Serbien geht die Lebenskraft aus

von Dusan Reljic
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Es ist die Art und Weise, wie man in Milosevics Serbien zu Tode kommen kann, die die Lebenssituation der Menschen in diesem Land deutlich vor Augen führt.

So sagt die Ermordung des notorischen Freischärlers Arkan einiges über die nahtlose Verflechtung zwischen Staat und Kriminalität aus. Der auch den internationalen Medien wohlbekannte (Kriegs-)Verbrecher wurde Mitte Januar in einem Belgrader Nobelhotel mit zwei weiteren Männern bei einem Attentat erschossen. Einer der Getöteten, mit dem sich Arkan gerade unterhielt, war Agent der Bundespolizei, so die Zeitungen. Der Mörder wiederum war, nach Presseberichten, früher nicht nur selbst Mitglied von Arkans paramilitärischer Bande, er scheint ebenfalls bei der Bundespolizei beschäftigt gewesen zu sein.

Über die hoffnungslose Lage der so genannten einfachen Menschen vermag der Tod der Schwester meiner Mutter wenige Tage nach Neujahr etwas auszusagen. Als der Herzinfarkt am Abend einsetzte, rief ihr Mann die Erste Hilfe an. Der Arzt kam, trotz wiederholter Anrufe bei der Einsatzzentrale, etwa zwei Stunden später. Weder gibt es in Belgrad genug Rettungswagen noch ist ausreichend Treibstoff für sie vorhanden.

Auf der Intensivstation des städtischen Krankenhauses war zuerst kein Bett frei. Dann wurde der Familie eine Liste von dringend benötigten Medikamenten ausgehändigt, über die das Krankenhaus nicht verfügte. Als die Verwandten am nächsten Morgen mit den privat besorgten Arzneien eintrafen, konnten sie nur noch sehen, wie sich, so sagt man in Serbien, die Seele meiner Tante vom Leben trennte.

Das tägliche Leiden der Schwächsten unter den Schwachen in Serbien lässt sich am Tod zweier kleiner Flüchtlingskinder darstellen. In den Zeitungen wurde notiert: An einem der Feiertage wurde den Kleinen unerträglich kalt in der Flüchtlingsherberge an Belgrads Peripherie. Draußen herrschte tiefer Frost und drinnen, in der Baracke aus Sperrholz und Karton, gab es keine Heizung.

Die Eltern waren ausgegangen, um etwas Essbares zu besorgen. Also machten sich die Kinder ein Feuer. Die Baracke ging in Flammen auf, die Kinder kamen darin um.

Drei Beispiele dafür, dass der Tod immer mehr zum Meister Serbiens wird. Es wird von einem sprunghaften Anstieg der Sterberate berichtet. Auf Bestattungen müssen die Angehörigen bis zu einer Woche warten. Serbien geht die Lebenskraft aus, die Menschen haben keine Hoffnungen mehr. Das monatliche Durchschnittseinkommen beträgt etwa 80 Mark und sinkt stetig. Das Land steckt in einem doppelten Würgegriff: Drinnen herrscht mit immer brutaler Gewalt Präsident Milosevic - nun schon seit zwölf Jahren. Von draußen drücken die westlichen Sanktionen immer stärker - seit acht Jahren.

Deutsche und andere EU-Diplomaten beteuern, dass es die US-Administration ist, die den Westeuropäern nicht erlaubt, wirtschaftliche und andere Strafmaßnahmen ernsthaft zu lockern. Offenbar glaubt man in diesem Fall an den dialektischen Materialismus: Quantität erzeuge eine neue Qualität. Im Klartext: Je mehr Leiden und Hoffnungslosigkeit, desto eher wird sich jemand in den Reihen des Regimes finden, der gegen Milosevic putscht. An einen friedlichen Machtwechsel und das demokratische Potenzial der serbischen Bevölkerung scheint im Ausland kaum jemand zu glauben.

Der Krieg der Nato gegen Serbien hat eigentlich nicht aufgehört, er wird nur mit anderen Mitteln fortgesetzt. Wie im Frühjahr, als die Bomben fielen, so wird die gesamte Bevölkerung nach wie vor kollektiv bestraft, und zwar dafür, dass sie nicht in der Lage ist, zwei Gegner auf einmal zu besiegen: das Regime und die westlichen Sanktionen. Nach so vielen Fehlschlägen sollte der Westen endlich seine Sanktionspolitik aufgeben. Er sollte stattdessen die Grundlagen für ein Leben in Demokratie in Serbien herstellen helfen und nicht weiter zu ihrer Zerstörung beitragen.

aus: Die Zeit vom 27.01.00

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