Speerspitzen der Bundeswehr

von Gregor Witt
Hintergrund
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104 hauptamtliche Jugendoffiziere und 1.400 nebenamtliche Gehilfen sind der wichtigste Kontakt der Bundeswehr zur Jugend, den Pädago­gInnen und anderen Multiplikatoren der politischen Bildung. Nicht um­sonst sieht sie in ihnen ihre "Speerspitze der Öffentlichkeitsarbeit". Jetzt liegt der jüngste Bericht der Speerspitzen vor.

Erstmals behandelt der Jahresbericht der Jugendoffiziere die Erfahrungen im neuen östlichen Einsatzgebiet. Dort mußten sich die Öffentlichkeitsarbeiter von den "Offizieren für Wehrkunde und Nachwuchswerbung" der Nationalen Volksarmee abgrenzen. Ein Mittel dazu: Keiner der hauptamtlichen Jugendoffi­ziere kommt aus der Ex-NVA. Ob das reicht, die faktisch sehr ähnliche Aufga­benstellung zu vertuschen?

Die Vorbehalte gegenüber den Bundes­wehr-Jugendoffizieren sind dort wie in den alten Bundesländern vollauf be­rechtigt. Denn obwohl sie sich als in der "politischen Bildung" tätige Sicherheits­experten vorstellen, die keine Nach­wuchswerbung betreiben, ist ihre Funk­tion doch eindeutig: "Er nimmt Stellung zu militärischen und sicherheitspoliti­schen Grundsatzfragen im Sinne der Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland, verdeutlicht hauptsächlich der jungen Generation und dem künfti­gen Wehrpflichtigen den Sinn des Wehrdienstes und erläutert die Not­wendigkeit des persönlichen Beitrages jedes einzelnen Bürgers." (Anlage 2 des Jahresberichtes; Hervorhebung von mir, GW)

Wo ist da der Unterschied zu Werbung und Propaganda für Armee und Waf­fendienst? Richtig: für die eigentliche Nachwuchswerbung sind besondere Be­rater tätig. Doch in allen Schularten ar­beiten die Jugendoffiziere vor und zu!

Es scheint, die Bereitschaft zur Einla­dung der uniformen Bildungsarbeiter läßt in den alten Ländern nach. Hier mußten sie die Erfahrung machen: "Das Interesse der Schulen an einer Zusam­menarbeit mit den Jugendoffizieren hat im Jahre 1991 deutlich nachgelassen. Die Einsatzzahlen sind stark rückläu­fig." Ein Jugendoffizier schreibt: "Von rund 100 Schulen, die ich im Herbst 1991 anschrieb, antwortete bisher nur eine einzige auf mein Informationsan­gebot." Ein anderer meint: "Ohne gera­dezu penetrante Aufdringlichkeit kommt man zu keiner 'neuen' Schule." (Hervorhebung von mir, GW) Der grö­ßere Teil der Lehrerschaft stehe der Bundeswehr kritisch bis ablehnend ge­genüber. LehrerInnen, die Seminare be­suchten, leiteten zum offensichtlichen Bedauern der Berichtsverfasser "... ge­legentlich aus ihrem verbesserten Kenntnisstand die Auffassung ab, si­cherheitspolitische Themen besser selbst unterrichten zu können und verzichten auf den Jugendoffizier."

Optimistisch sind die Jugendoffiziere dagegen für die neuen Bundesländer, wo sie in den nächsten Jahren eine deutliche Steigerung der Einsatzzahlen erwarten. Die zuständigen Kultusbehörden und Schulleitungen zeigten sich überwie­gend für eine Zusammenarbeit aufge­schlossen. Dennoch war die Entwick­lung selten so ungünstig wie im vergan­genen Jahr, obwohl im Unterschied zum Vorjahr in den Zahlen für 1991 die neuen Länder berücksichtigt sind:

Allein bei Schuleinsätzen ist ein Rück­gang von 15 % auf knapp 5.800 und bei Truppenbesuchen um 25 % auf insge­samt gut 4.200 zu verzeichnen. Dennoch erreichten die Jugendoffiziere 1991 fast 170.000 SchülerInnen und StudentIn­nen, das sind unter fünf Prozent weniger als im Vorjahr.

Hoffnungsvoll können einige Aspekte der Meinungen von Jugendlichen stim­men: Nach den Erfahrungen der Offi­ziere interessieren sich die meisten mehr für Probleme wie Berufsausbildung, Ar­beitslosigkeit und Asylrecht als für die Bundeswehr. Zudem stießen die bun­deswehreigenen Meinungsforscher auf den Widerspruch: "Einerseits wird - wenn auch zögernd - die Notwendigkeit von Streitkräften bejaht, andererseits sinkt die Bereitschaft, dafür selbst einen Beitrag zu leisten." Out-of-area-Kampfeinsätze fänden fast keine Zu­stimmung. Stärker ist dagegen die Ak­zeptanz für Einsätze im Rahmen von UN-Friedensmissionen (Blauhelm-Ein­satz).

Besonders interessant für die Arbeit von Friedensgruppen könnte die Feststellung sein, daß viele Jugendliche die neuen Strategieüberlegungen der Bundeswehr kaum nachvollziehen können. Demge­genüber zeigen sich die Jugendoffiziere in ihrem Bericht erkennbar hilflos!

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