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Kohls Großer Zapfenstreich zu 40 Jahre Bundeswehr:
Schulterschluss mit Armee verweigern!
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Wie eine Dampfwalze fährt Kohl voran. Diesmal stand die Rückeroberung der Hofgartenwiese - symbolträchtiges Terrain der Friedensbewegung in den 80er Jahren, 1991 bei der Demonstration gegen den Golfkrieg sowie 1992 bei der Demonstration gegen das Asyl-Unrecht - auf seiner Tagesordnung. Mit dem preußischen Ritual des Großen Zapfenstreiches, mit Fackeln, Uniformen und Helm ab zum Gebet wurde die Wiese militärisch besetzt. Ganz Bonn war zu diesem Zwecke in ein Polizei-Heerlager verwandelt. Doch so ganz ist Kohls Streich nun wiederum nicht gelungen.
Zapfenstreich-Tradition
Was man historisch von der Zapfenstreichzeremonie zu halten hat, die von König Friedrich Wilhelm III im Jahr 1813 per Kabinettsordre für das preußische Heer eingeführt wurde, kann man z.B. in der Bundeswehr-nahen Veröffentlichung des Verlages Mittler & Sohn "Symbole und Zeremoniell in deutschen Streitkräften" von 1984 nachlesen. Dort heißt es: "Durch die Verbindung von feierlichem militärischem Gepränge mit einem Choral und vaterländischen Musikstücken wurde der Große Zapfenstreich in den zwanziger und dreißiger Jahren zum feierlichen Höhepunkt vieler Großkundgebungen. Nach der Standortdienstvorschrift von 1939 war seine Aufführung 'grundsätzlich der Wehrmacht allein vorbehalten (einzige Ausnahme bildet die SS-Verfügungstruppe', Vorläuferin der Waffen-SS, d. Red.)". ...
Man muß kein Feind der Bundeswehr sein, um gegen solch eine Traditionspflege zu protestieren.
Wie schon zuvor in Erfurt war der Protest gegen das überkommene Ritual deutlich vernehmbar, beim ökumenischen Friedensgottesdienst, der Kundgebung auf dem Kaiserplatz und rund um den Hofgarten.
Kohl und die Bundeswehr hatten sich ein ehrfürchtiges Publikum gewünscht, das in Dankbarkeit für 40 Jahre Frieden und die künftigen schweren Aufgaben der "Armee unserer Söhne" (Kohl) andächtig dem Choral "Ich bete an die Macht der Liebe" lauscht. Für dieses Szenario war es für den Rektor der Universität, die sich sonst wegen der Störung des Lehrbetriebes vehement gegen Demonstrationen wehrt, kein Problem, die Hofgartenwiese zur Verfügung zu stellen und dutzende Lehrveranstaltungen ausfallen zu lassen.
Als erster Protest und die Planungen zur Gegenkundgebung von Friedensgruppen bekannt wurden, leisteten sich Bundes- und Lokalpolitiker von CDU und FDP eine mit harten Bandagen geführte, diffamierende Diskussion gegen Zapfenstreich-GegnerInnen, die ahnen läßt, wie mit kritischen Stimmen in Kriegssituationen umgegangen werden wird. Bis zuletzt drängte das Kanzleramt die Polizeiführung, die schon bestätigte einstündige Kundgebung des Friedensbüros auf dem benachbarten Kaiserplatz ohne jede Rechtsgrundlage doch noch zu verbieten. In Berlin sei schließlich beim Abschied der Alliierten auch eine 2 Quadratkilometer große demonstrationsfreie Zone möglich gewesen. Auch der umzugsgebeutelten Stadt Bonn drohte Kanzleramtsminister Bohl unverhohlen mit dem Berlin-Hammer, der Verbleib des Verteidigungsministeriums in Bonn wurde infrage gestellt. Der Bundeswehrverband hatte bereits massiv mit seinem Umzug nach Berlin gedroht. Dorn im Auge der Regierung war der Auftritt der bündnisgrünen Bürgermeisterin Dorothee Paß-Weingartz auf der Gegenkundgebung. Die SPD-Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann hatte ihre Stellvertreterin zwar gebeten, dort nur als Privatperson zu sprechen und ihre eigene Teilnahme beim Zapfenstreich zugesagt, für Kanzler und Bundeswehr war aber ein "eindeutiges Bekenntnis der Stadt Bonn zur Bundeswehr" gefordert. Von den Repräsentanten der SPD (Scharping hatte aus Termingründen abgesagt) werde erwartet, "daß sie sich nicht über den Hofgarten schleppen", sondern in Mimik und Gestik ihre Verbundenheit zur Armee erkennen ließen. So zog denn auch der SPD-Bezirksvorsteher von Bonn Innenstadt den Zorn der Bonner CDU und des FDP-Generalsekretärs Westerwelle auf sich, weil er in einer Pressekonferenz des Friedensbüros seine Kritik am Zapfenstreich-Ritual wiederholte. Im Pressekrieg mit dem Friedensbüro vor dem Showdown bewies das Kanzleramt wenig Humor. Die angekündigten Beifallsrufe "Bonn Alaaf!" würden als "massive Störungen" der Feierlichkeiten empfunden, erklärte Friedhelm Bohl ernsthaft empört.
Die Feierlichkeiten haben gezeigt, wie nötig und berechtigt Kritik und Protest dagegen waren. Die Äußerungen des Kanzlers vom Wehrdienst als Normalität und vom "zunehmenden Missbrauch" des Rechts auf Verweigerung, seine Darstellung des soldatischen Dienstes als "Bürgerpflicht" bestätigen die Warnungen aus der Friedensbewegung vor einer Militarisierung der Gesellschaft. Die demokratische Gesellschaft muß die Grundwerte der Verfassung gegen Politiker aus der Regierungsfraktion schützen, die jetzt gar beginnen, Verletzungen der "Ehre der Soldaten" als "Volksverhetzung" unter Strafe stellen zu wollen.
Auch Militärbischof Dyba hatte in der Kreuzkirche vor einem allgemeinen "Syndrom der Verweigerung" gewarnt und "militanten Undank" einzelner Gruppen gegenüber der Bundeswehr" kritisiert. Der kritische Geist, der vielleicht auch noch bei einigen Soldaten geweckt werden könnte, soll mit Weihrauch zugekleistert werden. Thron und Altar - wie immer vereint - als ob wir noch im Mittelalter lebten.
Die übernervöse und ruppige Polizei präsentierte sich in einem der aufwendigsten Einsätze der letzten Jahre als "Büttel der Nation" für Kohls Demonstration der Macht und muß sich wegen des Bruchs von Zusagen, einiger Übergriffe und einer über einstündigen Einkesselung von DemonstratInnen noch viele Fragen und einen Prozess beim Verwaltungsgericht gefallen lassen. Auch das im ersten Anlauf gescheiterte Verbotsverfahren gegen das durch die Verbindung von Militär und Religion gegen die religiöse Neutralitätspflicht des Staates (siehe Kruzifix-Urteil) verstoßende Ritual wird fortgesetzt.
Der Zapfenstreich ist vorbei - die Auseinandersetzung um das neue Konzept einer militarisierten Außenpolitik unter dem verschleiernden Stichwort "weltweit Verantwortung wahrnehmen" wird weitergehen. Entlarvung der herrschaftlichen Vernebelungssprache und konstruktive Arbeit an alternativen Konzepten ziviler Konfliktlösung sind deshalb zentrale Aufgaben für die Friedensbewegung heute. Von den Kosten des aufgeführten Spektakels des Tages - allein der Polizeieinsatz schlägt mit 4 Millionen DM zu Buche - hätte man sicherlich die ersten zwei Jahre der Gründungsphase eines Projektes "Ziviler Friedensdienst für gewaltfreie Konfliktlösung" finanzieren können.
M a t e r i a l
- Pressespiegel der Geschenisse, Reden der Gegenkundgebung, Hintergrundmaterial Zapfenstreich: 5,- DM
- Reden der Militärbischöfe: 2,- DM (in Briefmarken)