Zur Aufnahme von Deserteuren durch Städte

Stadt Münster nimmt erste Deserteure auf

von Franz Nadler
Initiativen
Initiativen

Der deutsche Staat hat in den letzten Jahren vieles unternommen, um Flüchtlingen ihre Rechte vorzuenthalten. Man denke bloß an die sog. sichere Drittstaaten-Regelung, nach der Deutschland Flüchtlinge, die auf dem Landweg kommen, postwendend in das Einreiseland zurückschickt - mit der Begründung, sie könnten ja dort um Schutz nachsuchen. Eine weitere schier unüberwindliche Hürde stellt die im Zusammenhang mit den Kriegen in Ex-Jugoslawien erlassene Visumspflicht dar, wonach Flüchtlinge in den jeweiligen deutschen Botschaften, z.B. in Belgrad, um ein Visum nachsuchen müssen. Flüchtlinge aus Kriegsgebieten haben so praktisch keine Möglichkeit mehr, den ihnen gemäß der Genfer Konvention zustehenden Schutz zu erhalten.

Deserteure und Kriegsdienstverweigerer aus Kriegsgebieten haben zudem oft das Problem, dass sie als Militärangehörige bzw. Militärdienstpflichtige eine legale Ausreise zumeist nicht genehmigt bekommen. Sehen sie keine Möglichkeit für die Flucht ins Ausland, bleibt ihnen nur die Möglichkeit, im Land selber unterzutauchen, um dem Einsatz im Krieg zu entgehen. Dies ist immer mit dem Risiko verbunden, entdeckt und entsprechend behandelt zu werden. Wer ein sog. rechtstaatliches Verfahren bekommt - wenngleich mit oft horrenden Strafen - kann sich zumeist noch glücklich schätzen. Gerade in kriegführenden Staaten ist es durchaus üblich, dass Fahnenflüchtige nach einer Verhaftung direkt dem Militär zugeleitet werden, wo ihnen dann Folter droht - bis hin zum Einsatz an besonders gefährlichen Frontabschnitten. Zur "Strafe" werden sie oft auch unter Waffenandrohung dazu gezwungen, Taten auszuüben, die klar gegen das internationale Recht verstoßen.
 

Wenn kriegführende Staaten das Recht auf Kriegsdienstverweigerung überhaupt anerkennen, was zumeist nicht der Fall ist, dann ist in aller Regel jedoch das Anerkennungsverfahren und der Ersatzdienst immer in einer Art geregelt, der den dafür vorgesehenen internationalen Bestimmungen Hohn spricht.

Es hat wohl noch keinen Krieg gegeben, in dem die zur Kriegführung vorgesehenen internationalen Verpflichtungen eingehalten worden wären. Die Begehung von Kriegsverbrechen sind allgemein üblich. Rechtlich gesehen müssen solche Verbrechen geahndet werden, was aber kaum geschieht. Soldaten, die in Armeen dienen, die anerkannte Verbrechen begehen, sind deshalb ausdrücklich verpflichtet, nicht nur die entsprechenden Befehle zu verweigern, sondern diese verbrecherischen Institutionen überhaupt zu verlassen, also zu desertieren. Dies gilt insbesondere für völkerrechtlich verurteilte Kriege. Die Grundlage zur Flüchtlingsanerkennung, das Handbuch des UNHCR, sagt z.B. dazu in Art. 171 "(...) Wenn jedoch die Art der militärischen Aktion, mit der sich der Betreffende nicht identifizieren möchte, von der Völkergemeinschaft als den Grundregeln menschlichen Verhaltens widersprechend verurteilt wird, dann könnte ... die Strafe für Desertion oder für Nichtbefolgung der Einberufung als Verfolgung angesehen werden." Nach Art. 170 kann aber auch die Kriegsdienstverweigerung ein Asylgrund sein, "wenn eine Person darlegen kann, dass die Ableistung des Militärdienstes ... im Widerspruch zu ihrer echten politischen, religiösen oder moralischen Überzeugung oder auch zu anzuerkennenden Gewissensgründen" steht. Die Asylrechtsprechung in Deutschland, missachtet dagegen diese Vorschriften fast immer; selbst dann, wenn ihre Anwendung ausdrücklich gefordert wird. So heißt es im entsprechenden Textbaustein des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge: "Die allgemeine Wehrpflicht ist als Recht jeden Staates völkerrechtlich anerkannt. Eine Pflicht, einen Ersatzdienst anzubieten, besteht nicht; insbesondere werden Sanktionen nicht allein dadurch zu politischer Verfolgung, dass jemand sie aus politischen Motiven oder Gewissensgründen auslöst."

Zumeist auf Initiative von lokal verankerten Friedens-, Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen kam es deshalb seit dem II. Golfkrieg zu etwa einem Dutzend Beschlüssen in deutschen Städten, Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren aus Kriegsgebieten Schutz zukommen zu lassen. Zumeist handelte es sich dabei um bloße Absichtserklärungen. In vielen Fällen änderten sich zudem die politischen Verhältnisse, so dass die Betroffenen davon keinen weiteren Nutzen hatten. Manchmal lösten sich auch die Initiativen wieder auf, so dass von dieser Seite kein entsprechender Druck mehr existierte.
 

Die heute relevantesten Beschlüsse existieren in den Städten des Westfälischen Friedens, in Münster und Osnabrück, sowie seit dem 2. September 1999 in Bonn. Die rechtliche Grundlage dafür bietet § 30, 1 des Ausländergesetzes: "Die Aufenthaltsgenehmigung wird als Aufenthaltsbefugnis erteilt, wenn einem Ausländer aus völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen ... Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet erlaubt werden soll ..." Die Entscheidung über die Visumserteilung obliegt allerdings der jeweiligen Auslandsvertretung. Sollte diese die Einladung akzeptieren, wären die genannten Kommunen bereit, einzelne Kriegsdienstverweigerer und Deserteure aufzunehmen, ihnen statt der üblichen Duldung, die ja kein Rechtsstatut darstellt, sondern lediglich einen zeitlich befristeten Aufschub der Ausreiseverpflichtung, eine Aufenthaltsbefugnis zu erteilen und ihnen Leistungen, wie etwa Sozialhilfe, zukommen zu lassen.

Am weitesten fortgeschritten ist dieses Verfahren in der Stadt Münster. Auf Anregung des Bündnisses 8. Mai, unterstützt von 40 lokalen Organisationen und etlichen Einzelpersonen, wurde am 12. Dezember 1995 dem Rat der Stadt eine entsprechende "Anregung" zugeleitet, der sie dann nach Beratung in verschiedenen Ausschüssen am 15. Mai 1996 beschloss. Demnach "stimmt die Verwaltung der Erteilung von Visa an solche Ausländer zu, die in ihrem Heimatland desertiert sind". Man ist "in diesen Einzelfällen" auch gewillt, "die notwendigen finanziellen Mittel zur Sicherung des Lebensunterhalts, der Kosten der Wohnung sowie der Versorgung im Krankheitsfalle und bei Pflegebedüftigkeit im notwendigen Rahmen aus Haushaltsmitteln der Stadt Münster" bereitzustellen.

Nach langen Vorarbeiten, wurde diese Bereitschaft am 22.3.99 erneuert. Am 8. September 1999 schließlich schrieb die Münsteraner Oberbürgermeisterin Marion Tüns an das Auswärtige Amt, dass die Stadt bereit sei, zwei konkret benannte Deserteure der jugoslawischen Armee, die derzeit beide in Ungarn leben, "aufnehmen zu wollen" und entsprechende Visa erteilt werden sollen. Dies ist tatsächlich geschehen. Ende Oktober erhielten sie von der Botschaft in Budapest ein Visum und vorläufig eine einmonatige Duldung. Für Mitte November wird ihre Ankunft in Münster erwartet.

Krieg ist ein Verbrechen. Wer sich daran nicht beteiligen möchte, braucht Schutz. Die angeführten Beschlüsse der Städte, soweit sie umgesetzt werden, versuchen zumindest in Einzelfällen den Betreffenden einen gewissen Schutz zukommen zu lassen, der ihnen vom Staat vorenthalten wird.

Connection e.V. hat in Budapest, Ungarn, das "Haus für Deserteure" mit aufgebaut und unterstützt Kriegsdienstverweigerer und Deserteure aus Kriegsgebieten dabei, Asyl zu bekommen. Der Verein arbeitet auch mit Initiativen zusammen, die in anderen Städten, wie z.B. Freiburg oder dem Bundesland Mecklenburg-Vorpommern gemäß dem geschilderten Verfahren Deserteure einladen möchten. Die vielfältigen Initiativen und Beschlüsse werden im Rundbrief "KDV im Krieg" dokumentiert.

Ausgabe

Rubrik

Initiativen