grund misstraute Ruanda regelmäßig jedem Abkommen, das die Entwaffnung der Rebellen durch die kongolesische Seite vorsah, sobald Ruanda abgezogen wäre. Dennoch sah das Abkommen von Pretoria, das Ruanda und Kongo im Juli 2002 unterzeichneten, genau diese Abmachung vor. Der große internationale Druck, aber auch das verbesserte Verhältnis zum Sohn von Laurent Kabila und neuen Präsidenten des Kongo, Joseph Kabila, mag Ruanda bewogen haben, das Abkommen diesmal einzuhalten. Der internationale Druck kam nicht zuletzt dadurch zustande, dass die behaupteten Sicherheitsinteressen der Länder, die sich im Kongo aufhielten, zunehmend in Frage gestellt wurden. Der Kongo ist mit seinen Vorkommen an Gold, Diamanten und Coltan ein ressourcenreiches Land. Ein UN-Bericht legte im Oktober 2002 detailliert dar, welche Länder und Personen von den Ressourcen profitieren.2 Auch Ruanda befand sich unter den Ländern, denen sowohl zur persönlichen Bereicherung als auch zur Finanzierung ihrer Truppen die Ausbeutung des Kongo vorgeworfen wurde.

Zwar hat Ruanda sich nun offiziell zurückgezogen, jedoch behält es sich vor, jederzeit wieder in den Kongo einzumarschieren, sollte von den Hutu-Milizen Gefahr ausgehen. Inoffiziell sollen sich jedoch weiterhin vereinzelt Soldaten im Kivu aufhalten. In Anbetracht der sich derzeit rapide verschlechternden Situation in der Ituri-Provinz des Kongo wird ein Engagement der Ruander wieder wahrscheinlicher. Schon seit Jahresbeginn findet dort ein Stellvertreterkrieg zwischen Ruanda und Uganda statt, geführt von kongolesischen Milizen, die von beiden Seiten unterstützt werden.

Die Hintergründe
Die Regierung in Ruanda, von der seit 1994 die Rede ist, besteht vorwiegend aus ehemaligen Kämpfern der FPR, die 1990 erstmals in Ruanda einmarschierte, um das autoritäre Regime von Präsident Habyarimana zu stürzen. In der FPR kämpften viele Exil-Tutsi, die im Nachbarland Uganda aufgewachsen waren. Ihr militärischer Sieg beendete den Genozid. Seitdem sind sie die neuen Machthaber im Land. Unter ihrer Führung soll das Land zu einer nationalen Einheit finden und sich endlich von der Unterscheidung zwischen Hutu und Tutsi lösen. Diese Bezeichnung für unterschiedliche soziale Gruppen hatte sich im Laufe der Jahrhunderte verselbständigt und war schließlich zu einem starren Unterscheidungsmerkmal geworden.3 Beginnend mit den Kolonialherren hatte die Politik der jeweiligen Machthaber diese Entwicklung auf den Weg gebracht. Die Zugehörigkeit wurde ausschlaggebend für Ausbildungschancen, Einfluß und Karrieremöglichkeiten. Bis zur Rebellion der Hutu im Jahre 1959 befand sich die Minorität der Tutsi in der bevorzugten Stellung. Mit der Unabhängigkeit 1962 hatte sich ein autoritäres Hutu-Regime etabliert, das seinerseits die Tutsi diskriminierte. Da die Belgier dazu übergegangen waren, die Zugehörigkeit in den Ausweispapieren festzuhalten, war ein Wechsel zwischen den Gruppen so gut wie ausgeschlossen. Dieser Umstand verschärfte nicht nur die Kluft, sondern erleichterte auch den génocidaires von 1994, ihre Opfer ausfindig zu machen.

Als einer der ersten Schritte nach dem Genozid wurde daher diese Festschreibung in den Papieren aufgehoben. Zu Beginn des Jahres 2002 wurden als Zeichen der nationalen Einheit eine neue Flagge, eine neue Hymne und ein neues Wappen eingeführt.

Die Aufarbeitung des Genozids ist dessen ungeachtet noch lange nicht beendet. Das Ausmaß des Völkermords hat schnell gezeigt, dass neben den speziell trainierten Einheiten wie der Interahamwe und der Armee ein Großteil der Zivilbevölkerung an dem Morden beteiligt war. Es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass fast jeder Ruander, wenn er nicht selbst beteiligt war, zumindest jemanden kennt, der es war. In den überfüllten Gefängnissen des Landes sitzen noch über 100.000 Völkermordverdächtige. Der eigens zur Aburteilung der Verbrechen eingerichtete Internationale Strafgerichtshof der UNO in Arusha, Tansania, beschäftigt sich aus Zeit- und Personalgründen ausschließlich mit den Drahtziehern des Verbrechens. Für den Großteil der Verdächtigen kommt die gerichtliche Untersuchung spät. Um dieses Problem zu lösen, ist auf ein traditionelles Gerichtsverfahren in Ruanda zurückgegriffen worden: die Gacaca-Gerichte. Ursprünglich für Streitigkeiten um Vieh eingerichtet, sollen die Gacaca-Gerichte eine volksnahe und vor allen Dingen schnelle Aburteilung der weniger schwer belasteten Verdächtigen gewährleisten. Im Oktober 2001 sind hierfür Vertreter aus der Bevölkerung gewählt worden, die daraufhin geschult wurden und seit Juni 2002 arbeiten. Dennoch wird mit einer jahrelangen Aufarbeitungszeit gerechnet, was nicht nur an der Fülle der Fälle liegt, sondern auch dem Umstand geschuldet ist, dass es Überwindung kostet, öffentliche Beschuldigungen im Kreis der Nachbarn auszusprechen.4

Wenig Chancen für Demokratie
So sehr die Regierung seit 1994 den Anschein erweckt, an einer nationalen Identität zu arbeiten, so sehr ist sie gleichzeitig am Machterhalt interessiert und setzt sich damit zunehmender Kritik aus.5 Außenpolitisch zieht die Regierung den Unwillen auf sich, da sie es unterlässt, die eigenen Kriegsverbrechen während des Bürgerkrieges aufzuarbeiten. Auch wird das gewaltsame Vorgehen der Armee in der Demokratischen Republik Kongo verharmlost. Innenpolitisch sind so gut wie alle wichtigen Posten mit Tutsi besetzt. Das Parlament ist nicht gewählt, sondern ernannt. Unter dem Präsidenten Paul Kagame, dem Anführer der FPR, ist politische Opposition kaum möglich. Die Parteigründung des Vorgängers von Kagame im Präsidentenamt, Pasteur Bizimungu - ebenfalls ein ehemaliger FPR-Kämpfer - wurde sofort rückgängig gemacht und Bizimungu im April 2002 wegen Sektierertums verhaftet. Erste für 1999 angesetzte Wahlen wurden ausgesetzt und für 2003 angekündigt. Eine neue Verfassung soll Grundlage für die Wahl darstellen, aber auch die Verteilung der Posten klarstellen. Nach zweijähriger Beratung wurde am 26.5.2003 das Referendum über den Verfassungsentwurf abgehalten. 93 Prozent der Ruander befürworteten den Verfassungsentwurf, der das Ende der Transitionsphase einläutet. Kagame kündigte daraufhin zügige Wahlen an. Sein einziger potenzieller Gegenkandidat für das Präsidentenamt, Faustin Twagiramungu, sitzt jedoch im Exil in Belgien, von wo aus ihm ein ernstzunehmender Wahlkampf kaum möglich ist.6

In dem Maße, in dem die Hutu-Mehrheit von über 80 Prozent der Gesamtbevölkerung eine Dominanz der Tutsi ablehnt, so sehr fürchten die Tutsi eine Marginalisierung ihres Einflusses und ihrer Sicherheit, sollte sich ein proportionales Repräsentationsmodell durchsetzen. Solange die Unterscheidung relevant bleibt, ist ein ausgewogenes Miteinander der Gruppen nur schwer vorstellbar, zumal hierbei auch die Nachbarländer mitspielen müßten. Da sich der Gegensatz von Tutsi und Hutu auch in den Ländern Burundi und Uganda bemerkbar macht und die Politik beeinflusst, werden Vergleiche immer wieder ein Gefühl der Bevorzugung oder Benachteiligung heraufbeschwören. Gleichsam tragen die kriegerischen Auseinandersetzungen an den Grenzen Ruandas, hier insbesondere dem Kongo, zur instabilen Lage bei. Obwohl hier ebenfalls Friedensabkommen geschlossen, der Krieg beendet und den rivalisierenden Parteien politisches Mitspracherecht eingeräumt wurde, zeigen die jüngsten Entwicklungen, dass die Lage sich nicht in allen Teilen der Demokratischen Republik Kongo entspannt. Die Gewalt, die vielfach ökonomisch motiviert und daher nur schwer zu beenden ist, bedroht nicht nur den Friedensprozess im Kongo, sondern droht auch ständig, in die Nachbarländer überzuschwappen. Angesichts derartiger interner Probleme im Kongo bleibt fraglich, inwieweit es der Regierung gelingen kann, die Rebellengruppen wie versprochen zu entwaffnen. Demnach könnte die ALIR wieder zu einer akuten Bedrohung für Ruanda werden. Derzeit sind jedoch erste Repatriierungserfolge von ehemaligen Hutu-Milizionären zu verzeichnen, und die Wahlen, sofern sie dieses Jahr noch stattfinden, werden zeigen, auf welchem Weg Ruanda sich befindet.

1 Vgl.: Wolfgang Schreiber: Kongo-Kinshasa, in: ders. (Hrsg.): Das Kriegsgeschehen 2001, Opladen 2002, S. 200-208.

2 S.: United Nations: Final Report of the Panel of Experts on the Illegal Exploitation of Natural Ressources and Other Form of Wealth of the Democratic Republic of Congo, 16.10.2002, S/2002/1146.

3 Vgl.: Allison Des Forges: Kein Zeuge darf überleben. Der Genozid in Ruanda, Hamburg 2002.

4 Vgl.: The Economist: On a patch of grass, 15.5.2003.

5 Vgl.: Elizabeth Sidiropoulos: Democratisation and Militarisation in Rwanda. Eight years after the genocide, in: African Securtiy Review, Vol. 11, Nr. 3, 2002.

6 Vgl.: Interview mit Faustin Twagiramungu, in: UN Integrated Regional Information Networks, http://allafrica.com/stories/printable/200305160420.htm, vom 16.5.2003.
 

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Birte Gäth ist Diplom-Politologin und Mitarbeiterin der Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung an der Uni Hamburg.