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Braucht die Klimabewegung eine radikale Flanke, die Sabotage betreibt?
Sabotage und radikale Flanken
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In der Klimagerechtigkeitsbewegung schleicht sich bisweilen das Gefühl ein, Demonstrationen oder auch Blockaden alleine bringen nicht den notwendigen Erfolg. Die Aktionsformen scheinen zu wenig Druck auf Entscheidungsträger*innen auszuüben, sodass dringende Veränderungen für den gesellschaftlichen Wandel nicht umgesetzt werden. So prophezeite der Mitbegründer von „Ende Gelände“, Tadzio Müller, eine militanter werdende Bewegung. „Wer Klimaschutz verhindert, schafft die grüne RAF. Oder Klimapartisanen. Oder Sabotage for Future. Wie auch immer sie sich dann nennen." Müller geht davon aus, dass radikale Protestformen zunehmen werden: „Zerdepperte Autoshowrooms, zerstörte Autos, Sabotage in Gaskraftwerken oder an Pipelines. Das wird es nächsten Sommer auf jeden Fall geben", so der Aktivist. (1)
Nun haben die vorhergesagten Aktionen von Sabotage so nicht stattgefunden, weder 2022 noch 2023. Aber die Forderung nach radikalen Sabotageaktionen bleibt bestehen. Einer der Theoretiker für die Forderung, Sabotageaktionen in die Reihe der Aktionsformen der Klimabewegung aufzunehmen, ist der schwedische Wissenschaftler und Journalist Andreas Malm. In seinem Buch „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt – Kämpfen lernen in einer Welt der Flammen“ setzt er sich kritisch mit dem gewaltfreien Charakter der Klimabewegung auseinander. „Wir marschieren, wir blockieren, wir führen Theaterstücke auf, wir überreichen Minister*innen Listen mit Forderungen, wir ketten uns an. … Aber das Business as usual geht unbeirrt seines Weges. Wann also eskalieren wir? Wann gelangen wir zu der Einsicht, dass es an der Zeit ist, auch zu anderen Mitteln zu greifen?“ (2)
Unter „anderen Mitteln“ versteht Andreas Malm gezielte Sabotageaktionen. Diese müssten aber so gestaltet sein, dass keine Menschenleben gefährdet werden. Als Beispiel führt er das Zerstechen von Reifen von SUV an, so in Schweden von „Indianer*innen des Betondschungels“ im Jahre 2007 praktiziert. Er kann sich auch Sabotage an Luxusjachten vorstellen oder das Zerstören von Öl- oder Gaspipelines. Mit solchen Aktionen bekäme die Klimabewegung eine radikale Flanke, die gemeinsam mit den gewaltfreien Aktionen den Druck in der Öffentlichkeit erhöhen würde.
Malm fordert durchaus nicht, dass die gesamte Bewegung solche Aktionen durchführen solle, dies könne kleinen Gruppen überlassen bleiben, während die anderen weiterhin gewaltfreie Aktionen durchführten. Er sieht aber in der Kombination beider Aktionsvarianten eine Stärkung der Bewegung. Überhaupt beklagt er, dass es zu wenig revolutionären Geist in der Klimagerechtigkeitsbewegung gäbe. Er wirft ihr vor, zu pazifistisch zu sein. Intensiv setzt sich Malm mit den Werken von Maria Stephan und Erica Chenoweth auseinander, die in ihrer großen Studie „Why Civil Resistance Works“ gewaltfreien Bewegungen eine größere Wahrscheinlichkeit zumessen, erfolgreich zu sein. (3) Malm behauptet am Beispiel der Bürgerrechtsbewegung in den USA, dass Martin Luther Kings gewaltfreie Aktionen nur Erfolg haben konnten, weil es mit Malcom X auch eine radikale gewaltsame Flanke der Bewegung gab, angesichts derer die Herrschenden nachgaben. Dies widerlegt Chenoweth in ihrem neuesten Buch übrigens eindrucksvoll. (4) Eine ganze Reihe jüngster Untersuchungen zeigen, dass spontane Gewaltaktionen einer Bewegung zwar kurzfristig Aufmerksamkeit in den Medien verschaffen, aber auf Dauer die Bewegung schwächen. Die Zahlen derer, die sich beteiligen wollen, nehmen signifikant ab, die Bewegung verliert an Sympathie bei der Mehrheit der Bevölkerung, der Focus wird von den Sachthemen weggelenkt auf die Frage der Gewalt.
Aber gibt es nicht auch gewaltfreie Sabotageaktionen?
Zunächst gilt es zu unterscheiden zwischen Sabotageaktionen, zu denen sich die Aktivist*innen offen bekennen und dafür auch bereit sind, Gefängnis in Kauf zu nehmen und solchen Aktionen, die im Geheimen geschehen. Das derzeit bekannteste Beispiel für Ersteres sind die beiden Frauen Jessica Reznicek und Ruby Montoya, die 2016 die Dakota Öl Pipeline in den USA mehrfach sabotierten und erheblichen Schaden anrichteten. Jessica Reznicek wurde dafür zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Sie bezeichnen ihre Aktionen als gewaltfreie direkte Aktion, die nötig sei, weil die bisherigen Proteste keinen Erfolg hatten und es keinerlei Anzeichen gäbe, dass die Öl- und Gaskonzerne ihre Politik der Förderung fossiler Brennstoffe aufgäben.
Kann man die Sabotage einer Pipeline als gewaltfreie Aktion ansehen? Ja, wenn dadurch keine Menschen geschädigt werden. Gewalt richtet sich immer gegen Menschen, Gewalt beschädigt Leben, Gewalt schränkt Lebensmöglichkeiten ein, so lässt sich die Galtung‘sche Definition der Gewalt auf den Punkt bringen.
Die Zerstörung der Dakota Pipeline steht in der Tradition der gezielten Sabotageaktionen der Friedensbewegung in den USA, der Catholic Worker und der Pflugschar Bewegung um die Brüder Berrigan, wo gewaltfreie Aktivist*innen in Atomwaffenlager eindrangen und Atomsprengköpfe mit dem Hammer beschädigten und Blut darüber gossen. Sie taten dies öffentlich und nahmen dafür Gefängnisstrafen in Kauf. Diese friedlichen Saboteur*innen fragen alle in der Bewegung an, wie weit sie bereit sind zu gehen, und ob sie sich mit ihrem ganzen Leben den Bedrohungen entgegenstellen. Und sie machen klar: Wer gewaltfreien Widerstand leistet, zeigt das Gesicht. Solche Menschen, die alles in die Waagschale legen, um eine Bedrohung aufzuhalten und die bereit sind, dafür hohe persönliche Nachteile in Kauf zu nehmen, genießen innerhalb der Bewegungen großen Respekt.
Etwas anderes sind Aktionen, die im Verborgenen geschehen. Sie zwingen die Aktivist*innen zur geheimen Vorbereitung ihrer Unternehmungen und zu Schutzvorkehrungen gegen Spitzel und in der Konsequenz irgendwann in eine Untergrundorganisation. Es ist ja bekannt, dass „agents provocateurs“, die Gewalt- und Sabotageaktionen propagieren, in gewaltfreie Bewegungen eingeschleust werden, um der Bewegung zu schaden. Wer gehört nun zur Bewegung und wer ist ein agent provocateur? Misstrauen breitet sich in solchen Gruppen aus, denn es besteht immer die Gefahr, aufgedeckt zu werden. Notwendigerweise werden sich die Mitglieder dieser Gruppen im Laufe der Zeit von der Basis der Bewegung entfernen, um die Geheimhaltung zu wahren.
Damit ist auch zu fragen, wer denn solche Aktionen legitimiert. Normalerweise werden die Aktionen der Klimagerechtigkeitsbewegung in den Aktionsbündnissen breit diskutiert und in einem basisdemokratischen Prozess verabschiedet. Jede*r kann sich beteiligen. In den kleinen Sabotage-Guerillagruppen aber entscheiden nur wenige, sie müssen undemokratisch handeln. Damit isolieren sie sich auf Dauer von der Bewegung.
Solche Aktionen können zu einer Spaltung in der Bewegung führen. Manche finden sie vielleicht cool, andere aber distanzieren sich davon, weil sie sie für falsch halten. Statt die Bewegung zu stärken, wird sie so geschwächt. Jede Bewegung muss sich darum bemühen, die Herzen der Menschen zu gewinnen, die noch nicht engagiert sind, und sie auf ihre Seite zu ziehen. Die Sympathien und der Respekt, die sich die Klimabewegung durch ihre gewaltfreien und phantasievollen Aktionen erworben haben, schwinden durch geheime Sabotageaktionen.
Anmerkungen
1 Zitiert nach tagesschau.de von 22.2.2022
2 Andreas Malm, Wie man eine Pipeline in die Luft jagt, 2020 S. 14
3 Erica Chenoweth, Maria Stephan, 2011. Why Civil resistance works
4 Erica Chenoweth, Civil Resistance, 2021 S. 142ff