Nicht nur in den Wendezeiten der DDR hat sich der Runde Tisch als Instrument der Konfliktlösung bewährt. Entsteht hier ein neues Demokratiemodell?

Runde Tische - eine neue Konsultative?

von Erhard O. Müller
Initiativen
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Als in Zeiten sich zuspitzender gesellschaftlicher Gegensätze in den sozialistischen Staaten die vorhandenen Regierungsinstanzen die Interessenkonflikte nicht mehr zu lösen vermochten, erzwang die gesellschaftliche Opposition die Einberufung "Runder Tische". In der Mitte der 80er Jahre machte Polen den Anfang. Zunächst nur als Hilfsinstrumente für den Systemwechsel vorgesehen, haben sich in den letzten Jahren vornehmlich im Osten Deutschlands Runde Tische zu den verschiedensten sozialen Brennpunkten und Problemfeldern gebildet. Die Themenpalette reicht von "Gewalt in unsere Stadt" über die Verkehrsproblematik bis hin zu frauenpolitischen Runden Tischen. Etwa 40 "praktizierende Runde Tische wurden Anfang 1995 in einer ersten unvollständigen Erhebung "entdeckt", die Dunkelziffer liegt weit höher.

In der unmittelbaren Praxis Runder Tische kristallisieren sich mittlerweile zwei Modelle heraus. Zum einen Runde Tische als "pressure groups", d.h. als Lobbygruppe für die Durchsetzung eines bestimmten Interesses: Heterogene Gruppen, die jedoch ein gemeinsames Ziel gegenüber einem "Gegner" verfolgen, kommen an einem "runden" Tisch zusammen. Als Runde Tische im vollen Wortsinne sind allerdings nur solche Modelle zu bezeichnen, die als unabhängige Instanzen mit einer entsprechend neutralen Moderation konträre Intressengruppen zur Bewältigung eines Konfliktes zusammenbringen und auf diese Weise eine Art "Scharnierfunktion" in der Gesellschaft ausüben. Unter dem Motto "Bürgerbeteiligung an Runden Tischen - Konzepte für ein Demokratiemodell" fanden sich im Februar etwa 60 Vertreter von Rund-Tisch-Projekten und interessierten Bürgerinitiativen zusammen. Die Vielfalt der Modelle und Varianten von Rund-Tisch-Projekten, die im Rahmen einer Bestandsaufnahme im Vorjahr zutage getreten war, veranlasste die Ev. Akademie Berlin/Brandenburg, die Stiftung Mitarbeit und das Forum Bürgerbewegung, die Perspektiven dieses neuen Möbelstücks in der Wohnstube der Demokratie näher zu durchleuchten. Zum ersten Mal auf dieser Tagung hatten die im Osten entstandenen Rund-Tisch-Initiativen und die im Westen entwickelten Mediations- und Konstultativprojekte die Gelegenheit zu einem unvoreingenommenen Erfahrungsaustausch.

Den Versuch einer soziologischen Definition Runder Tische unternahm Wolfgang Ullmann, Sprecherratsmitglied beim "Forum Bürgerbewegung" und Abgeordneter des Europa-Parlaments. Im Zentrum seines Beitrages stand die Frage, was eigentlich den Runden Tisch "rund" mache. Es komme, so Ullmann, besonders darauf an, daß die unterschiedlichsten Positionen und Interessengruppen, die von einem gesellschaftlichen Problem betroffen sind, auch wirklich mit am Tisch sitzen. Nur auf diese Weise könne sich eine "Zirkularperspektive", d.h. eine Sicht von verschiedenen Seiten auf den jeweiligen Gegenstand der Erörterung entwickeln - und damit auch ein Verständnis für die Position der jeweils anderen Betroffenen.

Runde Tische als Vierte Gewalt?

Runde Tische sind indes kein reines "Ostprodukt". Auch im Westen - so etwa in der Braunkohleregion am Niederrhein - haben sich Rund-Tisch-ähnliche Projekte zur Lösung sozialer Probleme gebildet. Dr. Dieter Schmid von der Umweltakademie Oberpfaffenhofen erläuterte das dortselbst entwickelte Konzept der "Consultative", das in vielem - so etwa hinsichtlich der "Zirkularperspektive" und der Beteiligung der extrem unterschiedlichen Interessengruppen - dem Modell der Runden Tische verwandt ist. Ginge es nach dem Willen ihrer Initiatoren, so würde die "Consultative" sogar als "Vierte Gewalt" in das Verfassungsgefüge der Bundesrepublik eingefügt.

Mittlerweile bieten sogar kommerzielle Unternehmen "Runde Tische" an: Stefan Kessen von der "Mediator GmbH" stellte das Mediationskonzept "Bürgerdialog" zum geplanten Flughafenbau südlich von Berlin vor. In der Diskussion seines Konzeptes ging es immer wieder um die Frage, wieweit ein solches Modell zur reinen Akzeptanzförderung seitens einer der beteiligten Intressengruppen missbraucht werden bzw. wie die gleichberechtigte Teilnahme aller Interessenvertreter am Bürgerdialog gewährleistet werden kann.

Fazit: Auch in der repräsentativen Demokratie ist der Bedarf, Runde Tische als Instrumente der Bürgerbeteiligung ins Leben zu rufen, nicht erschöpft. Vor allem bei kommunalen Entscheidungsprozessen sind sie eine notwendige Erweiterung der realexistierenden Demokratiestrukturen. Angesichts des zunehmenden Unvermögens der bisherigen Machtstrukturen, gesellschaftliche Probleme zu lösen, könnten Runde Tische sich sogar als unverzichtbares Modell einer lagerübergreifenden "Interessenpartnerschaft erweisen.

Natürlich bleiben - wie bei jedem neuen Modell - Fragen offen; Welche Möglichkeiten der rechtlichen Verankerung von Runden Tischen in den existierenden gesellschaftlichen Strukturen gibt es? Wie kann die Anhörung Runder Tische durch die Parlamente zu einem einklagbaren Rechtsanspruch gemacht werden? Wird eine solche "Verrechtlichung" die Unabhängigkeit Runder Tische gefährdet? Ein verbrieftes Anhörungsrecht und ein Haushaltsfonds für die Verwirklichung Runder Tische auf Gemeindeebene sind zwar unbestreitbar von Vorteil, dürfen jedoch auf keinen Fall zu einer Einschränkung der institutionellen Unabhängigkeit von Runden Tischen führen. Eine besondere Herausforderung besteht darin, die Runden Tische tatsächlich rund zu machen: Wie gewinnt man die unterschiedlichen Interessengruppen, mit welchen Mitteln können Rund-Tisch-Initiativen tatsächlich etwas bewegen und Problemlösungen finden- und auf diese Weise ihren Beitrag  zur Überwindung der um sich greifenden Politikverdrossenheit leisten? Realitätstüchtige Antworten auf diese Fragen sollen im Februar 1997 auf einer weiteren Tagung gefunden werden.

 

Eine Dokumentation der ersten Runde-Tisch-Tagung ist als Sonderausgabe des "forum bürgerbewegung" erhältlich bei: Forum Bürgerbewegung, Friedrichstr. 165, 10117 Berlin

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Erhard O. Müller ist Redakteur von "forum bürgerbewegung" in Berlin.