SPD-Anhörung zu Blauhelmeinsätzen

von Martin Singe
Hintergrund
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Am 25.3.93 veranstaltete die SPD eine internationale Anhörung zur Pra­xis friedenserhaltender Maßnahmen der Vereinten Nationen. Die Reden der geladenen Experten werden sicher in Kürze in einer Dokumentation erhältlich sein. Ich möchte hier nur ein für mich "unter dem Strich" der gesamten Anhörung herausgekommenes Fazit benennen.

Die meisten Politiker und Militärs, die Blauhelmeinsätze durchgeführt oder be­fehligt hatten, betonten die Wichtigkeit der eindeutigen Abgrenzung von Blau­helmeinsätzen von weitergehenden mi­litärischen Durchsetzungsmaßnahmen. Dagegen vertraten eher Theoretiker, wie Dr. Kühne von der Stiftung Wissen­schaft und Politik, Ebenhausen, die Auf­fassung, daß zum bisherigen klassischen peace-keeping eine neue Form des "robusten" peace-keeping hinzukommen müsse, das auch militärische Durchset­zungsmaßnahmen in bestimmten Gren­zen umfasse.

So vertrat Botschafter Skogmo aus Oslo, Blauhelmkoordinator im Außen­ministerium,die Position, daß folgende Elemente zur Substanz von peace-keeping gehären müssen: Unparteilich­keit, Einverständnis der Konfliktpar­teien, höchstdenkbare Waffeneinsatz­stufe: Selbstverteidigung. Wenn keine klare Schwelle zu Durchsetzungsmaß­nahmen gezogen werde, sei die neutrale Mittlerfunktion der Einsätze dahin.

Interessant auch der Beitrag von Oberst Nielsen aus Dänemark, der ausführlich schilderte, wie er als Kommandeur der UN-Schutztruppe in Kroatien eine Ent­waffnungsaktion durchführte. Auch er betonte die absolute Neutralität als un­abdingbare Voraussetzung für das Ge­lingen der Aktion. Aufgrund einer sehr guten Ausbildung seiner Truppe wäre auch kein einziger Schuss abgegeben worden - und ein einziger Schuss sei immer schon Parteinahme.

Helmut Prieß vom Darmstädter Signal betonte ebenfalls in der Diskussion, daß die Gefahr bestehe, daß die unpartei­ische Schiedsrichterfunktion von Blau­helmeinsätzen immer weniger akzeptiert würde, je öfter solche Maßnahmen mit Durchsetzungsmaßnahmen gekoppelt würden.

Norbert Ropers von der Universität Duisburg plädierte angesichts eines weltweiten Konfliktpotentials durch 190 Staaten mit 3ooo bis 6ooo ethnischen Gruppen das peace-keeping auf mehr zivil-kreative Interventionsmöglihckei­ten hin zu öffnen statt auf mehr Gewalt­optionen. Als Basis für zivile Konflik­teinmischung nannte er folgende Ele­mente:

-     Stärkung von Minderheitenrechten

-     Schaffung föderaler Staatsstrukturen mit Autonomieregelungen

-     völkerrechtliche Anerkennung des Rechts auf Sezession unter bestimm­ten Bedingungen (z.B. Einvernehm­lichkeit)

-     Aufbau eines z.Zt. noch fehlenden zivilen Handlungs- und Sanktions­potentals, das einem KSZE-Netzwerk zur friedlichen Streitbeilegung zur Verfügung stehen müsste

-     Ausbau und Aufwertung bestehender Institutionen wie das Wiener Kon­fliktverhütungszentrum

-     Aufbau eines zivilen stand-by-Perso­nals für politische Mediation

-     Aufbau ziviler gesellschaftlicher Trä­ger für gewaltfreie Konfliktbearbei­tung, z.B. eine Stiftung für Konflikt­mediation.

Die SPD-Anhörung lieferte sicher kei­nen eindeutigen Konsens zu allen Fra­gen, aber es wurde doch deutlich, daß die bisherige klare Trennung von Blau­helmeinsätzen nach den historisch her­ausgebildeten Prinzipien von militäri­schen Durchsetzungsmaßnahmen fun­damental wichtig bleibt, wenn es in Zu­kunft noch Akzeptanz für solche Ein­sätze geben soll. Zugleich wurde in vielen Beiträgen deutlich, wie unterent­wickelt die gewaltfreien und zivilen Optionen und Handlungspotentiale bis­her auf politischer Ebene sind. Dieser Mangel muß auch von den Friedens­gruppen immer wieder eingeklagt wer­den. Dabei ist uns sicher bewusst, daß der Aufbau solcher Potentiale mit wirk­licher politischer Relevanz militärisch-politischen Interessen entgegensteht, die sich natürlich durch funktionierende gewaltfreie Konfliktäsungspotentiale bedroht und delegitimiert sähen. Für die SPD selbst war das Hearing sicher eine Stärkung für die Position derer, die le­diglich die klassischen Blauhelmfunk­tionen mitgetragen wissen wollen. Lei­der wurde gar nicht auf die Forderung etlicher Friedensgruppen eingegangen, die die Unterstellung von Blauhelm­kontingenten (nur für klassisches peace-keeping) direkt bei der UNO fordern, so daß solche Einsätze jeder nationalen Verfügungsgewalt und Interessensver­mischung enthoben wären.

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Martin Singe ist Redakteur des FriedensForums und aktiv im Sprecher*innenteam der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt".