Schutz und Anerkennung der Deserteure

von Mirko Schwärzel
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In Buchenwald wurden Wehrmachtsdeserteure zum ersten Mal in einem deutschen Konzentrationslager öffentlich geehrt. Mit Blick auf den Krieg im Kosovo wurde dabei auch die Forderung nach Asylrecht für Deserteure und Kriegsdienstverweigerer unterstrichen.

15 Mai 1999, Internationaler Tag der Kriegsdienstverweigerer. Der Münchener Publizist Heribert Prantl spricht vor den knapp 80 Teilnehmern der Gedenkfeier für Wehrmachtsdeserteure in der Gedenkstätte Buchenwald: "Deserteure stehen hoch im Kurs - " sagt er, "aber nur, wenn sie aus der richtigen Armee desertieren." Zur gleichen Zeit veröffentlichen NATO-Offizielle aufregende Zahlen über Deserteure der serbischen Armee als Erfolg und Bestätigung ihrer Strategie. "Mit der Anerkennung der Deserteure ist es wie mit der Abrüstung: Jeder Politiker ist dafür - aber nur, wenn es sich um den Feind handelt."

Zehntausende Kriegsdienstverweigerer und Deserteure wurden während des Zweiten Weltkrieges in Deutschland zum Tode verurteilt; über ein halbes Jahrhundert liegt dies nun zurück. Ein halbes Jahrhundert, in dem die überlebenden Verurteilten Diffamierungen ausgesetzt waren und als Verräter und Feiglinge beschimpft wurden. Ein halbes Jahrhundert, in dem diejenigen, die sich einem verbrecherischen Angriffskrieg widersetzten, in Deutschland selbst als Verbrecher galten. Erst im letzten Jahr hat der Deutsche Bundestag sie rehabilitiert, zudem noch unbefriedigend. Und erst während der letzten Jahre würdigten eine Reihe von Veranstaltungen diese aktiven Kriegsgegner.
 

Die Gedenkfeier für Deserteure in Buchenwald ist heute glücklicherweise eine von vielen. Die große Anzahl der Solidaritätserklärungen und Grußworte, die die Gedenkfeier erreichten, erfreut. Das Meer von fast 40 Kranzschleifen, die von verschiedenen Organisationen der Friedensbewegung und Einzelpersonen gestiftet wurden, beeindruckt. "Mit tiefem Respekt", "In solidarischer Verbundenheit", "In ehrendem Gedenken" steht auf den Schleifen, und MdB Konrad Gilges dankt den Deserteuren für ihren politischen Mut.

Doch vermag all dies heute, als Symbol des Zuspruchs und der Unterstützung, die Realität der letzten 50 Jahre als Geschichte erscheinen lassen, vielleicht sogar Trost zu bieten für die Männer, die ein Leben voller Demütigung hinter sich haben? Heribert Prantl warnt: "Zum Teil ist sie noch immer Realität. Der Lobpreis für die, die sich Hitler verweigert haben, erschöpft sich heute noch oft genug auf die Gedenkreden und die einschlägigen Gedenktage."

Es bleibt das Dilemma der Deserteure: Für die Politik sind sie entweder nützlich oder Verbrecher. Die Veranstaltung in Buchenwald hat mit der Forderung "Schutz und Anerkennung für Deserteure" bewusst einen größeren Rahmen gewählt: Die politischen, rechtlichen und persönlichen Hintergründe der Desertion in Geschichte und Gegenwart, die Diskussion um die Anerkennung des Menschenrechts auf Kriegsdienstverweigerung und des Rechts auf Asyl für Deserteure sollten im Zusammenhang ins öffentliche Bewusstsein gerufen werden.

Aus der historischen Erfahrung der Leidenswege der Wehrmachtsdeserteure während und nach dem Krieg heraus zeigt sich die Notwendigkeit für Schutz der Deserteure insgesamt. Und neben dieser Notwendigkeit steht auch die Unteilbarkeit der Anerkennung und des Schutzes für Deserteure. Es hat sich eindrücklich bei der Behandlung der Deserteure der jugoslawischen Armee durch die NATO-Alliierten im Kosovokrieg bestätigt: Solange die westeuropäischen Staaten die Deserteure als anonyme Zahl des Widerstandes und somit als ihren eigenen Erfolg und als Selbstbestätigung hinstellen konnten, solange wurden sie gelobt,und anerkannt. Asyl und Schutz in Westeuropa fanden sie trotzdem nicht. Anerkennung ohne Schutz reicht nicht aus.

"Wir fordern daher, asylsuchende Deserteure und Kriegsdienstverweigerer nicht länger abzuschieben. Kriegsdienstverweigerung und Desertion muss europaweit als Asylgrund anerkannt werden. Darüber hinaus muss sich die internationale Staatengemeinschaft für eine verbindliche Anerkennung und freiheitliche Ausgestaltung des Menschenrechts auf Kriegsdienstverweigerung einsetzen", heißt es in der Abschlusserklärung der Seminarveranstaltung am 14. Mai in Buchenwald, die am Vortag der Gedenkfeier stattfand.

"Die einzigen, die wirklich den `Tod fürs Vaterland` gestorben sind, waren wohl die (...), die sich gegen verbrecherische Befehle aufgelehnt haben. Ihnen gilt es, Denkmäler zu setzen." So legte Heribert Prantl zusammenfassend den Antrieb für dieses Gedenken dar. Dabei erscheint der Wermutstropfen dieser Gedenkfeier als bitterer Beigeschmack: Die ursprünglich geplante Enthüllung eines Gedenksteins fand auf dieser Veranstaltung noch nicht statt und wird zum Frühjahr 2000 nachgeholt; die Nachforschungen konnten bis zum Zeitpunkt der Feierlichkeiten noch nicht ausreichende Ergebnisse vorweisen, um einen Text entwerfen zu können, der sowohl für die Betroffenen und Initiatoren angemessen und ausdrucksstark genug, für das wissenschaftliche Kuratorium der Gedenkstätte wissenschaftlich und historisch fundiert genug sein würde.
 

Die Veranstaltung "Schutz und Anerkennung der Deserteure" wurde am 15. Mai 1999 in der Gedenkstätte Buchenwald organisiert vom Europäischen Büro für Kriegsdienstverweigerung (EBCO) in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung und der Evangelischen Erwachsenenbildung Thüringen.

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Mirko Schwärzel ist Vorstandsmitglied von EBCO.