Repressionstechnologie und "nicht-tödliche"-Waffen - eine Grauzone des weltweiten Kleinwaffenhandels

"Sicherheitsausstatter"

von Mathias John
Schwerpunkt
Schwerpunkt

Ein ganz besonderes Segment des internationalen Rüstungsmarktes wird im Schatten des weltweiten Waffenhandels kaum öffentlich wahr­genommen. Sind es in Kriegen und Bürgerkriegen mittlerweile vor allem die klassischen Kleinwaffen, die häufig gegen die Zivilbevölkerung zum Einsatz kommen, so nutzen Militär, Polizei und sonstige "Sicherheits"kräfte im Alltag menschenrechtsverletzender Staaten nicht mehr allein hausgemachte Folterwerkzeuge. Zunehmend kommen Pro­dukte industrieller Fertigung zum Einsatz, gerne euphemistisch als "moderne Sicherheitstechnologie", "Nahverteidigungsmittel" oder "nicht-tödliche Waffen" bezeichnet. Ein Blick in die Kataloge oder Inter­net- Angebote einschlägiger "Sicherheitsausstatter" macht deutlich, um was es sich dabei handelt: Fesselwerkzeuge von der "Daumenfessel" bis hin zur Fußkette, Schlagstöcke und Totschläger in allen Variationen, viele Arten moderner Elektroschockwaffen und nicht zuletzt Tränengas und Plastikmunition. Und gerade das Interesse unter anderem der USA (z.B. mit dem "Joint Non-Lethal Weapons Program" des Pentagon) an Erforschung und Entwicklung "nicht-tödlicher" Waffen zeigt, dass die Bedeutung solcher Rüstung zukünftig noch zunehmen wird.

Berichte von Menschenrechtsorganisa­tionen dokumentieren Jahr für Jahr, wie schon jetzt mit solchen "nicht-tödli­chen" Waffen gegen öffentliche Mei­nungsäußerungen und Proteste vorge­gangen wird - friedliche Demonstratio­nen werden mit Knüppeln, Plastikge­schossen oder Tränengas ohne Rück­sicht auf Leben oder Gesundheit zer­schlagen. Die Misshandlungen setzen sich vielfach in der Haft weiter fort, Folter ist in vielen Staaten immer noch an der Tagesordnung. Seit Anfang der 90er Jahre werden dabei zunehmend "moderne" Elektroschockwaffen einge­setzt, Folterer scheinen diese vor allem zu bevorzugen, weil sie weniger blei­bende Spuren bei den Opfern hinterlas­sen. Nach einem Bericht aus dem ehe­maligen Zaire wurde ein Gefangener zunächst mit Knüppeln geschlagen, bis ein Offizier dies verbot: "Das wird Nar­ben hinterlassen, und dann werden wir Beschwerden von amnesty international erhalten". Stattdessen befahl er die Verwendung eines Elektroschockers.

Immer wieder behauptet die Werbung der Waffenhändler, Elektroschocker seien bei "ordnungsgemäßer" Anwen­dung "medizinisch sicher" und "nicht tödlich". Dabei stellte eine Untersu­chung aus dem britischen Innenministe­rium 1990 für Geräte mit einer relativ niedrigen Spannung hohe Risiken von Lähmungserscheinungen bis hin zu le­bensgefährdenden Auswirkungen fest. Bei den immer höheren Spannungswer­ten der Elektroschocker - Geräte in den 80er Jahren wiesen häufig nicht mehr als 10.000 Volt auf, heute werden sie von 50.000 bis 250.000 Volt angeboten - sind die Gefahren heute sicher noch höher einzustufen.

Der Einsatz von Elektroschockern bleibt aber nicht auf Folter in Haft beschränkt, immer mehr Polizeikräfte oder private "Sicherheits"dienste werden mit Elek­troschockwaffen zum Einsatz auf der Straße ausgerüstet. So lösten in Süd­afrika 1996 private Sicherheitsleute mit Elektroschockwaffen bei einer Men­schenmenge eine panische Massenflucht aus, bei der etwa 16 Personen starben. Einige Polizeieinheiten in den USA sind mit "Taser"-Elektroschockwaffen aus­gestattet, deren Einsatz schon schwer­wiegende Verletzungen und Todesfälle verursacht hat. "Taser" sind Schussappa­rate, mit denen kleine Metallpfeile an Leitungsdrähten verschossen werden, um dem Opfer dann über größere Di­stanz Elektroschocks von 40.000 bis 50.000 Volt zu versetzen.

Zum gewaltsamen Einsatz gegen Men­schenmengen setzen "Sicherheits"kräfte auch Tränengas in unverhältnismäßiger Weise z.B. direkt in Gebäuden ein, was die Gefahr schwerwiegender Verletzun­gen bis hin zu Todesfällen erhöht. Eine Vielzahl von Berichte liegt über die tödlichen Gefahren der angeblich "nicht-tödlichen" Plastikgeschosse vor, so forderte amnesty international erst kürzlich Untersuchungen zum offen­sichtlich wahllosen Einsatz solcher Mu­nition gegen die Demonstrationen an­lässlich der WTO-Tagung in Seattle im Winter 1999.

Es ist zu befürchten, dass die bekannt­gewordenen Übergriffe nur die sichtbare Spitze des Eisberges sind. Lässt sich die Spur der Ausrüstung einmal zurück in das Herkunftsland verfolgen, wie 1997 in Kenia eingesetzte Tränengasgranaten und Plastikgeschosse aus Großbritan­nien, offenbart sich später das Defizit europäischer Rüstungsexportkontrollen insbesondere in diesem Rüstungsbe­reich: Nachdem die britische Regierung keine Tränengasexporte nach Kenia mehr zulässt, unterläuft die kenianische Regierung offensichtlich dieses Verbot - 1999 fand amnesty international nach einem Einsatz der kenianischen Polizei gegen DemonstrantInnen Tränengasgra­naten eines französischen Herstellers!

Häufig haben klassische Kleinwaffen und die hier beschriebene Repressions­technologie die gleichen Lieferanten - in vielen Fällen werden sie aus den großen Waffenexportländern an die menschen­rechtsverletzenden Staaten, in die Kriegs- und Krisengebiete geliefert. Der Verbreitung von "nicht-tödlichen" Waf­fen und Unterdrückungstechnologie dienen unter anderem Rüstungsmessen oder sogenannte "Fachmessen für Si­cherheit", auf denen dem interessierten "Fachpublikum" auch die ganze Palette von Elektroschockern und anderer "Sicherheits"technologie angeboten wird. Auch in Deutschland finden sol­che Messen statt, sie richten sich u.a. explizit an ausländisches Publikum - so warb eine solche Messe damit, dass 1996 "22 Prozent aller Gäste sowohl aus dem europäischen Ausland wie auch aus Amerika, Asien, Afrika und Australien anreisten".

Die ganze Dimension von Produktion und Handel mit Repressionstechnologie und "nicht-tödlichen" Waffen bleibt in der Grauzone fehlender gesetzlicher Kontrollen, mangelnder Transparenz und weitgehender Geheimhaltung auf der Seite der Staaten und Firmen ver­borgen - ähnlich wie auch im Bereich der klassischen Kleinwaffen. Nur in wenigen Staaten werden z. B. Elek­troschocker als verbotene Waffen be­handelt. So hat beispielsweise Deutsch­land erst 1997 eine Genehmigungs­pflicht für den Export von Elek­troschockern eingeführt - nachdem amnesty international dies über lange Zeit immer wieder angemahnt hatte. Angesichts fehlender Regelungen in vielen anderen Staaten bleiben jedoch vielfältige Schlupflöcher offen.

Ein erstes Ziel für die Zukunft muss da­her sein, das internationale Netzwerk von Produzenten und Anbietern von Repressionstechnologie mit ihren viel­fältigen Verknüpfungen bis hin zu Be­teiligungen, Lizenzen und Koproduktio­nen sowie ihre Beziehungen in die "Sicherheits"apparate durchsichtiger zu machen.

Schließlich muss aber erreicht werden, dass der Handel mit und die Produktion von Folterwerkzeugen international un­terbunden wird und dass diese Verbote effizient überwacht werden. Ein Weg dahin könnte sein, Repressionstechno­logien, "nicht-tödliche" Waffen und ent­sprechende Munition explizit in die in­ternationalen Aktivitäten zur Kontrolle von klassischen Kleinwaffen einzube­ziehen.

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt
Mathias John arbeitet seit mehr als 30 Jahren ehrenamtlich bei Amnesty International zu den Themen Rüstungstransfers und Menschenrechte sowie Wirtschaft und Menschenrechte.