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Soldaten am Hindukusch und das Grundgesetz
vonIn der deutschen Diskussion um Entscheidungsverfahren für bewaffnete Einsätze der Bundeswehr "out of area" kommt - unbeschadet einer Mandatierung durch den UNO-Sicherheitsrat - immer wieder die entscheidende Vorfrage zu kurz: nämlich die Frage, ob und wieweit solche Einsätze überhaupt verfassungsrechtlich zulässig sind. Dazu enthält auch der Koalitionsentwurf eines so genannten Entsendegesetzes keine Vorgaben.
Eine unmissverständliche Klärung hätte spätestens aus Anlass des Irak-Krieges nahe gelegen, doch ist damals die verfassungsrechtliche Beurteilung ganz hinter die politische Entscheidung zurückgetreten. Hier rächte sich, dass bereits die Selbstmandatierung der Nato im Kosovo nicht diskutiert worden ist. Statt klare verfassungsrechtliche Regelungen für Recht und Grenzen von Krisenreaktionseinsätzen zu schaffen, sind entgegenstehende Verfassungsnormen bis zur Bedeutungslosigkeit verdünnt worden, insbesondere die ungewöhnlich klare Vorschrift des Artikel 87 Absatz 2 im Grundgesetz: "Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, so weit das Grundgesetz es ausdrücklich zulässt." Doch genau dies wurde bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr nie überprüft.
Maßgeblich ist dabei nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts das Friedensgebot, wonach die grundsätzliche Zweckbestimmung von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne des Artikels 24 Absatz 2 des Grundgesetzes auf Friedenssicherung gerichtet sein muss. Obwohl aber das Friedensgebot im Grundgesetz sehr viel deutlicher zum Ausdruck kommt als etwa das Sozialstaatsgebot oder das Rechtsstaatsgebot, ist bisher versäumt worden, es ähnlich konkret herauszuarbeiten und anzuwenden wie die beiden anderen Gebote.
Vernachlässigt wurden vor allem die Folgerungen für die zivile Konfliktbearbeitung und deren Vorrang vor militärischer Gewaltanwendung. Ich halte es für unerträglich, dass für diese Aufgabe lediglich ein verschwindend geringer Teil der Mittel zur Verfügung steht, wie wir sie für das Militär aufwenden. Die Finanzierung der Friedensforschung ist sogar mehr und mehr eingeschränkt worden. Das ist umso weniger zu verantworten, als nach dem Ende der Ost-West-Spaltung die herkömmliche individuelle und kollektive Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe immer unwahrscheinlicher geworden ist, während die Krisenreaktionseinsätze zur Konfliktbearbeitung und Konfliktbewältigung an Bedeutung gewonnen haben.
Bereits in der Vergangenheit habe ich wiederholt beklagt, dass sich der militärische Sektor immer noch recht resistent verhält gegenüber verfassungsrechtlicher Durchdringung, obwohl hier das Schutzbedürfnis der Bürger und Völker gegenüber staatlichem Machtmissbrauch eher größer ist.
Inzwischen ist die Verfassung im militärischen Sektor immer stärker strapaziert worden. Es sei abermals daran erinnert, dass ursprünglich die Aufgabe der Bundeswehr in der Verteidigung gegen bewaffnete Angriffe und in der Kriegsverhütung durch Abschreckung gesehen wurde und dass dies als der "eindeutige und unmissverständliche Wille des Verfassungsgebers" galt (vergleiche die Entscheidungen des Bundesverfassungsge-richts 48, 127, 160).
Inzwischen geht es um die weltweite Beteiligung der Bundeswehr an militärischen Interventionen in Drittländern außerhalb der Verteidigung. Obwohl es sich dabei um tief greifende und außerordentlich folgenreiche Veränderungen handelt, ist diese erweiterte Aufgabe in der Öffentlichkeit weit weniger diskutiert worden als etwa die Nachrüstung. Diskutiert wird dazu im Anschluss an die insoweit verdienstvolle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lediglich, ob und inwieweit für solche Einsätze grundsätzlich die vorherige konstitutive Zustimmung des Bundestages erforderlich ist. Entscheidend bleibt aber die Grundfrage, ob und wieweit solche Einsätze verfassungsrechtlich überhaupt zulässig sind.
aus: Publik-Forum, Zeitung kritischer Christen, Oberursel, Ausgabe Nr. 2/2004.