SUDAN: Apokalyptische Reiter

von Annette Weber

Im Sudan verüben Regierungssoldaten und Milizen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Sexuelle Gewalt gegen Frauen ist eine zentrale Strategie ihrer Kriegsführung.

Die Ereignisse im östlichen Sudan sind nicht nur die derzeit weltweit größte humanitäre Katastrophe, als was sie in der Öffentlichkeit bislang wahrgenommen werden. Die systematischen und massiven Menschenrechtsverletzungen in der Region Darfur müssen nach Ansicht von amnesty international als Kriegsverbrechen undVerbrechen gegen die Menschlichkeit bewertet werden.

Zu diesem Schluss kommt der Bericht einer ai-Delegation, die im Mai mehrere Flüchtlingslager im Tschad besuchte. Um genauere Informationen über die Situation in Darfur zu erhalten, sprach sie dabei mit über hundert Zeugen. Ihre Aussagen, die sich mit den Berichten der UNO, von unabhängigen Journalisten und anderen Nichtregierungsorganisationen decken, ergeben ein klares Muster des Geschehens. Sexuelle Gewalt gegen Frauen und systematische Angriffe auf die Zivilbevölkerung sind ein wesentlicher Bestandteil der Kriegsstrategie in Darfur.

Die Zeugenaussagen belegen, dass die Janjawid, die berittene arabische Miliz, und die Regierungsarmee bei ihren Angriffen zahlreiche Menschen töten, massenhaft Frauen vergewaltigen, die Bevölkerung vertreiben und anschließend die Dörfer und die Ernte in der Region niedergebrennen. ai liegen außerdem Informationen über Massenexekutionen an mehreren Orten vor.

Mit der militärischen Offensive gegen die Zivilbevölkerung von Darfur versucht die sudanesische Regierung, zwei bewaffnete politische Gruppen zu bekämpfen, die sich im vergangenen Jahr gegen die Zentralregierung in Khartoum erhoben hatten undderen Mitglieder vor allem den ethnischen Gruppen der Fur, Masalit und Zaghawa angehören.

Bevorzugtes Ziel der Angriffe sind Frauen. Die Zeugenaussagen belegen, dass Vergewaltigung oder andere Formen der sexuellen Gewalt als Waffe in dem Krieg in Darfur eingesetzt werden, um Frauen und ihre Gemeinden zu bestrafen und um Angst zu erzeugen. Diese Form der Gewalt ist nicht eine Folge des Konflikts oder das Resultat undisziplinierter Truppen, sondern eine bewusst gewählte Strategie.

"Sie singen während der Vergewaltigung und sagen, dass wir Sklavinnen seien und sie mit uns machen könnten, was sie wollten", berichtete eine Augenzeugin gegenüber ai. "Sie waren glücklich, als sie die Frauen vergewaltigten". In vielen Fällen finden die Übergriffe in der Öffentlichkeit statt, vor den Augen ihrer Männer, Verwandten oder der Dorfgemeinschaft. Manche Opfer sind erst acht Jahre alt. Wer sich wehrt, wird geschlagen oder getötet. Ein Augenzeuge beschrieb, wieein 17jähriges Mädchen vor den Augen ihrer Mutter von sechs Männern vergewaltigt wurde. "Anschließend fesselten sie ihren Onkel und warfen ihn in das Feuer."

Viele Frauen werden nach den Überfällen von den Milizen entführt und in ihren Unterkünften zur sexuellen Sklaverei gezwungen, darunter auch Kinder und Jugendliche. Häufig sind dabei auch Regierungstruppen anwesend - die Milizen handeln also mit dem Einverständnis der Armee und bleiben straffrei.

Die Janjawid sind sich bewusst, dass sie mit ihrem Vorgehen nicht nur die Frauen treffen, sondern die gesamte Gesellschaft. Mit öffentlichen Vergewaltigungen wollen sie sowohl die Frauen als auch die Männer demütigen und damit weiteres Leben in der gewohnten Umgebung unmöglich machen. Das Vorgehen dient gleichzeitig als Warnung an andere ethnische Minderheiten, die es wagen sollten, gegen die Regierung in Khartoum zu rebellieren .

Für die Frauen ist es sehr schwierig, über sexuelle Gewalt zu sprechen, da sie befürchten, von ihrer Gemeinde, ihren Familien oder ihren Ehemännern verbannt zu werden. "Es ist nicht leicht für die Frauen, über die Vergewaltigungen zu sprechen. In unserer Kultur ist es eine Schande. Frauen verstecken die Erinnerung in ihrem Herzen, so dass die Männer nichts davon hören", erklärte eine Frau der ai-Delegation.

Vergewaltigte Frauen meiden aus Scham ihre Verwandten, suchen deswegen keine Lager auf und sind damit von jeglicher medizinischen Versorgung abgeschnitten. Sie sind aus der Gemeinschaft ausgestoßen und können damit auch nicht mehr den Schutz und die ökonomische Unterstützung durch die traditionelle Gemeinschaft in Anspruch nehmen.

Die Auswirkungen sind fatal. Die soziale Struktur wird zerstört und das Gleichgewicht in der Gemeinschaft außer Kraft gesetzt. Eine Rückkehr zu dem vorherigen Leben wird damit unmöglich. Und dies ist auch das Ziel, was die Janjawid und die Regierung in Khartoum mit dieser Kriegsstrategie erreichen wollen.

Es gibt zahlreiche Hinweise, dass die arabischen Reitermilizen bei ihren Kriegsverbrechen von der regulären sudanesischen Armee unterstützt werden. Sie erhalten von der Regierung materielle und logistische Unterstützung und müssen keinerlei staatliche Sanktionen für ihre Übergriffe befürchten. "Die Regierung gab den Arabern ihr Vertrauen, Waffen, Fahrzeuge und Pferde. Wir können nicht zurück, es gibt keine Sicherheit für Afrikaner", erzählt ein Flüchtling aus Darfur in einem Camp im Tschad. "Die Janjawid drohten damit, dass jede schwarze Frau getötet werden muss, sogar die Kinder", berichtete er weiter.

In der Vergangenheit spielten Herkunft und Hautfarbe keine dominante Rolle in der Region. Doch in den letzten beiden Jahren hat die ethnische und rassistische Ideologie in Darfur zunehmend an Bedeutung gewonnen. Die ethnische Dimension des Krieges wurde durch die militärische Antwort der Regierung verstärkt, die sich weigerte, politische oder traditionelle Mittel der Konfliktlösung zu benutzen.

Der Krieg führte dazu, dass bislang über eine Million Menschen vertrieben wurden. Etwa 170.000 davon sind über die Grenze in den Tschad geflohen und leben dort in provisorischen Lagern. Rund 30.000 Menschen sind getötet worden, rund 350.000 Flüchtlinge sind nach Angaben von Hilfsorganisationen akut vom Hungertod bedroht. Mittlerweile sind die meisten Dörfer in der Region zerstört und niedergebrannt, wie Satelliten-Fotos belegen.

Selbst wer den Angriffen entkommen konnte, ist keineswegs außer Gefahr. Flüchtlinge aus dem nördlichen Darfur sagten gegenüber ai, dass sie von der sudanesischen Luftwaffe bombardiert und von Kampfhubschraubern angegriffen worden seien. Gleichzeitig wurden sie von der Janjawid-Miliz und Regierungstruppen auf dem Boden attackiert. Viele starben auf der Flucht an Krankheit oder Erschöpfung.

Auch in den Flüchtlingslagern gibt es keine Sicherheit. Während in den Camps im Tschad vor allem die mangelnde Versorgung beklagt wird, ist die Situation für die Flüchtlinge in Darfur verzweifelt. Dort sind die Lager, in denen mehr als eine Million Menschen leben, direkt unter der Kontrolle der Regierung. "Es ist kein Camp, sondern ein Gefängnis", beschreibt ein Flüchtling in dem ai-Report die Situation. Häufig wird die Umgebung von den Milizen kontrolliert. Frauen, die Brennholz sammeln oder Wasser holen wollten, werden vergewaltigtoder umgebracht. Flüchtlinge, die UNO-Vertretern davon berichteten, wurden von den Janjawid ermordet oder von sudanesischen Sicherheitskräften verschleppt.

Auch außerhalb der Region geht die Regierung in Karthoum äußerst repressiv gegen alle Personen vor, die sich mit dem Konflikt beschäftigen. So werden Anwälte, Menschenrechtsaktivisten, Journalisten und Vertreter aus den Gemeinden in Darfur inhaftiert, gefoltert oder sie "verschwinden". Häufig werden gegen sie in unfairenProzessen unmenschliche Strafen, wie etwa Amputationen, verhängt oder Todesurteile ausgesprochen

Wenig deutet bislang darauf hin, dass die islamistische Regierung von Präsident Omar el Baschir daran interessiert ist, den Konflikt in Darfurfriedlich zu lösen. Ihre Zusage, die Janjawid zu entwaffnen und die Sicherheit der Flüchtlinge zu gewährleisten, hat sie nicht eingehalten, was auch Staatsministerin Kerstin Müller nach einem Besuch in der Region Mitte Juli bestätigte.

Mittlerweile hat die Afrikanische Union zwar Beobachter in die Region entsandt, um die Zusagen der Regierung zu überprüfen und angekündigt, Soldaten zu deren Schutz zu schicken. Doch selbst diese vagen Maßnahmen kommen wohl zu spät. Der Waffenstillstand, der Ende Juli verlängert werden sollte, wurde von beiden Seiten nicht bestätigt. Die Rebellen erklärten, dass sie sich nicht auf die Zusagen der Regierung verlassen könnten.

aus: ai-JOURNAL 01.08.2004
 

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Krisen und Kriege

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Annette Weber ist Mitglied der ai-Koordinationsgruppe Sudan und hat an der ai-Mission in den Tschad teilgenommen.