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Ein Blick zurück und auf heute
Stirbt die Friedensbewegung aus?
vonWer zu Treffen lokaler Friedensinitiativen geht oder zu den klassischen Friedensdemonstrationen an Ostern oder am 1. September kommt sich leicht vor wie bei einem Seniorenausflug. Die meisten Teilnehmer*innen sind im Rentenalter oder kurz davor, die Männer sind deutlich in der Überzahl, und die Teilnahmezahlen sind weit entfernt von denen der frühen 1980er Jahre. Andererseits gab es in diesem Jahrhundert in Deutschland zwei große Friedensdemonstrationen in Berlin, zu denen Hunderttausende von Teilnehmer*innen aller Altersgruppen kamen: Am 15.2.2003 gegen den US-Angriffskrieg gegen den Irak und am 27.2.2022 gegen den russischen Angriff auf die gesamte Ukraine.
Seit den großen Friedensdemonstrationen gegen Pershing II und Cruise Missiles sind viele neue Organisationen entstanden, die sich mit Friedensthemen befassen. Einige Beispiele: 1984 entstand die Werkstatt für Gewaltfreie Aktion Baden, 1989 wurde der Bund für Soziale Verteidigung (BSV) gegründet, 1992 rief Handicap International zusammen mit anderen Organisationen die Internationale Kampagne für ein Verbot von Landminen ins Leben, 1996 entstand das forumZFD (Ziviler Friedensdienst), 1998 die Plattform ZKB (Zivile Konfliktbearbeitung), 2013/14 ICAN Deutschland als Teil der internationalen Bewegung für einen Atomwaffenverbotsvertrag. Während der BSV im Lauf der 90er Jahre vom Dachverband zum Fachverband wurde, wurden die Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, die Landminenkampagne, das forumZFD, die Plattform ZKB und ICAN Deutschland gleich als Fachorganisationen gegründet. Im Fokus standen entweder die Ächtung besonders gefährlicher Waffensysteme (Landminen, Atomwaffen) oder die Vernetzung derjenigen, die sich für gewaltfreie Alternativen zum Militär bzw. für konkretes Friedenshandeln in Konflikten – auch in der eigenen Gesellschaft - und in (Bürger-)Kriegsregionen einsetzen (Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, BSV, forumZFD, Plattform ZKB). Auch aus von Aktivist*innen gegründeten Vereinen wie der „Kurve Wustrow“ oder dem Friedenskreis Halle (Saale) wurden Fachorganisationen für gewaltfreie Konflikttransformation.
Frieden schaffen
Während also die Teilnehmer*innen an Ostermärschen und an Vernetzungstreffen wie dem Kasseler Friedensratschlag und die Mitglieder örtlicher Friedensgruppen immer älter und über die Jahrzehnte weniger wurden, engagieren sich fortlaufend immer neue junge Menschen in Organisationen, in denen konkret etwas für Frieden und konstruktive Konfliktbearbeitung getan werden kann. Viele von ihnen bringen entsprechende Qualifikationen mit – an immer mehr Universitäten und Hochschulen kann Friedens- und Konfliktforschung studiert werden, seit einigen Jahren gibt es die Möglichkeit, Friedenspädagogik zu studieren, an der Akademie für Konflikttransformation finden Ausbildungen zur Friedensfachkraft statt. Und es gibt nach wie vor die Möglichkeit, ohne Ausbildung einen Freiwilligendienst mit Fokus auf Frieden oder Menschenrechte zu machen, etwa bei den Peace Brigades International (PBI) oder der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF).
Schutz von Klima und Demokratie
Als die „Kampf dem Atomtod“-Bewegung in den f1950er Jahren oder die Bewegung gegen den NATO-Nachrüstungsbeschluss zu Beginn der 1980er Jahre Millionen auf die Straßen brachten, war das Risiko eines Atomkriegs durch die ungebremste atomare Aufrüstung in Deutschland sehr präsent. Inzwischen sind die meisten US-Atomwaffen aus Europa abgezogen, der Warschauer Pakt ist aufgelöst, der Wehrdienst ausgesetzt. Dafür ist eine neue Bedrohung sehr deutlich geworden: die Klimakrise. Obwohl viele Fakten seit Jahrzehnten bekannt sind und Wissenschaftler*innen seit Jahrzehnten davor warnen, dass die Verbrennung fossiler Brennstoffe und die Zerstörung von Wäldern und Mooren zu einer Klimaerwärmung mit veränderten Niederschlägen, steigendem Meeresspiegel, heftigeren Stürmen führen würden und bereits 1992 die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen verabschiedet wurde, kam es erst ab 2018 in Europa (und in geringerem Umfang in anderen Ländern einschließlich der USA) zu Massenprotesten, die ganz überwiegend von Schüler*innen getragen wurden. Bei den großen Klimademonstrationen der „Fridays for Future“ 2019 wurden auch die Biodiversitätskrise und die Tatsache, dass Krieg und Militär erheblich zum CO2-Ausstoß beitragen, thematisiert – aber während „Parents for Future“ und „Grandparents for Future“ mit demonstrierten, war von der klassischen Antikriegsbewegung kaum etwas zu sehen.
Bei der #unteilbar-Demonstration am 13. Oktober 2018, bei der über 240.000 zivilgesellschaftlich Engagierte aus den verschiedensten Themenbereichen gegen Rassismus und Ausgrenzung demonstrierten, waren viele jüngere Menschen dabei, der Aufruf wurde auch von zahlreichen Friedensorganisationen und Friedensengagierten unterzeichnet und geteilt.
Friedensproteste heute angesichts des Ukraine-Kriegs
Die klassischen Antikriegsbewegungen fanden ab 2014 zweifelhafte Unterstützung – vermutlich getriggert durch unterschiedliche Einschätzungen der Maidan-Proteste, die Annexion der Krim und den Bürgerkrieg in der Ost-Ukraine. An den so genannten „Montagsmahnwachen“ beteiligten sich Anhänger*innen diverser Verschwörungsmythen, die sich teilweise schnell in Richtung organisierter rechtsradikaler Gruppen bewegten. (1) Die AfD zeigte schon vor dem Angriffskrieg Russlands auf die gesamte Ukraine ab dem 24.2.2022 erhebliche Sympathien für Präsident Putin und sein reaktionäres Gesellschaftsbild, und so haben wir jetzt erstmals in der deutschen Geschichte Rechtsradikale, die Gewalt gegen Andersdenkende und Anders Aussehende befürworten und mit Friedensfahnen demonstrieren gehen. Ihr „Frieden“ hat mit unserem nichts gemeinsam. „Alle gemeinsam gegen die NATO-Raketen“ konnte 1983 noch einigermaßen funktionieren – mit Anhänger*innen eines „Autoritären Nationalradikalismus“ (Wilhelm Heitmeyer über die AfD in der taz vom 4.10.2024) können und dürfen wir jedoch nicht gemeinsam für Frieden demonstrieren.
Wie schwierig es derzeit ist, sinnvolle friedenspolitische Demo-Bündnisse zu schließen, hat auch die Demonstration am 3. Oktober 2024 in Berlin gezeigt, bei der der friedens- und abrüstungspolitisch engagierte SPD-Abgeordnete Ralf Stegner für die Aussage, dass der Ukrainekrieg ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ist, von der großen Mehrheit der Demonstrierenden ausgepfiffen wurde (siehe dazu den Bericht von Christine Schweitzer im Friedensforum 6/2024).
Die Friedensbewegung als Massenbewegung auf Großdemonstrationen und als dezentrale Protestbewegung hat also tatsächlich ein demografisches Problem. Dafür waren viele, auch junge Friedensengagierte auf den zahlreichen Demonstrationen für Demokratie und gegen Rechts im ersten Halbjahr 2024, an denen Millionen von Menschen aller Altersgruppen teilnahmen. Zivilgesellschaftliches Engagement für Frieden hat sich in den letzten 35 Jahren dynamisch entwickelt und professionalisiert, und die jungen für Frieden und gewaltfreie Konflikttransformation Engagierten sind immer wieder auch auf der Straße zu finden: bei Klimademos und bei gewaltfreien Protestaktionen im Umweltbereich, bei Demos gegen rechts und bei kleinen, fantasievollen Aktionen für Abrüstung.
Anmerkung
1 Ausführlich hierzu Lucius Teidelbaum (2024): Versuche rechter und verschwörungstheoretischer Einflussnahme auf die Friedensbewegung. https://www.attac.de/fileadmin/user_upload/Studie_Einflussversuche_auf_d...