Stationierungsort Greenham Common

Der Frauenwiderstand am Stationierungsort Greenham Common in England findet auch in Publikationen amerikanischer Militärstrategen Beachtung. Im August 1985 hieß es in der AVIATION WEEK & SPACE TECHNOLOGY, daß mann die Ausdauer der Stationierungsgegnerinnen überraschend fände. Es sei jedoch zu vermelden, daß trotz massiver Behinderungsaktionen die Manöverzeiten bis zu 75% hätten ausgeschöpft werden können. An fünf Tagen im Monat werden die Raketen mit atomaren Sprengköpfen auf Lastwagen über Südenglands Straßen gekarrt. Wenn die Kosten für die polizeilichen Maßnahmen zum Schutz der Waffensysteme nicht so enorm hoch wären, so AVIATION WEEK, würden sie die Manöver zeitlich und räumlich gerne ausdehnen.

Frauenfriedenscamp Greenham Common
Im Jahr 1979 fiel die Entscheidung für die Stationierung von Cruise Missiles in Greenham Common. Wenigen Menschen in England war derzeit klar, was diese Entscheidung bedeutete. Unter Cruise Missiles konnte sich kaum jemand etwas vorstellen. Einige interessierte Frauen schlossen sich zusammen und wollten versuchen, der Bevölkerung die Konsequenzen der geplanten Stationierung ins Bewußtsein zu bringen.
Greenham Common liegt ungefähr 60 Meilen westlich von London und 40 Meilen nördlich von Southhampton. Während des Zweiten Weltkrieges ließ sich die Britische Luftwaffe in Greenham Common nieder, später wurde das Gebiet an die amerikanische Luftwaffe abgetreten. Am Stationierungs¬ort sind ausschließlich Amerikaner beschäftigt. Sie haben dort große Gebäudekomplexe errichtet, in denen die Raketen untergebracht sind und die sie als "Garagen" bezeichnen. Sie haben eine Schule für ihre Kinder und große Freizeitanlagen gebaut, bezahlt werden muß mit amerikanischen Dollars. Die Militärs ließen sich die Werbekampagnen, mit denen sie versuchten, die Befürchtungen und Ängste der britischen Bevölkerung zu zerstreuen, einiges kosten.
Das Frauenfriedencamp wurde im August 1981 am Haupttor der Militärbasis errichtet. Aber um die kontinuierliche Beobachtung der gesamten militärischen Aktivitäten sicherzustellen, besetzten die Frauen bald darauf alle Eingänge zum Stützpunkt. Im November 1983 erfolgte unter starkem Polizeiaufgebot und militärischer Prä¬senz die Stationierung der Cruise Missiles. In den darauffolgenden zwei Jah¬ren berichten die Frauen in Greenham Common von einer Welle der Kriminalisierung und Repression. "Im Na¬men von Gesetz und Ordnung" wurden die Rechte der Frauen mit Füßen ge¬treten. Der Staat hat alles mögliche unternommen, um den Widerstand der Frauen im Friedenscamp zu brechen.
Es begann damit, daß mitten im Winter fast stündlich Polizeieinsatzkommandos eindrangen und unsere Lagerfeuer löschten; Frauen sollten durch Leibesvisitationen eingeschüchtert werden (mindestens in einem Fall wurden die Frauen von männlichen Polizeibeamten unter¬sucht) und bis zu fünfmal pro Tag wurde unser Camp komplett von der Polizei abgeräumt. Es kam aber auch zu Übergriffen von Unbekannten, wo jedoch die Vermutung nahe lag, daß es sich um Militärs handeln mußte.

Mit Niedrigstrahlung gegen die Frauen?
Doch plötzlich wurden die starken Einsatzkräfte von Polizei und Militär abgezogen. Was war geschehen? Für diese Veränderung mußte es einen Grund geben. Sollten nun andere Überwachungsmethoden in Greenham Common erprobt werden? Diese Frage ist berechtigt, denn schon kurze Zeit später konnten wir unter uns ungewöhnliche Krankheitssymptome beobachten. Anläßlich der "First Global Radiation Victims Conference" (Erste Weltkonferenz der Strahlenopfer) im September 1987 in New York hatten amerikanische Atomveteranen über ähnliche Erkrankungen in Verbindung mit elektromagnetischen Strahlungsfeldern berichtet. Somit sollten sich in den späteren Jahren unsere Beobachtungen bestätigen, daß unsere Erkrankungen vergleichbar sind mit gesundheitlichen Auswirkungen, die bei der Anwendung niedrigstrahlender elektromagnetischer Wellen entstehen. Von uns durchgeführte Messungen ergaben dann auch dort erhöhte Werte, wo Frauen außergewöhnliche Wirkungen gespürt haben. Waren diese Meßergebnisse nun auf Zufälligkeiten zurückzuführen, die mit den Aktivitäten innerhalb der Militärbasis zu tun hatten, oder handelte es sich bei dem ganzen womöglich um einen beabsichtigten Versuch, die protestierenden Frauen durch die gezielte Anwendung von niedrigstrahlenden elektromagnetischen Wellen vom Stationierungsort zu vertreiben? Für letztere These würde sprechen, daß interessanter¬weise erhöhte Strahlungsaktivität immer dort auftrat, wo sich die Frauen hinbewegten. Wenn die Messungen rechtzeitig von den Militärs entdeckt wurden, schalteten sie die Anlagen offensichtlich eine Zeitlang ab. Das gleiche geschah, als die Greenham Common-Frauen sich mit diesen Beobachtungen an die Medien und die Öffentlichkeit wandten. So lange, wie dieses Thema die Medien beschäftigte, ließen sich keine erhöhten Strahlenwerte feststellen. Später bestätigten dann auch Besucherinnen, sowohl Frauen als auch Männer, daß auch sie von ungewöhnlichen Erkrankungen betroffen waren.

Erprobung einer neuen Waffe
Aus öffentlich zugänglichen Dokumenten läßt sich entnehmen, daß in erster Linie von Militärs finanzierte
Untersuchungen über die biologische Wirkung von nicht-ionisierender Strahlung bereits seit dreißig Jahren durchgeführt werden. Es besteht kein Zweifel darüber, daß Möglichkeiten zum Einsatz dieser Strahlen sowohl gegen feindliche Truppen wie gegen oppositionelle Zivilistinnen bereits weit fortgeschritten sind. Die Anwendung nicht-ionisierender Strahlung ist in zivilen und militärischen Bereichen bekannt. Das umfaßt Mikrowellenherde, Computerbildschirme und Stromleitungen genauso wie den gan¬zen Bereich des Fernmeldewesens, der Kommunikations- und Überwachungstechnologien.
Als während des Zweiten Weltkriegs Radar erstmalig eingesetzt wurde, wurden auch leise Bedenken über die möglichen gesundheitlichen Auswirkungen der elektromagnetischen Wellen auf Mensch und Umwelt geäußert. Doch diese Bedenken wurden mit einer Handbewegung vom Tisch gewischt, da das militärische Interesse vorrangig war. Obwohl bekannt war, daß nicht-ionisierende Strahlen Herzkrankheiten, Leukämie, Hirntumore und Grauen Star hervorrufen könnten, setzte man die Grenzwerte für zulässige Belastung so hoch an, daß der extensiven militärischen Nutzung keinerlei Beschränkungen auferlegt werden mußten. 1972 wurde bekannt, daß die Amerikaner mittlerweile an einer militärischen Abschirmtechnologie arbeiten, die darauf abzielt, mit Hilfe von Mikrowellen gegnerische Truppen lahmzulegen, sie der Orientierung zu berauben und die komplizierten Mikrochips, die verwendet werden, zu stören.
Den schädigenden Wirkungen von nicht-ionisierenden Strahlen wird immer mehr Beachtung gezollt. In New York kam ein Gericht nicht umhin, zu bestätigen, daß Sam Yannon, der mit der Wartung des Telefonnetzes betraut war, mit hoher Wahrscheinlichkeit an den Folgen nicht-ionisierender Strahlen gestorben ist. Uns ist bekannt, daß bestimmte Frequenzbereiche der elektromagnetischen Felder die Psyche des Menschen beeinträchtigen und auch zu Verhaltensänderungen führen können. Von anderen Frequenzbereichen können gesundheitliche Schäden bei Neugeborenen verursacht werden. Darüber hinaus scheint sich ein Zusammenhang zwischen elektromagnetischer Strahlung und Säuglingssterblichkeit abzuzeichnen.
Der gezielte Einsatz von nicht-ionisierender Strahlung zur Bekämpfung des Widerstandes beschreibt ein neues Konzept.
Wir können uns die destruktive Wirkung dieser Waffen kaum vorstellen, aber sie sind vorhanden und ihr Einsatz kann das Ende von Protest und Widerstand in einer demokratischen Gesellschaft, oder sogar das Ende der Demokratie bedeuten.

Der Widerstand geht weiter
Seit einiger Zeit kommen Frauen nach Greenham Common, die mit allen Mitteln versuchen, unseren Widerstand zu spalten. Sie haben keine Verbindung zu den Greenham Common Frauen, die den Widerstand schon von Anfang an getragen haben. Für uns ist auch bezeichnend, daß gerade diese Frauen versuchen, unsere Erkennt-nisse über die Anwendung von "Strahlenwaffen" gegen den Widerstand in Greenham Common zu relativieren. Der Widerstand geht weiter. Wir beobachten die militärischen Aktivitäten und halten die Besetzungen der Tore, mit Ausnahme des Haupttors, auf¬recht. Frauen aus allen Teilen Englands und einigen Teilen der Welt kommen für kürzere oder längere Aufenthalte nach Greenham Common. Wir sind auf Unterstützung angewiesen und heißen alle Frauen am Tor auf der Nordseite des Atomwaffenstützpunktes herzlich willkommen.

Greenham Common, April 1989

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt