Rüstungsexport restriktiv?

von Otfried Nassauer
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Ein einzelner Leopard II Panzer für die Türkei brachte die rot-grüne Ko­alition im Herbst des vergangenen Jahres an den Rand des Scheiterns. Im Kern ging es bei der kurzen, heftigen Debatte aber um weit mehr als nur den einen Testpanzer. Er stand und steht für die Zukunft der deut­schen Rüstungsexportpolitik: Wie restriktiv handhabt die neue Regie­rung den Rüstungsexport? Wie ernst nimmt sie ihre Wahlversprechen und den Koalitionsvertrag, in denen sie eine Überarbeitung der Rü­stungsexportrichtlinien angekündigt hatte? Verliert sie an Glaubwür­digkeit, weil sie Rüstungsexporte kaum anders handhabt als ihre Vor­gängerinnen? Mit Mühe gelang damals der Kompromiss: Der Testpanzer wird geliefert, die Rüstungsexportrichtlinien werden erneut überarbei­tet.

Nun liegt das Ergebnis der Überarbei­tung vor, die neuen "Politischen Grund­sätze der Bundesregierung für den Ex­port von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern". Der politische Wille, eine restriktivere Rüstungsexportpolitik zu verfolgen, wird darin deutlich.

Die Menschenrechtssituation und die Menschenrechtslage sind als politisches Entscheidungskriterium sichtbar veran­kert worden. Ob ein Export im Empfän­gerland eine "nachhaltige Entwicklung" zum Beispiel durch unverhältnismäßig hohe Rüstungsausgaben be- oder ver­hindert, soll bei künftigen Entscheidun­gen eine Rolle spielen. Deutsche Rü­stungsexportpolitik soll einen Beitrag zur "Gewaltprävention" und zur Siche­rung des Friedens leisten - die Wortwahl zielt auf innerstaatliche und zwischen­staatliche Konflikte.

Aufnahme gefunden haben somit drei politisch-ethische Kriterien, die bei Be­willigung oder Ablehnung von Rü­stungsexporten künftig berücksichtigt werden sollen. Zwei dieser Kriterien, Menschenrechte und die Gewaltpräven­tion, können unter Bezug auf internatio­nales Recht bereits heute praktisch aus­gestaltet werden; für die nachhaltige Entwicklung wird dies möglich sein, sobald die internationale Staatenge­meinschaft Kriterien nachhaltiger Ent­wicklung verbindlich formuliert hat. Gestärkt wird die Rolle der Politik in der Entscheidungsfindung, damit aber auch zugleich deren Verantwortung. Zudem kann mit Hilfe des Kriteriums der Gewaltprävention die Beweislast, dass ein beantragter Rüstungsexport nicht zur Eskalation oder zum Ausbruch vorhandener Spannungen beiträgt, künftig beim Antragsteller verbleiben. Exporte "in Länder, in denen ein Aus­bruch bewaffneter Auseinandersetzun­gen droht oder bestehende Spannungen und Konflikte durch den Export ausge­löst, aufrechterhalten oder verschärft würden", will die Bundesregierung künftig nicht genehmigen bzw. dagegen bei europäischen Kooperationsvorhaben ihre Einwendung geltend machen.

Den Endverbleib deutscher Waffen muss künftig jeder Kunde bescheinigen. Kriegswaffen und Rüstungsgüter, die für eine Kriegswaffe wesentlich sind, dürfen nur noch exportiert werden, wenn eine Endverbleibserklärung mit Erlaubnisvorbehalt für den Reexport vorliegt. Mit anderen Worten: Wer Waf­fen ohne schriftliche Genehmigung der Bundesregierung weiterexportiert oder wissentlich einen solchen Reexport nicht verhindert, muss mit einem Liefer­stopp rechnen, bis der Missstand, der den Reexport ermöglichte, nachweislich be­seitigt ist. Gleiches gilt für kriegswaf­fennahe sonstige Rüstungsgüter, die im Zusammenhang mit einer Lizenzver­gabe stehen. Dies kann den Anreiz ver­ringern, deutsche Waffensysteme in Li­zenz nachzubauen, sollte es gelingen, ein wirksames Kontrollsystem einzu­richten. Auch auf Exporte von Partner­staaten im Rahmen der NATO und der Europäischen Union, mit denen Waffen koproduziert werden, sollen künftig schon bei der Vertragsgestaltung mehr Einflussmöglichkeiten geschaffen wer­den. Den vollständigen Verzicht auf eine deutsche Veto-Möglichkeit - wie z.B. aufgrund des Schmidt-Debre-Ab­kommens von 1972 bei allen deutsch-französischen Gemeinschaftsvorhaben üblich - soll es künftig bei neuen Pro­jekten nicht mehr geben.

Doch auch die neuen politischen Grund­sätze beinhalten jenen Grundwider­spruch, der schon frühere Rüstungsex­portrichtlinien kennzeichnete und zu vielen umstrittenen Bewilligungen führte. In ein und derselben Richtlinie konkurrieren zwei unterschiedliche rechtliche Ansätze miteinander. Das Kriegswaffenkontrollgesetz fußt auf der Annahme, dass alles verboten ist, was nicht explizit erlaubt wurde. Das Au­ßenwirtschaftsgesetz dagegen geht von der Annahme aus, dass alles, was nicht explizit verboten ist, erlaubt ist. Da in den politischen Grundsätzen für den deutschen Rüstungsexport aber nicht allein die Art der Ware darüber ent­scheidet, wie restriktiv deren Export ge­handhabt werden soll, sondern vor allem die Frage, in welche Länder geliefert werden soll, sind die Richtlinien weiter­hin janusköpfig. Der Export von Rü­stungsgütern aller Art in die NATO-Staaten, die EU-Staaten sowie in die Schweiz, nach Australien, Neuseeland und Japan wird grundsätzlich nicht ein­geschränkt, es sei denn, gravierende Ar­gumente - z.B. die Menschenrechtssi­tuation in der Türkei - erzwingen eine Ausnahme. Der Export aller Arten von Rüstungsgütern in andere Staaten dage­gen wird nur in Ausnahmefällen ge­nehmigt. Das hat gravierende Folgen: Bei Exporten auch von Kriegswaffen in EU-oder NATO-Staaten wird die Ge­nehmigung zum Regelfall, und das Ver­bot zur zu begründenden Ausnahme. Fast scheint es, als finde hier das Rechtsprinzip des Außenwirtschaftsge­setzes und nicht das des Kriegswaffen­kontrollgesetzes Anwendung.

Unzufrieden mit den neuen Richtlinien müssen all jene sein, die jeden oder fast jeden Rüstungsexport ablehnen. Die neuen politischen Grundsätze machen deutsche Rüstungsexporte nicht weitge­hend oder gänzlich unmöglich. Sie tra­gen auch den Interessen der Industrie Rechnung. Dies gilt auch für Teile jener Exporte, die schon in den vergangenen Jahren umstritten waren. So greifen die politischen Grundsätze nicht in beste­hende Verträge ein, die es zum Beispiel Frankreich ermöglichen, in Zusam­menarbeit mit deutschen Firmen produ­zierte Waffen zu exportieren, ohne dass ein deutsches Veto eingelegt werden könnte. Heftigen Unmut äußert aber auch ein Teil der Industrie, der in jeder Beschränkung des Rüstungsexports einen Eingriff in die unternehmerische Freiheit des Geldverdienens sieht. Der Bundesverband der Deutschen Industrie befürchtet das Aus für die wehrtechni­sche Industrie. Die Luft- und Raum­fahrtindustrie fürchtet den Verlust der internationalen Kooperationsfähigkeit Deutschlands, weil die neuen Richtli­nien wiederholen, was der Verhal­tenskodex der Europäischen Union ex­plizit ermöglicht: Sind die nationalen Exportrichtlinien restriktiver als der eu­ropäische Kodex, so sollen die schärfe­ren nationalen Regelungen Vorrang ha­ben. Offen liebäugelt die deutsche Indu­strie mit laxeren Exportregelungen wie in Frankreich oder Großbritannien und malt drohend schwerwiegende Arbeits­platzverluste an die Wand. Mit einigem Recht kann daran gezweifelt werden, dass alle Mitglieder aus der Rüstungsin­dustrie die Verbandsmeinung vollstän­dig teilen.

Eines darf als sicher gelten: Die eigent­liche Bewährungsprobe für die neuen politischen Grundsätze kommt mit der Praxis. Erst die konkrete Exportpraxis wird zeigen, wie ernst es der Regierung mit ihrer "Politik der Restriktivität" ist. Deutlich werden wird dies z. B. an den konkreten Weisungen zur Umsetzung der Richtlinien für das Bundesausfuhr­amt. Deutlich werden wird es am künf­tigen Umgang mit Voranfragen der In­dustrie bei den deutschen Ausfuhrbe­hörden. Und zum Schwur kommt es er­neut auf der politischen Ebene. Auch künftig wird der Bundessicherheitsrat heikle und umstrittene Exportvorhaben entscheiden müssen. Zeigt sich dann, dass der Geist willig und das Papier ge­duldig war, das Fleisch aber weiter schwach ist? Sitzungen des Bundessi­cherheitsrates sind geheim. Im Dunkeln lässt sich gut munkeln - und wie weit manche das Munkeln im Schutz der Ge­heimhaltung zu treiben belieben - das hat die verflossene Regierung Kohl auch am Beispiel "Rüstungsexporte und Part­eispenden" nur allzu deutlich gemacht. Vorsicht ist die Mutter der Munitionski­ste. Dieses Motto gilt ganz sicher auch für die Zukunft.

Die Regierungsfraktionen sind sich ei­nig. Bei der Überarbeitung der Politi­schen Grundsätze für den Rüstungsex­port kann es nicht bleiben, sie sind nur einer der erforderlichen Schritte auf dem Wege zu einer restriktiveren Rüstungs­exportpolitik. Andere Schritte müssen folgen. Dazu gehören

-     erstens eine Überarbeitung der Ver­gabe von Bürgschaften durch die Hermes-Versicherung, über die eine Vielzahl von Exporten von Rü­stungsgütern und Kriegswaffen abge­sichert werden;

-     zweitens die Schaffung einer Mög­lichkeit, den Bundestag beratend an Entscheidungen über deutsche Rü­stungsexporte zu beteiligen;

-     drittens die Einrichtung eines Kon­trollmechanismusses, der die ver­schärften Endverbeibsregeln hand­habbar macht und vor allem wirksam werden lässt;

-     viertens sollte diskutiert werden, wel­che heutigen Außenwirtschaftsgüter aufgrund ihrer technischen Bedeu­tung für moderne Kriegswaffen künftig exportrechtlich als Kriegs­waffen behandelt werden sollten;

-     fünftens die Schaffung der gesetzli­chen Voraussetzungen für öffentliche Transparenz. Letztlich kann nur eine Verpflichtung, die Öffentlichkeit über bewilligte Rüstungsexporte zu informieren, sicherstellen, dass im Dunkel der Geheimhaltung nicht ge­munkelt wird - ganz gleich unter welcher Regierung.

Und schließlich die wichtigste Zu­kunftsaufgabe: Im Blick auf die euro­päische Integration haben die sechs wichtigsten europäischen Rüstungspro­duzenten - Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien, Schweden und Deutschland - Verhandlungen über die Harmonisierung der Rahmenbedingun­gen für das Handeln und Wirtschaften der Rüstungsindustrie begonnen, die so­genannten Letter of Intent-Gespräche. Hier geht es unter anderem auch um eine Harmonisierung der Regeln für den Rüstungsexport. Absehbar ist, dass es ein sehr hartes Stück Arbeit wird, in diesem Kontext das Ziel einer rechtlich ver­bindlichen restriktven Rüstungsexport­politik im Auge zu behalten.

Otfried Nassauer leitet das Berliner In­formationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).

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Otfried Nassauer (1956-2020) war freier Journalist und leitete das Berliner Informationszentrum für transatlantische Sicherheit – BITS (www.bits.de)