Sicherheitspolitischer Ladenhüter

von Gregor Witt

Ein Jahr lang brüteten 27 Experten in einer "Unabhängigen Kommission für die künftigen Aufgaben der Bundeswehr". Seit Anfang September liegen Abschlussbericht und Emp­fehlungen vor. Die öffentliche Reso­nanz war dem Anlaß an­gemessen: Kaum jemand interessierte sich für die 36 Seiten lange Liste sicherheitspolitischer Ladenhüter.

Dabei stand die vom Bundestag einberu­fene Kommission im Auftrag, Alternati­ven aufzuzeigen. Doch trotz der Mitar­beit von acht ProfessorInnen be­schränkten sich die Experten fast voll­ständig auf das Wiederkauen regie­rungsamtlicher Positionen. Veränderte Rahmenbedingungen wie die Zerfallser­scheinungen osteuropäischer Staaten thematisierte die Kommission, reflek­tierte sie aber kaum. Denn dazu reicht die Feststellung nicht, das militärische Instrument werde angesichts des politi­schen Umbruchs in Europa an Bedeu­tung verlieren, wenn an der NATO grundsätzlich festgehalten werden soll.

Einzig in der Frage, welche Wehrform für die deutschen Streitkräfte sinnvoll seien, wagt sich die Kommission etwas hervor. Mit Blick auf Großbritannien (Berufsarmee) und die Schweiz (Miliz) entdeckt sie, daß die allgemeine Wehr­pflicht nicht die einzige sei, die einer Demokratie angemessen sei. Jedoch le­gen sich die Experten lieber nicht fest, wie die Armee zukünftig ihre Soldaten rekrutieren soll. Das soll der Debatte über die "Streitkräfte 2010" vorbehalten bleiben.

Ansonsten finden sich die interessante­sten "alternativen" Ansätze in abwei­chenden Stellungnahmen als Fußnoten. So widersprechen drei Kommissions­mitglieder - Ex-DGB-Vorsitzender Breit sowie die Professoren Gasteyger und Tomuschat - der mehrheitlichen An­nahme, Atomwaffen erfüllten eine "kriegsverhindernde" Aufgabe. Sie mei­nen, die These hätte einer "eingehenden Prüfung" bedurft.

Bedenklich schwachen Widerspruch fand der Versuch der Kommissions­mehrheit, Parteien, öffentliches Bil­dungswesen, Medien und gesellschaftli­che Einrichtungen darauf einzu­schwören, es "entschiedener und muti­ger als früher" als ihre Aufgabe anzuse­hen, über Armee und Bündnis zu informieren. Einzig "Zeit"-Journalist Chri­stoph Bertram begehrte dagegen mit den Worten auf: "Es ist nicht Aufgabe der Medien, in ihrer Berichterstattung die Landesverteidigung besonders hervorzuheben."

Weder seine Kollegen Lothar Rühl von "Die Welt" und Walther Stützle vom "Tagesspiegel" noch Gewerkschafter wie Ernst Breit (DGB) und Herbert Nierhaus von der Deutschen Angestelltengewerkschaft oder Kirchenmenschen wie Pfarrer Werner Lichtwark (Ev. Kir­che) und Klaus Sieber (Bischöfliches Ordinariat) hatten gegen die Inpflicht­nahme ihrer Einrichtungen für militäri­sche Zwecke Probleme.

Der Grundfehler der Kommissionsarbeit ist im Entschließungsantrag der Regie­rungsparteien zu finden. Er beauftragte die Experten, die neue Bundeswehrpla­nung zum Ausgangspunkt ihrer Überle­gungen zu machen. Wenn dann noch der Verteidigungsminister der Bundesregie­rung die Vorschläge zur Besetzung des Gremiums liefert, war das Ergebnis vorhersehbar. Auf dem Hintergrund sind ernstzunehmende Alternativen nicht zu erwarten. Dazu hätten zumindest einige Vertreter abweichender Meinungen in die Kommission gehört. Doch glaubt die Parlamentsmehrheit offenbar, die Sinn­krise der Bundeswehr ließe sich durch eifrige Sympathiebekundungen "bewältigen". Das ist falsch. Deshalb hätte man den Experten ihre Arbeit und den Steuerzahlern die Kosten ersparen sollen!

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