Ein Blick zurück auf 3 Monate "Aufbaukurs 1995"

"Schalomdiakonat" - ein Pilotprojekt lernt laufen

von Christopher Diringer
Hintergrund
Hintergrund

15. Dezember 1995: In der Kapelle eines Tagungshauses in der Nähe von Warburg/Wf. feiern wir einen ökumenischen Gottesdienst - der "Aufbaukurs 1995 - eine Fortbildung zum Einsatz im Schalomdiakonat für Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung" geht zu Ende. Wir haben allen Grund zu feiern: 3 ź Monate haben wir, die 13 Teilneh­menden des Kurses und 4 Teamer, intensiv miteinander gelebt und ge­arbeitet. Eine ungewöhnliche Fortbildung - kann man Friedensarbeit "lernen"? Die TeilnehmerInnen im Alter von 27 bis 62 Jahren, die aus Deutschland, der Schweiz und Kroatien kommen, bringen sehr vielfälti­ge, aber auch unterschiedliche Erfahrungen aus der Friedensarbeit mit ein. Die Gemeinsamkeit ist ihr Interesse an gewaltfreien Möglichkeiten der Konfliktbearbeitung und die Motivation, sich auf langfristige Einsät­ze in gesellschaftlichen Konfliktfeldern im In- und Ausland vorzube­rei­ten.

Ana und Otto, die in Zagreb zu ökumenischen Friedensgebeten und zur Be­ratung für Kriegdienstverweigerer ein­laden, begegnen Rudi, der zwanzig Jahre als katholischer Priester in Peru mit Indios gelebt hat. Rainer, nach einer langjährigen Tätigkeit als Arzt in den letzten Jahren als Freiwilliger von Sun­cokret/NEXUS in Zagreb aktiv, begeg­net Rose, die als Freiwillige in Brasilien in einem Straßenkinderprojekt gearbei­tet hat.

Anita, hauptamtlich für den Versöh­nungsbund/Westschweiz tätig, begegnet Harald, (Kirchen-)Musiker aus Passion und langjähriger Leiter eines Friedens­hofes. Pascale, ehemalige Mitarbeiterin des Ökumenischen Informationszen­trums in Dresden, begegnet Margrit, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, aus Deutschland abgeschobene Romas nach Rumänien zu begleiten und dort mit ih­nen zu leben.

Irmela, ehemalige Pfarrerin im Gemein­dedienst, trifft auf Angela, ehemalige Sekretärin, nun in Rente. Gunhild, ehe­malige Bürgermeisterin in der "Wende­zeit" und Gemeinwesenarbeiterin auf ABM-Basis, trifft auf Katja, Mitbegrün­derin des "Schöpfungsordens".

Dreieinhalb Monate Programm: Studi­entage zu den Grundlagen aktiver Ge­waltfreiheit mit Hildegard Goss-Mayr. Trainingswochen mit erfahrenen Traine­rInnen (z.B. aus der KURVE Wustrow) zu persönlichem Konfliktverhalten, Me­ditation, Gewaltfreier Aktion, Interkul­tureller Konfliktbearbeitung. Informa­tionen über mögliche Einsatzfelder und Trägerorganisationen wie z.B. Peace Brigades International, die uns von Werner Huffer, ehemaliger PBI-Aktivist in Guatemala, vermittelt werden.

Immer wieder spiegelt sich die Realität alltäglicher Arbeit und möglicher zu­künftiger Einsatzfelder als Realität im Kurs: Konfliktreiche Lernprozesse in Trainingseinheiten und Elemente der Selbsterfahrung in der Gruppe helfen uns, die eigene Wahrnehmung und Kon­fliktfähigkeit zu überprüfen. In "Be­zugsgruppen" nehmen wir etwas von dem vorweg, was uns in der späteren Teamarbeit in Projekten notwendig sein wird: Entscheidungsfindung im Kon­sens, Konfliktbearbeitung, gegenseitige Ermutigung. In Meditation, Gebet und Gottesdienst teilen wir etwas von dem, woraus wir die Kraft für unsere Arbeit und die Hoffnung angesichts von per­sönlichen Niederlagen und politischen Ohnmachtserfahrungen schöpfen. Viel­leicht ist dies eine der wichtigsten "Ein­sichten", die für uns in diesem Kurs immer wieder spürbar geworden ist: Nicht allein das qualifiziertere Anwen­den von Methoden, sondern das Sich-Getragen-Wissen einer spirituellen Kraft, die uns sagen läßt: "Ich kapitu­liere nicht!", wird uns in der Realität von Krieg und Gewalt einen langen Atem schenken.

"Nicht vom Himmel gefallen..."

Wer bietet dieses Fortbildungsangebot an? Der Ökumenische Dienst im kon­ziliaren Prozess e.V. (Oed) wurde 1992 gegründet. Sein Vereinsziel: "Wir wol­len  Menschen ansprechen, die langfri­stig für Aufgaben von Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung ver­fügbar sein wollen, sie  fortbilden, an Anfragen vermitteln, sie auf ihrem wei­teren Weg begleiten." Finanziert wird das Pilotprojekt von der EKD, einigen Landeskirchen, katholischen Bistümern, der Stiftung "die Schwelle" und frie­denskirchlichen Gruppen.

Das Projekt ist nicht "vom Himmel ge­fallen". Es entsteht im politischen Kon­text der Debatte um eine neue Zielper­spektive der Friedensbewegung im Sinne "Ziviler Konfliktbearbeitung" und der Diskussion um die Zukunft (christlicher) Friedensdienste. Im kirch­lichen Kontext sind es die Impulse des konziliaren Prozesses und die Be­schlüsse der ökumenischen Versamm­lungen der achtziger Jahre, die die Vi­sion eines Schalomdiakonates entstehen lassen: "Wir regen die Bildung von ökumenischen Schalom-Diensten an... Wir verpflichten uns, diesen aktiven Geist des Schalom auszubreiten." (Europäische Ökumenische Ver­sammlung in Basel, 1989)

Zu einem Zeitpunkt, da das Projekt des "Zivilen Friedensdienstes" noch um Konzepte und politische Akzeptanz ringt, bietet der OeD nach ersten Orien­tierungskursen 1993/94 mit dem "1. Ba­sisseminar 1995" eine aufeinander abge­stimmte Kursstruktur an, die Zuspruch findet: einem berufsbegleitenden "Grundkurs - Einführung in gewaltfreies Handeln" folgt der 3 1/2-monatige "Aufbaukurs - Fortbildung zum Einsatz im Schalomdiakonat für Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung" und eine 3 bis 4 monatige "Praxisphase".

Der Aufbaukurs ist zu Ende - wie geht es weiter?

Alle KursteilnehmerInnen nutzen die drei bis viermonatige "Praxisphase", die sich im 1. Halbjahr 1996 an den Auf­baukurs anschließt, für Praktikums-Ein­sätze in Praxisfeldern. Dabei werden die Kontakte, die Teilnehmende während der Kurse knüpfen konnten, zu wichti­gen Instrumenten gegenseitiger Unter­stützung und Kooperation:

Anita Thomas, ausgebildete Trainerin für gewaltfreie Trainings, reist auf Ein­ladung von Ana  und Otto Raffai nach Zagreb, um dort gemeinsam mit diesen vor Ort "kleine Schritte" ökumenischer Friedensarbeit in Kroatien zu entwickeln.

Margrit Koeplin reist Mitte Februar im Auftrag der Lippischen Landeskirche nach Sintana/Rumänien, um an der Seite der aus Deutschland abgeschobenen Roma zu leben, ihre Sprachkenntnisse zu vertiefen und zu prüfen, welche An­sätze von Gemeinwesenarbeit dem Prin­zip "Hilfe zur Selbsthilfe" entsprechen könnten.

Rainer Stiehl-Dimpker folgt gemeinsam mit Rose Schnirring einer Einladung der Mennoniten nach Omis in der Nähe von Split, um dort ab Mitte März die Be­gleitung von Freiwilligen zu überneh­men, die in Flüchtlingslagern in der Re­gion arbeiten...

Konkrete Schritte, um das Training des Aufbaukurses in den Alltag internatio­naler Friedensarbeit umzusetzen: An­fang Juli treffen sich dann alle Teilneh­merInnen des Aufbaukurses zu einem Auswertungsseminar, um sich über ihre Erfahrungen während der "Praxisphase" auszutauschen und weitere Schritte zu beraten.

Ökumenischer Dienst als Vermittlungsagentur

Im Anschluss an das Auswertungssemi­nar, das den Bogen des "1. Basissemi­nars" schließt, beginnt der OeD als Agentur für Vermittlungsdienste zur Verfügung zu stehen: für Trägerorgani­sationen (wie z.B. PBI, das "ecumenical peacemaker programme", die OSZE), die für langfristige Einsätze Freiwillige suchen, ebenso wie für Absolventen des 1. Basisseminars, die mit Anfragen sol­cher Organisationen in Kontakt kom­men wollen.

Dabei sieht der OeD seine Aufgabe auch darin, in den Kirchen weiter dafür zu werben, daß Menschen und Gruppen, die sich unter hohem persönlichem Ein­satz für solche Einsätze zur Verfügung stellen, wahrgenommen und um ein Zeugnis ihrer "diakonischen" Arbeit an­gefragt werden.

13 Menschen bereiten sich vor, um langfristig und planvoll an gewaltfreien Lösungen in gesellschaftlichen Kon­fliktfeldern mitzuarbeiten. Kann man Friedensarbeit "lernen"? Die ersten Rückmeldungen aus der "Praxis" sind ermutigend: "Gerade in schwierigen Situationen, in Konflikten, ist mir der Aufbaukurs plötzlich präsent, gibt mir das, was wir in der Gruppe trainiert ha­ben, Hilfestellung und Orientierung", so Rainer Stiehl-Dimpker, gerade von ei­nem ersten Besuch in Omis/Kroatien, seinem zukünftigen Einsatzort, zurück­gekehrt.

Nähere Informationen zum "Auf­bau­kurs 1996" beim Oekumenischen Dienst im konziliaren Prozeß e.V., Wethen - Diemelstr. 3, 34474 Die­melstadt, Tel.: 05694/8033, Fax: 05694/8097

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Christopher Diringer ist Theologe und Pädagoge. Er arbeitet als Bildungsrefe-rent beim OeD und hat als Mitglied des Leitungsteams die Kurse begleitet.