Zusammenfassung

Strategisch über Russland nachdenken

von Christine Schweitzer

Die Carnegie Endowment for International Peace ist eine der ältesten Think Tanks zu Friedensfragen in den USA. Sie wurde bereits 1910 gegründet. Formal selbständig, gilt sie als der Regierung nahe stehend, wobei sie im Laufe der Geschichte Demokraten wie Republikaner gleichermaßen beraten hat.

Ende 2008 publizierte sie einen interessanten Artikel des Vizedirektors ihres Moskauer Büros, Drmitri Trenin. Trenin, der auf eine lange Karriere in den sowjetischen, dann russischen Streitkräften zurückblicken kann, befasst sich in dem achtseitigen Papier mit den Beziehungen zwischen Russland und den USA und spricht sowohl die Frage unterschiedlicher Perzeptionen des jeweiligen Gegenübers wie reale Gefahren der zukünftigen Entwicklung an.

Der Krieg in Südossetien führte dazu, dass die USA nach langer Zeit Russland wieder Aufmerksamkeit widmen. Viele sprechen von einer drohenden Neuauflage des Kalten Krieges, doch, so Trenin, führe dieser Vergleich in die Irre. Georgien sei nicht Deutschland und Russland nicht die Sowjetunion, es fehle der ideologische Kontext und außerdem sei im Rahmen der Globalisierung vielfältige Kontakte entstanden. Russlands Gesellschaft werde immer westlicher, doch das bedeute nicht, dass das Land eine pro-westliche Politik einschlage. Im Gegenteil sei das Problem, dass es keine festgelegten Regeln für die Beziehung zwischen den beiden Mächten gebe. Ungehemmt drängen die USA in den Raum vor, den Russland als seinen ‚Hinterhof’ ansieht - so werden zumindest dort nicht nur die NATO-Erweiterungen, sondern auch die Revolutionen in Georgien, der Ukraine und Kirgisien interpretiert. Russland antwortete letzten Herbst bereits mit einer Militärpräsenz in Venezuela und im Atlantik vor Südamerika zu ‚Trainingszwecken’. Das Fehlen von Regeln habe dazu geführt, dass jede Seite ihre eigenen Schmerzgrenzen definiert hat. Für Russland sind dies Angriffe auf seine Streitkräfte und Bürger, Militärbasen in den CIS-Ländern und eine NATO-Erweiterung auf Georgien und Ukraine.

Beide Länder halten sich gegenseitig für schwach, was die Gefahr vergrößere, dass sie in einen größeren Konflikt miteinander geraten könnten. Die Aufkündigung des Anti-Ballistic Missile Treaty's durch die USA und die Suspendierung des Abkommens über konventionelle Streitkräfte in Europa durch Russland tragen zu der Unsicherheit bei. Zudem wird in 2009 der Strategic Arms Reduction Treaty auslaufen, was bedeutet, dass die Kontrolle des Strategic Offensive Reduction Treaty, der noch bis 2012 läuft, nicht mehr möglich sein wird.

Die NATO-Erweiterung hat für Russland drei problematische Seiten: Nach der deutschen Wiedervereinigung wurde Gorbatschow vom Westen versprochen, dass es keine Ausweitung geben würde. Zum zweiten lehnte der Westen in arroganter Manier die persönlich vorgebrachten Vorschläge von Jeltsin und Putin ab, dass Russland selbst der NATO beitreten könne und zum dritten werden die neuen NATO-Mitgliedsländer und die Kandidaten auf Mitgliedschaft als Majonetten Washingtons gesehen.

Als besonderen Gefahrenpunkt macht Trenin die Ukraine aus, die sowohl für Russland wie für die EU wichtig ist. Das Land selbst ist in Bezug auf seine Beziehungen zu Russland und den USA gespalten - laut Trenin unterstützen nur 20% einen NATO-Beitritt und 44% stellten sich im Konflikt mit Georgien auf die Seite Russlands. Doch die politischen Beziehungen zu Moskau sind gespannt. So verlangt der ukrainische Präsident von Russland, dass dieses jede Bewegung seiner Schwarzmeerflotte, die in Sebastopol liegt, an Kiew melde – eine Forderung, die Moskau ablehnt. Die Frage ist, was passiert, falls die Ukraine versucht, ihre Forderungen mit Gewalt durchzusetzen, wobei Trenin auch die Gefahr eines Bürgerkrieges zwischen russischen Separatisten, ukrainischen Nationalisten und Krimtartaren andeutet.

Trenin folgert aus seiner Analyse der Situation, dass die USA anfangen müssten, strategisch über ihre Beziehungen zu Russland nachzudenken. Sie hätten Russland lange Zeit vernachlässigt und seine Reaktionen auf die NATO-Erweiterung, den Umgang mit dem Kosovo-Konflikt usw. wurden als atavistisch und nicht ernst zunehmen eingestuft. Schritte, die Moskau als symbolisch ansah, um seinen guten Willen zu zeigen, etwa die Auflösung seiner Spionageanlage in Kuba und seiner Marinebasis in Vietnam wurden von den USA als ‚Anerkennung nachsowjetischer Realitäten’ angesehen und nicht als Maßnahmen, die Reziprozität verdienten. Die USA; so Trenin, müssten erkennen, dass das russische politische System keine Gefahr für die USA und ihre Alliierten darstelle: „Moskaus Problem mit Kiew ist die NATO, nicht freie Wahlen oder der EU-Integrationsprozess.“ Russlands Innenpolitik sollte man besser alleine lassen – falls sich in Russland die Modernisierer gegen die Traditionalisten durchsetzten und es zu einer weiteren Modernisierung und Demokratisierung Russlands käme, bedeute dies nicht, dass das Land damit pro-westlich werde. Viel eher werde es ein ebenbürtigeres Gegenüber, das seine Forderungen mit mehr Gewicht versehen kann. Ebenso solle Washington aufhören, Beziehungen mit Russlands Nachbarn anzuknüpfen, als ob Russland nicht existierte. Dieser Weg könne letztendlich zu Krieg über Orte wie Sebastopol führen. Die NATO habe ihre Grenzen im Osten erreicht – eine Ausweitung auf die Ukraine oder Georgien wäre gefährlich. Trenin schlägt vor, dass eine EU-Integration, nicht eine Integration in die NATO der beste Weg sei, die Ukraine an den Westen anzubinden und so auch ihre Sicherheit zu garantieren.

Eine europäische Sicherheitsagenda müsse, so Trenin, die kritischen Punkte, einschließlich Kosovo, Abchasien und Süd-Ossetien, lösen, zu den Rahmenabkommen zur Rüstungskontrolle zurückkehren und einen gemeinsamen Ansatz für den Nahen Osten und Afghanistan schaffen, bei dem Russland als gleicher Partner behandelt wird.

Trenin schließt: „Die Idee, dass es zwei Kalter Kriege bedürfe, um das russische Problem zu lösen, genauso wie es zwei Weltkriege benötigte, um das deutsche zu lösen, mag mit der Erfahrung der USA übereinstimmen, aber sie führt in die Irre und ist gefährlich – besonders auch für die USA.“

Quelle
Trenin, Dmitri (2008) Thinking Strategically About Russia. Carnegie Endowment for Interntional Peace. December 2008. http:www. http://www.carnegieendowment.org/publications/index.cfm?fa=view&id=22567... [6.1.2009]

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.