Streit im Alltag

von Tilman Metzger
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In einigen Ländern, wie z.B. England und den USA, werden im sogenannten "community mediation center" Alltagsstreitigkeiten, wie Konflikte zwischen Nachbarn und Bekannten, mit der Hilfe freiwilliger MediatorInnen bearbeitet.

Diese Mediationszentren können institutionell und finanziell im Gerichtswesen verankert sein. Die meisten arbeiten aber justizunabhängig, um von vornherein die konfrontative, von Rechtsexperten dominierte Gerichtsatmosphäre zu vermeiden und die institutionelle Neutralität zu wahren. Sie werden von Stiftungen, öffentlichen Geldern und Privatspenden getragen. Der Mediationsservice ist meist kostenlos. Wenn eine Partei ein Mediationszentrum aufsucht (was meist aus eigenem Antrieb oder auf Anraten von Institutionen geschieht, wo Alltagskonflikte auflaufen, wie der Polizei, den Sozialbehörenden oder Mieterverbänden, ruft der hauptamtliche Koordinator die Gegenpartei an, nimmt deren Anliegen auf und beschreibt die Funktion des Mediationsservices. Stimmen beide Parteien einem Mediationsgespräch zu, so kommt es nach ca. zehn Tagen am Ende der ein- bis zweistündigen Mediationssitzung in 80-90 % der Fälle zu einer einvernehmlichen Lösung.

Auch in Deutschland wächst die Einsicht, daß die zunehmend in die Gerichte flutenden Alltagsstreitigkeiten bei justizförmiger Bearbeitung regelmäßig in einem menschlichen Desaster enden. Für diesen Konflikttypus müssen daher angemessene alternative Konfliktlösungsformen geschaffen werden. Wäre dafür auch hierzulande das oben beschriebene Modell geeignet?

Ich möchte auf der Grundlage von insgesamt 10 Wochen Forschungsaufenthalt in englischen und US-amerikanischen communtiy mediations centers und eigener Mediationserfahrungen einige Gedanken zu den in diesem Zusammenhang am meisten gestellten Fragen aufführen:

1.    "In den USA mag es normal sein, sich bei Alltagskonflikten locker mit einem Mediator an einen Tisch zu setzen - aber hier?"

Damit wird den US-AmerikanerInnen eine besonders Mediations-freundliche Mentalität unterstellt. Wie aber schon Auerbach ("Justice Without Law?" 1982) darlegte, gilt in den Kultur der USA eher die Maxime, "fight for your right", was bei unnötig vielen Alltagskonflikten zu rechtsförmigen Verfahren führe. So bedurfte es auch in den USA besonderer Anstrengungen, um das ungewohnte Paradigma der einvernehmlichen Konfliktlösung einzuführen. Dafür gibt es grundsätzlich zwei Wege:

a)    Die Ausübung von sozialem, institutionellem oder rechtlichem Druck, wie er häufig beim gerichtszentrierten Mediationsservice anzutreffen ist, oder

b)    viel Öffentlichkeitsarbeit gepaart mit intensiver, qualitativ hochstehender Arbeit im Vorfeld und währen der Mediation.

Der erste Weg, mit Druck zu arbeiten, verträgt sich nicht mit dem Anliegen der Mediation, KonfliktpartnerInnen einen selbstbestimmten Umgang mit ihren Konflikten zu ermöglichen. So bleibt der zweite Weg und die Frage

2.    Was kann zur Sicherung der Qualität der Vermittlungstätigkeit freiwilliger MediatorInnen getan werden?

Zenral dafür ist neben der Ausbildung eine sorgfältige Auswahl der Freiwilligen. Hier kann teilweise auf Erfahrungen mit Ehrenamtlichen in der BRD (z.B. im Rahmen der Telefonseelsorge) zurückgegriffen werden, teils an im Ausland bestehende Kriterien und Prozeduren angeknüpft werden (z.B. "Interim Guidelines for Selecting Mediators", 1993, Hrsg.: NIDR, s.u. Ausland).

Weitere, übliche Maßnahmen sind: Die  Einarbeitung von Neulingen durch Co-Mediation mit besonders erfahrenen MediatorInnen; Mediation ausschließlich in Zweierteams; regelmäßige Supervision durch TrainerInnen und durch Gruppentreffen der MediatorInnen; Berücksichtigung besonderer Stärken bzw. Schwächen von Freiwilligen bei ihrer Zuordnung zu den Fällen durch den hauptamtlichen Koordinator des Mediationszentrums; keine Mediation bei Streitigkeiten, in denen psychische Erkrankungen oder Sucht eine Rolle spielen.

3.    Wozu der Einsatz von freiwilligen MediatorInnen?

Hat ein Mediationszentrum, wie üblich, einen Stamm von 25-40 freiwilligen MediatorInnen aus unterschiedlichen Lebensbereichen und Berufen anstatt nur zwei Hauptamtliche, so können für besonders gelagerte Fälle MediatorInnen mit dem erforderlichen beruflichen oder sozialen Profil zur Vermittlung ausgewählt und so das Parteiengespräch optimal unterstützt werden.

In vielen Mediationszentren wird auch beobachtet, daß freiwillige MediatorInnen mit besonders unverbrauchtem Blick und Elan an die Fallbearbeitung herangehen und so das Gespräch besonders fördern können.

Ferner ist durch die Ehrenamtlichen ein kostenloser oder kostengünstiger Mediationsservice finanzierbar.

Ganz zentral ist, daß Ausbildung und Einsatz von Laien-MediatorInnen die Fertigkeiten der konstruktiven Konfliktlösung in die Gesellschaft hineintragen. Besser als hundert BerufsmediatorInnen sind hunderttausend Laien-MediatorInnen, die die ersten Praxisschritte unter Supervision in einem Mediationszentrum unternehmen und dann auch informell in ihrem sozialen Umfeld - am Konfliktherd - Streitenden zur Aussprache und einvernehmlichen Streitbeilegung verhelfen können. Das ist Prävention im idealen Sinne, nämlich an der untersten Stufe der Konfliktspirale.

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Tilman Metzger ist Redakteur von "Infoblatt Mediation" in Reppenstedt.