Sie sterben an unserem Geld

von Susan George

Das Militärmodell: Kanonen statt Butter

Einige Länder haben enorme Schuldenberge aufgetürmt, um Spielzeug für ihre Generäle zu kaufen. Die über Kredite finanzierte Militarisierung hat mittlerweile ein solches Ausmaß angenommen, daß das renommierte Institut für internationale Friedensforschung in Stockholm (SIPRI) in seinem Jahrbuch 1985 diesem Phänomen ein eigenes Kapitel gewidmet hat. Ausgehend von der Frage:„Wie hoch wäre die Auslandsverschuldung ohne Rüstungskäufe?" versucht das Institut die Beziehungen zwischen den Waffenarsenalen und der Hochfinanz aufzuklären.

Militärausgaben für den "Nationalen Sicherheitsstaat" untermauern und schützen das Fehlentwicklungsmodell. SIPRI gelangt zu dem Schluß, daß 20 Prozent aller Schulden der Dritten Welt (ohne die OPEC-Staaten) unmittelbar mit Rüstungskäufen zusammenhängen. Die wohlhabenderen Erdölförderländer des Nahen Ostens haben sich allesamt mit AWAC-Systemen und anderen kostspieligen Waffensystemen eingedeckt. Die wirtschaftlichen Einschränkungen im Zuge der Umschuldungen haben zwar insbesondere seit 1982 einige Streichungen notwendig gemacht, aber selbst dort, wo die Militärausgaben real zurückgegangen sind, ist der Anteil der Rüstungsausgaben am Gesamtbudget der Länder der Dritten Welt fast überall konstant geblieben oder sogar weiter angestiegen.[1]

Man sollte meinen, daß in hoch verschuldeten Ländern bei Sparprogrammen zuallererst die Militärausgaben beschnitten werden müßten, vor allem, wenn ein großer Teil der Bevölkerung Hunger und Not leidet. Man sollte auch annehmen, daß jene westlichen Institutionen, die dazu die Macht haben, auf solchen Kürzungen bestehen. Doch das ist leider nicht der Fall. Der IWF fordert von seinen Zöglingen fortwährend drastische Einsparungen im zivilen Sektor, ohne die Militärausgaben anzutasten. Spricht man Vertreter des IWF auf diesen Umstand an, so zucken sie zusammen und erklären gequält, solche Maßnahmen seien „eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten souveräner Nationen" (genau das, was der IWF von morgens bis abends tut).[2]

Es sind gerade die ärmsten Länder Afrikas, vor allem jene mit den höchsten Schuldendiensten, die am meisten für die nationale Sicherheit ausgeben. Äthiopien, das seit Jahren in seinen nördlichen Provinzen (Eritrea und Tigray) einen Krieg gegen die dortigen Befreiungsbewegungen führt, steht am untersten Ende der Liste aller armen afrikanischen Länder. Sein Bruttosozialprodukt liegt bei 4,3 Milliarden Dollar, das macht rund 110 Dollar pro Kopf. Nach Angaben der Weltbank ist dies das niedrigste BSP pro Kopf in der Welt überhaupt. Das hindert die äthiopische Regierung jedoch nicht daran, pro Einwohner und Jahr 13 Dollar für das Militär auszugeben - gegenüber lediglich sieben Dollar für Gesundheitswesen und Erziehung zusammen. Die jährliche Militärausgaben pro Kopf der Bevölkerung betragen im Sudan 15, in Tansania 16, in Kenia 17, in Somalia 20 und in Zimbabwe die erkleckliche Summe von 55 Dollar (um der Drohung Südafrika begegnen zu können). Die Verschuldung dieser Länder schwankt zwischen 1,5 und vier Milliarden Dollar, die des Sudan beläuft sich sogar auf elf Milliarden.[3](…)

Paradoxerweise bezahlen einige Großschuldner wie Brasilien oder Ägypten, deren übermäßige Waffenkäufe sie überhaupt erst in finanzielle Bedrängnis gebracht hatten, einen Teil ihrer Zinsen heute aus dem Waffenexport. Brasiliens Einkünfte aus seinen Waffenexporten "ohne unnötige Fragen" werden für 1984 auf 3,5 Milliarden Dollar geschätzt.4 Ägypten zählt inzwischen zu den größten Waffenlieferanten und hat sich auf Abnehmerländer des Nahen Ostens wie den Irak spezialisiert, dem es die Munition für den endlosen Golfkrieg liefert.

US-Militarisierung und die Verschuldung der Dritten Welt

Es sind nicht aber nur die eigenen Rüstungskäufe, die die Länder der Dritten Welt in die Verschuldung getrieben haben. Auf eine verwickelte Weise verschärft auch das Militärbudget der USA die Schuldenkrise im Ausland.

Die Verteidigungsausgaben der USA zwingen die übrige Welt in ein tödliches Spiel, bei dem jeder nur verlieren kann (mit Ausnahme der eingeschworenen Feinde der USA). Der Spielstand zu Beginn der achtziger Jahre war folgender: Die Vereinigten Staaten hatten mehr Geld als jeder andere Mitspieler (1981: 140 Milliarden Dollar Auslandsvermögen). Das Land verpraßte seither weit mehr Geld als es einnahm, in der Hauptsache für Rüstungsgüter, deren Käufe fast ein Drittel des Staatshaushalts ausmachten. Die Folge davon war ein seit langem absehbares Loch in der Staatskasse.

1986 hatten die USA nicht nur ihre ursprünglichen Auslandsguthaben und - beteiligungen durchgebracht, sondern darüber hinaus selbst über 250 Milliarden Dollar im Ausland geliehen; damit hatte die nordamerikanische Auslandsverschuldung eine Höhe erreicht, vor der die Schulden Lateinamerikas lächerlich gering erscheinen. Dieser Betrag von 250 Milliarden Dollar bezieht sich jedoch lediglich auf die Auslandsschulden - 1986 schuldete die US-Regierung den Inhabern von US-Schatzanweisungen weitere 1750 Milliarden Dollar, so daß die gesamte Staatsverschuldung tatsächlich zwei Billionen Dollar betrug. Die meisten Experten sind sich darin einig, daß die USA weitere Schulden machen müssen und daß ihre Auslandsschulden zu Beginn der neunziger Jahre bei einer glatten Billion Dollar liegen werden. Zu diesem Zeitpunkt werden die USA voraussichtlich über 215 Milliarden Dollar an ihre Gläubiger im Ausland zahlen müssen - dank der „Magie des gemeinsamen Interesses", wie Keynes es einmal genannt hat. Wenn alles glatt verläuft. (...)

In Washington wie auf den Piers der West Side gilt: Je mehr man sich ausborgt, desto schneller explodieren die Zinsen, bis sie schließlich das Defizit allein am Leben erhalten. Für die übrigen Mitspieler - den Rest der Welt - besteht das Spiel darin, den USA die größte finanzielle Bluttransfusion der Geschichte zu spenden; und trotzdem bleibt die US-Wirtschaft anämisch. Bei einem gewöhnlichen Land - das nicht über das Privileg verfügt, die Leitwährung der Welt zu drucken - hätte dies Sanktionen zur Folge. Der Spieler müßte entweder seine Ausgaben kürzen oder die Steuern erhöhen oder wesentlich mehr Waren als bisher ans Ausland verkaufen. Am besten, er macht alles zusammen, oder er verliert sein letztes Hemd und ist aus dem Spiel.

Die USA hingegen tun nichts von alledem. Sie erhöhen ihre Ausgaben (wiederum in der Hauptsache für Rüstungsgüter); sie senken die Steuern, sie setzen weniger Güter im Ausland ab und importieren auch mehr als bisher. Selbst der einst glänzende Export von Agrarprodukten rutscht in die roten Zahlen. So hatten die Vereinigten Staaten 1986 sowohl ein riesiges Haushaltsdefizit (220 Milliarden Dollar) als auch ein enormes Handelsdefizit (140 Milliarden Dollar) aufzuweisen. Um beide Defizite zu finanzieren, müssen neue Kredite aufgenommen werden, und die Zinszahlungen steigen - was dazu führt, daß (wie Moynihan erläutert) der Staatshaushalt jeder parlamentarischen Kontrolle entgleitet. (...)

Um das Problem in den Griff zu bekommen, bleibt also nur noch eine Möglichkeit, die Kürzung der Ausgaben, und zwar sofort. In einer Situation, da die Zinszahlungen immer. weiter zunehmen und nicht gekürzt werden können, bleibt nur noch ein tiefer Schnitt in das Fett des Pentagon. Außer wir leisten uns den Luxus eines Zusammenbruchs der US - Wirtschaft und des internationalen Finanzsystems sowie der Vernichtung sämtlicher privater Sparguthaben.

Alternativen

Die Alternative zu diesem Szenario besteht darin, daß die US - Regierung die Notenpresse heißlaufen läßt. Da der Dollar die Leitwährung der Welt ist, kann die nordamerikanische Regierung - falls die Schulden zu groß werden und die Möglichkeit oder die Bereitschaft fehlt, mehr Güter und Dienstleistungen zu exportieren - jederzeit beschließen, ihre Gläubiger mit wertlosem Inflationsgeld zu bezahlen. Die USA ist das einzige Land der Erde, das diesen Ausweg aus der Schuldenmisere wählen könnte, selbstverständlich um den Preis einer erneuten globalen Inflation.

Da allein die Vereinigten Staaten dieses Vorrecht besitzen, da allein sie einseitig beschließen können, ihre Schulden mit dieser simplen, wenngleich brutalen Methode loszuwerden, müßte ihr Zustand beim IWF Heulen und Zähneknirschen auslösen und dessen Spezialtruppen schnellstens auf Trab bringen. Es ist die Aufgabe des IWF, "Ländern mit einer unausgeglichenen Zahlungsbilanz zu helfen" - mit anderen Worten, er vergibt Darlehen an Länder mit enormen Handelsdefiziten, aber nur, wenn sie sie einverstanden erklären, den Gürtel enger zu schnallen und ihre Wirtschaft den Forderungen des IWF zu unterwerfen.

Kein anderes Land hat so große Probleme mit der Zahlungsbilanz wie die USA. Wir dürfen also annehmen, daß der Fonds den USA ein maßgeschneidertes Sparprogramm vorlegt, das vor allem eine drastische Kürzung der Rüstungsausgaben vorsieht. Doch nein, da habe ich wohl einen Augenblick lang geträumt - der IWF ist schließlich ein Instrument des Fünferrats, eines Gremiums aus Vertretern von fünf westlichen Staaten unter der Führung der USA. Deshalb wird auch dem größten Schuldnerland der Erde, der größten Bedrohung des internationalen Finanzsystems kein Anpassungsprogramm aufgezwungen.

Dennoch haben die Rüstungsausgaben der USA einen unmittelbaren Einfluß auf die Höhe der von anderen Nationen zu zahlenden Zinsen. Der nordamerikanische Verteidigungshaushalt halst armen Ländern und deren Bevölkerung eine riesige und völlig ungerechtfertigte Steuerlast auf. Wie das? Will die US-Regierung zur Finanzierung ihres Defizits ausländisches Kapital anlocken, so muß sie dafür bezahlen. Wie wir gesehen haben, kommt dieses Defizit durch den Kauf von Rüstungsgütern zustande. Wenn die ausländischen Geldgeber, die den USA ihre Ersparnisse leihen, plötzlich kalte Füße bekommen und beschließen, ihre Einlagen in den USA zu kürzen oder ganz abzuziehen, könnten sie ein Austrocknen des Kapitalmarktes, vielleicht sogar eine Panik verursachen. Um sie bei Laune und ihr Geld im Lande zu halten, muß die US-Regierung mit einer attraktiven Belohnung, das heißt mit hohen Zinsen winken. Da der in den USA geltende Zinssatz praktisch überall auf der Welt maßgeblich ist, müssen die Länder der Dritten Welt für ihre Schulden nun Zinsen in einer Höhe bezahlen, von der vorher nie die Rede war.

aus: Susan George, Sie sterben an unserem Geld, S. 36 - 43

Copyright (c) 1988 by Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

 

1 Rita Tullberg: "Military related dept in non-oil developing countries", SIPRI Yearbook 1985, London u. Philadelphia, S. 445-455. dies.: "World Military Expenditure and Arms Production", ebd., S. 227f.

2 Dieses Argument wurde von Vertretern des IWF sowohl in Washington als auch in Paris vorgebracht. Nach den Grundsätzen des Fondes dürfen interviewte Mitarbeiter nicht namentlich genannt werden.

3 Angaben der Weltbank zum Bruttosozialprodukt,World Developement Report 1985; zu den Rüstungsausgaben vi;. Ruth Leger Sivard: World Military and Social Expenditures 1985, Tab. 3, S. 42f.

4 Defense & Technology, zit. n. Richard House: "Taking on the Big Guns", South, November 1985

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